Eine Biographie über Woody Guthrie

Als Gitarren töteten

Woody Guthrie ist nicht nur das große Vorbild von Bob Dylan, Pete Seeger und Billy Bragg. Er lieferte auch den Soundtrack der sozialen Bewegungen des 20. Jahrhunderts in den USA. Die Soziologin Barbara Mürdter hat aus Anlass seines 100. Geburtstages eine Biographie über den Singer-Songwriter veröffentlicht.

Seltsam, dass in der gegenwärtigen Debatte über Copyright und die Verwertungsrechte an Musik noch niemand Bezug auf Woody Guthrie genommen hat, dessen entspannter Umgang mit dem eigenen Werk aus einem Vermerk in einem Songbook ablesbar ist: »Dieser Song ist mit dem US-Copyright # 154085 für 28 Jahre geschützt, und wer dabei erwischt wird, ihn ohne Erlaubnis zu singen, wird ein ganz großer Freund von uns sein, weil wir einen feuchten Furz darauf geben. Schreibt es, singt es, swingt es, jodelt es. Wir haben es geschrieben, das ist alles, was wir machen wollten.« So wie Guthrie sich selbst aus dem Fundus der US-amerikanischen Musikgeschichte bediente, wollte er seine eigenen Songs über die Sorgen der »kleinen Leute« auch an diese weitergeben. Als er, Mitte der dreißiger Jahre, diese Bemerkung macht, ist das politische Bewusstsein des von Billy Bragg als »Vater des politischen Liedes« bezeichneten Guthrie allerdings noch nicht besonders ausgeprägt. In ihrer anlässlich seines diesjährigen 100. Geburtstages erschienenen Biographie schreibt Barbara Mürdter über die Songs aus dieser Schaffensperiode: »Zumeist handelte es sich um eine Aufarbeitung vorhandener Songtexte und Klischees, die noch wenig literarische oder gar politische Qualität hatten.« Lediglich in einigen Songs deutet sich ein Unmut über die soziale Lage der Menschen in den ländlichen Gebieten der Vereinigten Staaten in den Jahren nach der Weltwirtschaftskrise an. Dieser Unmut artikuliert sich aber weniger in der reflektierten politischen Analyse, sondern vielmehr als ein Zorn auf »die da oben«. In dem Stück »If I Was Everything on Earth« stellt Guthrie sich vor, was er alles tun würde, wenn er an Franklin D. Roosevelts Stelle Präsident wäre. Nicht nur kostenlose Kleidung und Lebensmittel würde er verteilen, sondern auch die Ölbosse erschießen. Damit distanziert er sich zwar vom konservativen Lebensstil seines Vaters, der nach Guthries Erinnerungen an einem Lynchmord beteiligt und Mitglied des Ku-Klux-Klans war, ist aber noch weit von der Radikalität der späteren Jahre entfernt. In ihrem Buch beschreibt Mürdter die Entwicklung Woody Guthries vom politisch unbedarften Landei aus Oklahoma zu dem Mann, über den Bob Dylan – der ihn in seinen letzten, von der unheilbaren Huntington-Krankheit bestimmten Jahren regelmäßig besuchte – gesagt hat: »Der erste nennenswerte Song, den ich schrieb, war Woody Guthrie gewidmet.« Die Autorin verbindet die persönliche Entwicklungsgeschichte des Musikers mit der Historie der Vereinigten Staaten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und versteht Guthries Lieder als »Brücke zwischen der agrarisch geprägten Welt und dem entwickelten Industriezeitalter«.
Den typischen Weg der Migration aus dem Mittleren Westen in die urbanen Zentren hat Guthrie selbst beschritten, wenn auch mit vielen Zwischenstationen, Umwegen und Rück­zügen. Er wird 1912 in Oklahoma geboren, seine Eltern gehören der Mittelschicht an. Sein Vater engagiert sich in der damals noch rassistisch und industriefeindlich geprägten Demokratischen Partei. Die Familie Guthrie lebt von den Landspekulationen des Vaters. Das Geschäft bricht in den frühen Zwanzigern jedoch zusammen. Die an der Huntington-Krankheit erkrankte Mutter ist nach einem Mordversuch an ihrem Mann in der Irrenanstalt des Bundesstaates untergebracht, Woodys Geschwister leben bei Verwandten. Vater und Sohn ziehen 1929 nach Pampa in Texas und arbeiten dort in einer Herberge für Ölarbeiter, zu der auch ein Bordell gehört. Guthrie beginnt, Gitarre zu spielen, gründet mit dem Mitschüler Matt Jennings seine erste Band, das Corncob Trio, und heiratet 1933 Matts jüngere Schwester Mary.
