Wahlkampf in Venezuela

Zittern um Chávez

In Venezuela hat der Präsidentschaftswahlkampf begonnen. Der Gesundheitszustand von Hugo Chávez macht nicht nur seinen Anhängern im eigenen Land Sorgen. Vor allem Kuba könnte einen wichtigen Verbündeten verlieren.

»Der Beitritt hätte schon viel früher stattfinden müssen«, erklärte der venezolanische Präsident Hugo Chávez am Dienstag vergangener Woche, als endgültig feststand, dass Venezuela nach langen Jahren des Wartens Vollmitglied im südamerikanischen Wirtschaftsbündnis Mercosur werden wird. Die Entscheidung wurde in der brasilianischen Hauptstadt Brasília getroffen und bekanntgegeben, anwesend waren Chávez, Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff, ihre argentinische Amtskollegin Cristina Fernández Kirchner und Uruguays Präsident José Mujica. Es fehlte Paraguays Präsident Fernando Lugo. Er war am 22. Juni unter fragwürdigen Umständen vom Parlament seines Amtes enthoben worden (Jungle World 27/2012). Daraufhin wurde Paraguays Mitgliedschaft im Mercosur ausgesetzt, was nicht nur von der venezolanischen Regierung begrüßt wurde, von der die Absetzung Lugos besonders scharf kritisiert worden war. An Paraguays Parlament war die Aufnahme Venezuelas in Lateinamerikas wichtigstes Wirtschaftsbündnis immer wieder gescheitert, weil die entsprechenden Dokumente nicht ratifiziert wurden.
Darauf spielte Chávez auch an, als er sich zum nun beschlossenen Beitritt Venezuelas äußerte. Die Aufnahme verschafft ihm Sympathien im Präsidentschaftswahlkampf, der am 1. Juli begonnen hat. Für diesen muss Chávez, der am 29. Juli seinen 58. Geburtstag in der Stadt Petare im Ballungsgebiet von Caracas öffentlich feierte, alle Kräfte nutzen, die ihm zur Verfügung stehen. Die Wahl findet zwar erst am 7. Oktober statt, in den vergangenen neun Monaten war er wegen seiner Krebserkrankung aber öffentlich wenig präsent. Inzwischen wirkt er bei seinen wieder häufiger stattfindenden Auftritten deutlich kraftvoller. Als geheilt vom Krebs hat er sich bezeichnet, er strebt eine dritte Amtszeit an. Doch die Zweifel, ob der Krebs, der mit drei Operationen und einer Strahlentherapie in Kuba bekämpft wurde, endgültig besiegt ist, bleiben bestehen. Dafür hat auch die nicht immer transparente Informationspolitik des seit 1999 regierenden Präsidenten gesorgt. Anfangs sprach Chávez nur sehr zögerlich über seine Erkrankung und erweckte so den Eindruck, er verberge wichtige Informationen vor seinen Anhängern. Diese wollen Gewissheit, ob er gesund genug für eine weitere sechsjährige Amtszeit ist.

Schließlich hat sich die Opposition in Venezuela erstmals mit Henrique Capriles auf einen aussichtsreichen Kandidaten einigen können, der nicht übermäßig polarisiert. Capriles, ehemaliger Gouverneur des Bundesstaates Miranda, ist politisch erfahren und in Caracas als ehemaliger Bürgermeister des Stadtbezirks Baruta sehr bekannt. Der 39jährige Anwalt will stärker in das Bildungssystem investieren und konnte damit im Bundesstaat Miranda bereits erste Erfolge erzielen. Sein politisches Programm, das auch Pläne zur Bekämpfung der Kriminalität und zur Förderung des Tourismus enthält, ist sehr populär. Im Übrigen kündigte er an, dass im Falle seines Wahlsiegs kein Öl mehr an andere Staaten »verschenkt« werden solle. Interessant ist auch, dass der Sohn einer jüdisch-katholischen Familie sich auf Brasiliens ehemaligen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva als Vorbild beruft.
In Venezuela hat Capriles seine Herkunft teils heftige Anfeindungen eingebracht. So titelte der Regierungssender Radio Nacional de Venezuela auf seiner Website »Der Feind ist der Zionismus« – was einen Eklat verursachte, der eine kritische Intervention des Simon-Wiesenthal-Zentrums nach sich zog. Tatsache ist jedenfalls, dass die Opposition die Regierungspolitik in allen Bereichen stark kritisiert. Vor allem die Wirtschaftspolitik sei eine Katastrophe, das Land werde systematisch heruntergewirtschaftet und die Reichtümer würden verschleudert. Die Sozialhistorikerin Margarita López Maya meint, diese Vorwürfe seien alles andere als haltlos. Sie beurteilt die ökonomische Bilanz nach 13 Jahren Chávez als bescheiden. So ist trotz aller Ankündigungen, die Produktivität der Landwirtschaft wieder zu erhöhen und die Importabhängigkeit zu verringern, das Gegenteil eingetreten.

