Auseinandersetzungen unter Burschenschaften

Sie schlagen und verklagen sich

Der Richtungsstreit in der Deutschen Burschenschaft wird mittlerweile auch vor Gericht ausgetragen. Der Dachverband der Studentenverbindungen steht vor der Spaltung.

250 000 Euro – das ist nach Ansicht von Norbert Weidner die angemessene Strafe dafür, ihn, einen der ranghöchsten deutschen Burschenschaftsfunktionäre, als Rechtsextremisten zu bezeichnen. Sein »Bundesbruder« Christian J. Becker soll die Summe zahlen. Dieser ist wie Weidner ein »Alter Herr« der Burschenschaft der Raczeks zu Bonn, steht jedoch der SPD nahe und ist Gründer der Initiative »Burschenschafter gegen Neonazis«. In der vorigen Woche trafen Weidner und Becker vor dem Landgericht Bonn aufeinander. Um nicht fotografiert zu werden, hielt Weidner sich eine Ausgabe der revisionistischen Wochenzeitschrift Der Schlesier vors Gesicht. Becker, der als PR-Berater in Hamburg arbeitet, kam in Burschenschaftskluft, dazu trug er einen Button am Revers, auf dem ein durchgestrichenes Hakenkreuz zu sehen war. Es ist wohl das erste Mal, dass zwei Burschenschafter einen solchen Streit vor Gericht ausfechten. In der Verhandlung vor dem Landgericht Bonn geht es mitnichten nur um eine vermeintliche Ehrverletzung Weidners. Der Prozess ist der bisherige Höhepunkt einer seit Monaten eskalierenden Auseinandersetzung im Dachverband der Verbindungen, der Deutschen Burschenschaft (DB). Die Vereinigung steht vor der Spaltung, in ihr streiten der rechtsextreme und der konservativ-liberale Flügel um die Herrschaft über das Verbindungswesen. Der Rechtsstreit zwischen Becker und Weidner ist also hochgradig politisch aufgeladen, zumal Weidner der »Schrift­leiter« (Chefredakteur) der Verbandszeitung Burschenschaftliche Blätter ist. Wie die Zeitung politisch einzuordnen ist, zeigt schon ein kurzer Blick in die aktuelle Ausgabe. »Schieflagen bei den deutschpolnischen Beziehungen – Wenigstens die Beutekunst sollte an Deutschland zurück­gegeben werden!« lautet der Titel eines Artikels. In einer Rundmail hatte Becker geschrieben, Weidner sei »höchstwahrscheinlich einer der Köpfe der rechtsextremen Bewegung, die aus Burschenschaften, NPD und Kameradschaften besteht«. Das könne er anhand einer Vielzahl von Fakten, die die Initiative zusammengetragen habe, belegen. Journalisten erklärte er seine Strategie, die Burschenschaften nazifrei zu machen, so: »Erst wollen wir die Nazis auf die Palme bringen, dann vor den Kadi.« Tatsächlich hat der 39jährige Weidner eine astreine Nazibiographie vorzuweisen. Mit 15 Jahren stieß er über die Wiking-Jugend und die Skinhead-Szene zur später verbotenen Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP). Mit Anfang 20 gehörte er nach Recherchen antifaschistischer Initiativen zum Führungszirkel der militanten deutschen Naziszene. Er war in der Parteileitung der FAP zuständig für Auslandskontakte, war Mitglied im Vorstand der Hilfsgemeinschaft für nationale politische Gefangene (HNG) und saß im Wunsiedel-Komitee, das den jährlichen »Rudolf-Hess-Marsch« veranstaltete. Doch 1995 will er sich nach eigenen Angaben aus der Naziszene zurückgezogen haben – aber »nicht ausgestiegen« sein, wie er in Interviews klarstellte. »Mein Mandant ist kein Rechtsextremist mehr«, sagte Weidners Anwalt am Rand der Verhandlung in Bonn. Seine Burschenschaft, die Raczeks, ist eine sogenannte pflichtschlagende Verbindung, alle Mitglieder müssen drei »Mensuren«, also Fechtkämpfe, austragen, ihr Wahlspruch lautet »Gott, Ehre, Freiheit, Vaterland«. Im vergangenen Jahr provozierten die Raczeks einen heftigen Eklat im Burschenmilieu: Sie beantragten, die Verbindung Hansea Mannheim aus der DB