Die Ziele der säkularen Opposition

Es gibt keinen Bürgerkrieg

Die Mitglieder der syrischen Demokratiebewegung wollen nicht, dass der Kampf gegen das Regime als Krieg zwischen den Konfessionen dargestellt wird.

Die Kamera fährt über die Rücken bunt vermummter Aktivisten. Sie sitzen vor Computern oder schreiben Slogans auf Zettel, versehen sie mit Klebeband. Schließlich bleibt die Kamera an einem gerahmten Bild über dem Computer stehen: Es zeigt Jesus mit Lämmchen im Arm. »Christen und Muslime kämpfen gemeinsam«, sagt die Off-Stimme.
Den kurzen Film hat das Lokalkomitee der syrischen Stadt Lattakia erstellt. Fast alle Berichte, die syrische Aktivisten derzeit der deutschen Unterstützungsorganisation »Syrischer Frühling – Adopt a Revolution« schicken, haben die gleiche Botschaft: Es gibt keinen Bürgerkrieg zwischen den Konfessionen. »Wir wollen dem Bild eines religiösen Konflikts, wie das Regime die Revolution immer rhetorisch beschreibt, widersprechen«, schreibt etwa das Lokalkomitee von Suwaida, ­einer Stadt am Fuße des Bergs Djebel Druze.
Auch in westlichen Medien erscheint der Konflikt immer mehr als Auseinandersetzung zwischen sunnitischen Muslimen auf der einen Seite und Christen und alawitischen Muslimen auf der anderen. Christen hätten Aleppo in Panik verlassen, sie hätten Angst, in Syrien könnte sich eine Christenverfolgung wie im Irak nach 2003 ereignen, berichten Reporter. Es habe Hinrichtungen von Christen gegeben, sagte ein Repräsentant der syrisch-orthodoxen Kirche in Deutschland der Bild-Zeitung. Der Chef der Münchener Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, urteilte im Deutschlandfunk vergangene Woche: »Aus dem Aufstand gegen das syrische Regime ist inzwischen ein Bürgerkrieg, ein sunnitisch-schiitischer Religionskrieg geworden.«
Von Anfang an hat das syrische Regime versucht, den Widerstand als Erhebung der Sunniten, der größten religiösen Gruppe des Landes, darzustellen. Die Schriftstellerin Samar Yazbek schreibt in ihrem Revolutionsbericht mit dem Titel »Schrei nach Freiheit«, es gebe deutliche Anhaltspunkte dafür, dass Angriffe auf alawitische Dörfer von regimetreuen Shabiha-Milizen verübt worden seien, die sich als sunnitische Rebellen ausgaben. Das war vor einem Jahr.

Der seit Februar inhaftierte Blogger Hussein Gher hatte vor seiner Verhaftung der Jungle World erzählt, in Damaskus legten es die Sicherheitskräfte darauf an, als Alawiten erkannt zu werden: »Sie beschimpfen uns bei Verhaftungen in alawitischem Dialekt.« Nach wie vor setzt die Demokratiebewegung alles daran, einer konfessionellen Spaltung entgegenzuwirken.
Doch hat sie gefährliche Konkurrenz bekommen. Jihadisten kämpfen auf Seiten der Freien Syrischen Armee. Saudi-Arabien und Katar schicken seit Monaten viel Geld und Waffen nach Syrien, um Assad zu beseitigen, wohl aber kaum, um einer demokratischen Bewegung zum Erfolg zu verhelfen. Dem saudischen Innenminister zufolge brachten seine Landsleute allein bei einer fünftägigen Spendenaktion 72 Millionen Dollar auf. »Adopt a Revolution« sammelt monatlich rund 30 000 Euro ein, um zwei Dutzend Lokalkomitees zu unterstützen. Viele Komitees sagen, es sei die einzige Unterstützung, die sie überhaupt erhielten.

Als echte Gefahr sehen die syrischen Demokraten die militanten Islamisten allerdings nicht. »Es gibt jetzt zwar diese radikalen Milizen, aber sie haben in der Gesellschaft keinen Rückhalt«, glaubt etwa Jawad al-Khateeb, ein Sprecher der Studentenkomitees. Auch Reporter vor Ort berichten, der radikale Islamismus sei in Syrien nicht heimisch. Der Niederländer Jeoren Oerleman wurde von Jihadisten gefangen genommen, als er über die grüne Grenze im Norden wollte. »Es war kein einziger Syrer unter ihnen«, erzählte er später im niederländischen Fernsehen NOS. »Es waren alles junge Leute aus anderen Ländern, aus Afrika, aus Tschetschenien.« Angst vor einem Bürgerkrieg hat al-Khateeb trotzdem. »Wir haben angefangen, uns auf die Übergangsphase nach Assad vorzubereiten«, erzählt er. »Wir dürfen uns nichts vormachen: Es könnte auch zu einem Bürgerkrieg kommen.« Damit meint er aber keinen Krieg zwischen den Konfessionen, sondern: »Die Shabiha-Milizen könnten weiterkämpfen.« Doch für wahrscheinlich hält er das nicht. »Natürlich wird es wie in jeder Gesellschaft, die von einer Phase in die nächste übergeht, zu ein wenig Chaos kommen. Aber die Menschen wollen sich vorwärts bewegen, eine neue Gesellschaft aufbauen.«
Die Zeit nach der Revolution beschäftigt alle Oppositionsgruppen. Der jüngste Versuch, in Kairo eine Übergangsregierung für Syrien zusammenzustellen, führte allerdings bisher nur zu neuem Streit in der Exilopposition. Die Oppositionellen in Syrien gehen die Sache praktischer an. »Wir arbeiten derzeit 24 Stunden am Tag daran, Aktivisten in allen Universitäten vorzubereiten und zu schulen«, sagt al-Khateeb. »An jeder Fakultät sollen rund 30 respektierte Aktivistinnen und Aktivisten die Kontrolle übernehmen, sobald das Regime fällt.« Er erläutert, was das genau heißt: »Die Angestellten in der Verwaltung sind in der Regel Mitglieder der Ba’ath-Partei. Daher muss sichergestellt werden, dass die Studenten nach anderthalb Jahren Revolution wieder ihre Studien aufnehmen können. Wir brauchen möglicherweise Sicherheitskontrollen an den Toren. Es muss den Studenten, die im Gefängnis waren, geholfen werden, damit sie zurück in ihr Leben finden.«