Die Opposition spricht daher immer wieder von einer »Kubanisierung« Venezuelas. »In Kuba steigen die Ausgaben für Lebensmittelimporte trotz aller Reformen wieder«, sagt Oscar Espinosa Chepe. Der kubanische Ökonom, der einst für die Zentralbank arbeitete, seit Mitte der neunziger Jahre jedoch zu den international bekannten Dissidenten gehört, bescheinigt den jüngsten Reformen der kubanischen Regierung unter Raúl Cas­tro wenig Erfolg. »Die Landwirtschaft ist immer noch nicht auf die Beine gekommen und angekündigte Reformen lassen weiter auf sich warten. Das führt zu finanziellen Engpässen und zu neuen Importen«, sagt er. Auf 1,7 Milliarden US-Dollar schätzt die kubanische Regierung die Ausgaben für den Import von Lebensmitteln in diesem Jahr – Tendenz steigend. Das kann sie sich aber immer weniger leisten, denn Gönner wie Venezuela, das Kuba mit der Lieferung von rund 90 000 Barrel Erdöl zu Sonderkonditionen tagtäglich unterstützt, stehen nicht eben Schlange. Angesichts der Gesundheitsprobleme von Chávez und des ungewissen Wahlausgangs im Oktober in Venezuela sei Castro im Juli ungewöhnlich lange im Ausland unterwegs gewesen, um sich bestehender Verbündeter zu versichern und alte Partnerschaften zu erneuern, meint Espinosa Chepe. In Vietnam sah Castro sich Reformprojekte an, danach ging es weiter nach China und Russland. In Kuba wurde die Reise ausgesprochen positiv dargestellt, denn Castro brachte Kredit- und Investitionszusagen mit. So hat China, nach Venezuela Kubas wichtigster Handelspartner, neue Entwicklungskredite zugesagt, und aus Russland soll es Investitionen in der Ölindustrie in Höhe von 2,5 Milliarden US-Dollar geben. In diesem Sektor gab es in den vergangenen Monaten Probleme, denn obwohl seit Dezember 2011 eine moderne Bohrinsel vor der Küste Kubas im Golf von Mexiko in Betrieb ist, sind die ersten Ergebnisse wenig ermutigend. So hat sich das spanische Erdölunternehmen Repsol nach zwei erfolglosen Bohrungen entschieden, den Standort Kuba aufzugeben. Da kommt die Investitionszusage aus Russland wie gerufen, schließlich weiß niemand, ob Venezuelas Staatskonzern PdVSA sein Engagement bei der Exploration und der Verarbeitung von Erdöl in Kuba aufrechterhalten wird, wenn es einen Wechsel im Präsidentenamt geben sollte. Die guten Beziehungen sind eng an die Person Chávez geknüpft.

Eine Alternative für Kubas marode und von Außenzuflüssen abhängige Wirtschaft ist deshalb überlebensnotwendig. Castro scheint in dieser Hinsicht mit dem Besuch bei den alten Freunden mehr oder minder Erfolg gehabt zu haben. Kuba ist allerdings nicht das einzige Land, das von den Zuflüssen aus Caracas profitiert. Auch Nicaragua und in weitaus geringerem Umfang Bolivien erfreuen sich seit langem der Unterstützung aus dem Erdölland Venezuela. Dessen Erdölvorräte sind so groß, dass beim derzeitigen Fördervolumen noch 200 Jahre lang mit stabilen Öllieferungen zu rechnen ist. Das sei auch ein Grund, weshalb Venezuela inzwischen ein gern gesehener Partner im Mercosur sei, ließ Chávez wissen. Venezuela werde als erdölreiches Mitglied den Mercosur stärken und im Gegenzug mit Hilfe des Wirtschaftsbündnisses seine industrielle und landwirtschaftliche Entwicklung vorantreiben. Diese Versprechungen könnten sich im laufenden Wahlkampf als vorteilhaft für den venezolanischen Präsidenten erweisen.