Spanische Gewerkschaften gegen die Sparpolitik

Die Zeche geprellt

Spanische Gewerkschaften versuchen, den Protest gegen die Sparpolitik zu verstärken. Eine republikanische Vereinigung fordert auch die Begleichung der deutschen Schulden aus der Zeit der franquistischen Diktatur.

Juan Manuel Sánchez Gordillo ist derzeit wohl der bekannteste Kommunist Spaniens. Der 60jährige ist seit 1979 Bürgermeister der andalusischen Gemeinde Marinaleda. Sowohl die Arbeit als auch der Hausbau werden dort kooperativ organisiert und regelmäßig werden brachliegende Ländereien besetzt. Wegen dieser ungewöhnlichen Kommunalpolitik wurde bereits mehrfach interna­tional über Sánchez Gordillo berichtet – immerhin liegt die Arbeitslosigkeit in der Gemeinde mit 3 000 Einwohnern mit zehn Prozent weit unter dem spanischen Durchschnitt. Wegen seines revolutionären Habitus wurde Sánchez bisher aber nicht sonderlich ernst genommen. Bis er vergangene Woche mit 200 Mitgliedern der andalusischen Gewerkschaft SAT über eine Tonne Lebensmittel aus zwei Supermärkten in Sevilla und Cádiz stahl und an Bedürftige verteilte.

»Wir haben die Enteigner enteignet« und »Diese Krise zahlen die Kapitalisten« riefen die Gewerkschaftsmitglieder Medienberichten zufolge, während sie die vollen Einkaufswagen an den Kassen vorbeischoben. »Wenn die Reichen klauen, wird es Krise genannt, aber wenn du ein Huhn oder im Supermarkt klaust, bist du ein Dieb«, rechtfertigte Sánchez Gordillo, der zugleich Vorstandsmitglied der SAT sowie Abgeordneter des Parteienbündnisses Vereinigte Linke im Regionalparlament ist, die Aktion.
Die milliardenschwere Rettung der spanischen Banken konnte das »Vertrauen der Märkte« bisher nicht wiederherstellen, während die angekündigten Sparprogramme der konservativen Regierung das Land noch weiter in die Rezession treiben werden. In dem halbjährlichen Haushaltsbericht, den Ministerpräsident Mariano Rajoy vergangene Woche nach Brüssel geschickt hat, werden Sparmaßnahmen in Höhe von 102 Milliarden Euro bis zum Jahr 2014 aufgelistet. Das sind 57 Prozent mehr als die bereits Anfang Juli angekündigten Einsparungen, die zu großen Protesten geführt hatten (Jungle World 30/2012).
Wie jüngst bekannt wurde, waren Cándido Méndez und Ignacio Fernández Toxo, die Vorsitzenden der beiden großen Gewerkschaften UGT und CCOO, Anfang Juli sogar persönlich in Berlin bei Angela Merkel vorstellig geworden, um Einfluss auf die katastrophale Krisenpolitik zu nehmen. Begleitet vom Vorsitzenden des DGB, Michael Sommer, legten sie der Bundeskanzlerin ihre Sicht der ökonomischen Situation in Spanien dar. Erst drei Wochen später, und vermutlich durch die Vermittlung Merkels, gab es ein Treffen der spanischen Gewerkschaften mit Rajoy. Für die Gewerkschaften scheint klar zu sein, dass die eigene Regierung weder über den Willen noch über die Möglichkeiten verfügt, dem recorterrorismo (»Kürzungsterrorismus«) Einhalt zu gebieten. Zugleich versuchen CCOO und UGT, zivilgesellschaftlichen Widerstand zu organisieren. Ende Juli wurde auf ihre Initiative hin ein Sozialgipfel ins Leben gerufen, an dem sich mehr als 200 Gewerkschaften und soziale Organisationen beteiligten. »So kann es nicht weitergehen. Der Moment ist gekommen, ›Es reicht!‹ zu sagen«, heißt es in deren Manifest. Die erste Demonstration soll am 15. September in Madrid stattfinden, die Entscheidung über den nächsten Generalstreik steht hingegen noch aus. Die nächsten Monate werdem konfliktreich bleiben, selbst Innenminister Jorge Fernández Díaz erwartet einen »heißen Herbst«.

Mit einer etwas anderen Sicht der Dinge meldete sich vor zwei Wochen die republikanische Vereinigung Asociación para la Recuperación de la Memoria Histórica (ARMH) in einem offenen Brief an Merkel zu Wort: »Seit Monaten hören wir uns die Rede von der Begleichung der spanischen Schuld gegenüber Deutschland an, dabei gibt es auch eine enorme Schuld des Landes, dessen Kanzlerin Sie sind, gegenüber den Opfern der franquistischen Diktatur in Spanien.« Die »Unterstützung der spanischen Faschisten durch das deutsche Militär« habe zum Sieg der Franquisten und der Einrichtung einer »blutigen Diktatur« beigetragen, zudem habe Spanien den deutschen Nazis dazu gedient, neue Strategien und Waffen gegen die Zivilbevölkerung zu erproben. In dem Brief, der auch an Bundespräsident Joachim Gauck und den Ausschuss für Menschenrechte des Bundestages geschickt wurde, wird die deutsche Regierung aufgefordert, öffentlich die historische Verantwortung für die Beteiligung an den franquistischen Verbrechen zu übernehmen.
Die Organisation hatte sich in den vergangenen Jahren bereits mehrmals mit dieser Forderung an die deutsche und die italienische Regierung gewandt. Im Gegensatz zu Frankreich, das die spanischen Gefangenen des Konzentrationslagers Mauthausen entschädigt habe, sei aus Deutschland bis auf eine »unzureichende Geste« im Zusammenhang mit der Bombardierung der bas­kischen Stadt Gernika durch die deutsche Legion Condor bisher nichts gekommen, sagt Emilio Silva, Vorsitzender der ARMH. »Die Verbindungen zwischen den Nazis und Franco waren weit enger als man glaubt«, so Silva. Dazu zähle sowohl die große Präsenz deutscher Truppen in Spanien als auch die Internierung republikanischer Gefangener in Konzentrationslagern der Nazis. Über 10 000 »Rotspanier« wurden in Konzentrations­lager verschleppt, nur die Hälfte überlebte die Haft. Die Überlebenden konnten nach ihrer Befreiung weitere 30 Jahre nicht nach Spanien zurückkehren, da Franco – mit deutscher Hilfe – den Bürgerkrieg gewonnen hatte.
Die deutsche Regierung hat bisher nicht auf den Brief geantwortet. Während des Treffens in Berlin soll Merkel der Zeitung El País zufolge gegenüber den spanischen Gewerkschaftsvertretern beteuert haben, dass ihr die Reichweite der Maßnahmen gegen die Krise nicht bewusst gewesen sei. Die Antwort auf die Frage nach der deutschen Beteiligung an den franquistischen Verbrechen würde wahrscheinlich ähnlich ausfallen.