auszuschließen, da diese den aus einer chinesischen Familie stammenden Studenten Kai Ming Au aufgenommen hatte. Au war den Raczeks offensichtlich nicht arisch genug: Als Angehöriger einer »außereuropäischen populationsgenetischen Gruppierung« könne er nicht von der deutschen »geschichtlichen Schicksalsgemeinschaft« abstammen (Jungle World 23/2011 und 25/2011). Die Forderung kam schlecht an: Nach heftigen Protesten und Solidaritätsbekundungen vieler liberaler Verbindungen zogen die Raczeks ihren Antrag zurück. Im April sorgte Weidner, der als Schriftleiter bei den Burschenschaftlichen Blättern Nachfolger des österreichischen Holocaustleugners Herwig Nachtmann ist, für einen weiteren Skandal. In einem Leserbrief an die Mitgliederzeitung der Raczeks nannte er den Theologen und NS-Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer einen »Volksverräter«. Bonhoeffer war von einem SS-Gericht ohne Verteidigung, ohne schriftliche Aufzeichnung und mit einem KZ-Kommandanten als Beisitzer wenige Tage vor Kriegsende zum Tode verurteilt worden. Weidner schrieb dazu: »Rein juristisch halte ich die Verurteilung für gerecht­fertigt.« Die Staatsanwaltschaft nahm deshalb Ermittlungen wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener auf. Und auch die FDP, der Weidner 1999 beigetreten war, wurde auf dessen Gesinnung aufmerksam. Der nordrhein-westfälische Landessprecher Moritz Kracht nannte Weidner eine »klassische Karteileiche«. »Die Positionen von Herrn Weidner sind nicht FDP-kompatibel«, sagte er. Die Partei leitete ein Ausschlussverfahren ein. Zum Burschenschaftstag Anfang Juni in Eisenach riefen die liberaleren Verbindungsbrüder – darunter Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU), »Alter Herr« der Münchener Burschenschaft Franco Germania – zum Sturz Weidners auf. In einer Erklärung verurteilten etwa 400 Unterzeichner seine Äußerungen zu Bonhoeffer aufs Schärfste und forderten seine Abwahl als Chefredakteur der Zeitung der DB, in der 120 Verbindungen und ungefähr 10 000 Burschen organisiert sind. In dem Milieu, dem Verschwiegenheit und Geschlossenheit überaus wichtig sind, war dies ein beispielloser Vorgang. Weidner habe der DB »schweren Schaden« zugefügt und die »politischen und moralischen Grenzen klar überschritten, die der burschenschaftliche Grundsatz der Ehre setzt«, heißt es in der Erklärung. Doch das sahen in Eisenach längst nicht alle so: Der Putschversuch scheiterte, wenn auch mit knappem Ergebnis. Da Weidner und seine Unterstützer sich durchsetzen konnten, steht die durch steten Mitgliederschwund ohnehin geschwächte DB vor der Spaltung. Der liberale DB-Pressereferent Michael Schmidt erklärte seinen Rücktritt. Den Erfolg der Rechtsextremen könne man »nicht schönreden«, sagte er Spiegel Online, und prognostizierte, dass zahlreiche Burschenschaften aus dem Dachverband austreten würden. Vier weitere Liberale aus dem DB-Vorstand folgten Schmidts Beispiel, zu den neuen Vorstandswahlen traten Vertreter des liberalen Flügels gar nicht erst an. Der seit Jahrzehnten innerhalb der DB schwelende Streit zwischen der Burschenschaftlichen Gemeinschaft (BG), einem Zusammenschluss von mehr über 40 Bünden, der für völkische und rassistische Positionen steht, und den liberaleren Bünden dürfte sich zugunsten der Rechtsextremen entscheiden. Unter diesen Vorzeichen wird das bei Redaktionsschluss der Jungle World noch nicht verkündete Urteil in dem Verfahren gegen Becker erwartet. Prozessbeobachter gehen aber davon aus, dass Weidner unterliegen wird. Die Richter hatten während der kurzen Verhandlung angedeutet, dass Beckers Äußerungen vom Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt sein dürfte.