Die Rolle der BRD bei der Flüchtlingsabwehr im Mittelmeer

V-Männer gegen die Reisefreiheit

Mehrere Freihandelsabkommen zum Ausverkauf Tunesiens werden vom Ausbau der Sicherheitszusammenarbeit flankiert. Die Bundespolizei und das Bundeskriminalamt sind bereits vor Ort.

Wenige Monate nach den Aufständen in mehreren arabischen Staaten hat die EU-Kommission in einem Diskussionspapier auf den Abschluss umfassender Freihandelsabkommen gedrungen. Während Tunesien vollständig in den EU-Binnenmarkt integriert werden soll, sind für Ägypten, Marokko und Jordanien Freihandelszonen vorgesehen. Insbesondere in den Sektoren Güterhandel, Agrarprodukte und Dienstleistungen sollen ausländische Investitionen erleichtert werden. Die Verhandlungen mit Tunesien werden von einer »Task Force« angebahnt, der die Europäische Kommission, die EU-Mitgliedstaaten und der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) sowie zahlreiche internationale Finanzinstitutionen und Unternehmen angehören. An der Ausbeutung der Bodenschätze sind die tunesischen Ableger von British Gas und Gas de France interessiert. Aber auch zahlreiche europäische Rüstungsfirmen, unter ihnen Siemens, der italienische Industriekonzern Finmeccanica und das spanische IT-Unternehmen Indra Sistemas, drängen auf den tu­nesischen Markt. Die sogenannte Zivilgesellschaft ist in der »Task Force« kaum vertreten. Lediglich Angehörige des tunesischen Gewerkschaftsbundes UGTT und Mitglieder des Europäischen Parlaments dürfen teilnehmen.
Beim »Dialog zu Migration, Mobilität und Sicherheit« fehlt die Zivilgesellschaft ganz. Beteiligt sind die tunesischen Ministerien für Verteidigung, Inneres, Justiz, Arbeit und Entwicklung. Neben dem zivil-militärischen EAD verhandeln die EU-Polizeiagenturen Frontex und Europol über die sicherheitspolitische Zusammenarbeit. Frontex ist mit dem Abschluss eines Arbeitsabkommens beauftragt. Demnach könnten tunesische Behörden in gemeinsame Operationen eingebunden werden, die Frontex diesen Monat – bislang noch außerhalb der tunesischen Hoheitsgewässer – fortführen will.
Die Problematik auf dem Mittelmeer vermisster und ertrunkener Migranten wird in dem »Dialog zu Migration, Mobilität und Sicherheit« ausgespart, obwohl dies Tausende Familien in Tunesien betrifft. Demgegenüber dürfte die EU großes ­Interesse an einem »Rückführungsabkommen« hegen, um jene unerwünschten Migranten, die es über das Mittelmeer geschafft haben, leichter abschieben zu können. Zurzeit existieren der­artige Regelungen nur zwischen einzelnen Regierungen. Tunesien hat jedoch vorige Woche angekündigt, alle derartigen Abkommen zu überprüfen und womöglich zu annullieren.
Vor allem mit Italien betreibt Tunesien eine operative bilaterale Zusammenarbeit im Bereich der Grenzsicherung. Kurz nach der Revolution hatte die Regierung in Rom eilig zwei Küstenwachschiffe geliefert. Allein im Juni wurden 13 Versuche unterbunden, das Land per Boot zu verlassen. 112 Migranten wurden verhaftet.
Auch das deutsche Bundesinnenministerium (BMI) ist an erweiterter Zusammenarbeit interessiert. Im Mai hatte eine Delegation das Land besucht und sich auch mit grenzpolizeilichen Behörden getroffen. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion erklärt die Bundesregierung, dass zuvor die Entsendung eines Verbindungsbeamten der Bundespolizei »auf diplomatischem Wege« vereinbart wurde. Die Bundespolizei ist an den Frontex-Missionen beteiligt und soll das BMI ebenso wie tunesische Behörden mit »Lageerkenntnissen über illegale Migration« beliefern. Schon vorher hatte auch das Bundeskriminalamt (BKA) einen Verbindungsbeamten nach Tunesien entsandt, der in die internationale Polizeiorganisation Interpol eingebunden ist. Zwar haben die deutschen Polizisten in Tunesien keine exekutiven Befugnisse. Dennoch ist der BKA-Beamte »ermittlungsinitiierend« und »ermittlungsunterstützend« tätig, arbeitet also eng mit dem tunesischen Polizeiapparat zusammen. Zu seinen weiteren Aufgaben gehören die »Aufklärungs- und Unterstützungstätigkeit« und »Informationssammlung und -auswertung«. Vorgesehen sind auch deutsche Ausbildungs- und Ausstattungshilfen für verschiedene Polizeibehörden, die mit der »Stabilisierung und Demokratisierung des Landes« begründet werden. Inwiefern hierzu ausgerechnet die Bundespolizei oder das BKA etwas beitragen können, erklärt die Bundesregierung nicht.