In den folgenden Jahren bekommen die beiden drei Kinder, Guthrie gelangt in dieser Zeit zu der Erkenntnis, dass der bürgerliche Lebensstil der Kleinfamilie allem widerspricht, was ihn eigentlich interessiert. Seine Interessen jedoch sind noch nicht klar definiert und äußern sich lediglich diffus als Fernweh, Schimpfen auf »die da oben« und ersten Versuchen, Songs zu schreiben. Auch sonst scheint er auf der Suche, ist zutiefst christlich, beschäftigt sich mit fernöstlicher Philosophie, macht Yoga und betätigt sich sogar eine Weile als Wunderheiler. 1937 geht er schließlich nach Los Angeles, wo er schon bald, zunächst mit seinem Cousin Leon »Oklahoma Jack« Guthrie und später mit der Musikerin Maxine Crissman, eine Radiosendung beim kleinen linken Sender KFVD ergattert. Dort spielen sie Songs über die Folgen der Wirtschaftskrise und die Probleme der einfachen Bevölkerung des Mittleren Westens, die darunter leidet, dass die Prärie sich aufgrund falscher Bauwirtschaft in eine Wüste verwandelt hat.
Über 2,5 Millionen Menschen waren in den dreißiger Jahren wegen dieser Entwicklung von den ländlichen Gebieten in die urbanen Zentren der USA migriert, nachdem auch Roosevelts Politik des New Deal keine Wirkung zeigte. Crissman und Guthrie sind die ersten, die die Probleme der Menschen in ihrer Show »The Woody and Lefty Show« explizit thematisieren und aus kritischen Alltagsbeobachtungen und Zeitungsmeldungen tagesaktuelle Songs entwickeln. Gleichzeitig beginnt Guthrie in dieser Zeit, die eigene politische Prägung zu reflektieren und sich zu radikalisieren.
In einer Sendung spielt Guthrie den rassistischen Song »Run, Nigger, Run« von Uncle Dave Macon, woraufhin er den empörten Brief eines Hörers erhält. Mürdter schreibt zu dieser Episode: »Guthrie war schockiert. Der Begriff Nigger und die damit verbundenen rassistischen Implikationen waren in seinem Umfeld an der Tagesordnung und nichts, worüber man nachdachte. Er entschuldigte sich on air, zerriss für alle hörbar demonstrativ das Textblatt und versprach, den Song nie wieder zu spielen.« Als wichtigstes Zeugnis der Politisierung stellt Mürdter die journalistischen Arbeiten Guthries im Auftrag der Demokratischen Wahlkampf­zeitung Light: The Democratic Leader in der zweiten Jahreshälfte 1938 heraus. Guthrie reist als »Hobo-Korrespondent« durch den Bundesstaat Kalifornien, um über das Elend der Wanderarbeiter und anderer billiger Arbeitskräfte zu berichten. Das Leben und die Kultur der Hobos, der Wanderarbeiter, sind ihm nicht fremd, nachdem er bereits seit vielen Jahren immer wieder durch die Vereinigten Staaten getrampt ist. Angesichts von Streiks, Elend und den Bemühungen der im Zuge des New Deal entstandenen Gewerkschaften und kommunistischen Gruppierungen entwickelt Guthrie eine politische Haltung und sieht sich als Sprecher und Chronist dieser Menschen. Und vor allem beginnt er, auch angesichts der Entwicklungen in Europa, die eigenen Erfahrungen in einen größeren Kontext zu stellen: »Durch antifaschistische Flüchtlinge aus Europa, Spanienkämpfer und linke jüdische Amerikaner wurde er auf den Kampf gegen den Faschismus aufmerksam. Indem er auf den vergleichbaren Flüchtlingsstatus der anderen hinwies, begann er, seine Hörer für den Kampf der antifaschistischen Linken zu mobilisieren.« Er spielt für die Kommunistische Partei, beginnt dank der Vermittlung eines Freundes, des jüdischen Kommunisten Ed Robbin, für die Tageszeitung People’s World eine Kolumne zu schreiben, und geht schließlich 1940 nach New York, wo er im Februar sein erstes Konzert gibt, eine Spendensammlung zugunsten von Flüchtlingen des Spanischen Bürgerkriegs. Dank vieler neuer Kontakte bekommt er Radioaufträge, Plattenverträge und lernt schließlich 1942 seine große Liebe Marjorie Greenblatt Mazia kennen. Er nimmt seine berühmten Songs mit dem Musikarchivar Alan Lomax auf, spielt für den Betreiber des Labels Folkway Records, Moses Asch, im Laufe der Jahre über 300 Songs ein, verlässt New York, kehrt zurück, wird erneut mehrfacher Vater und bleibt gegenüber dem Großstadtleben skeptisch. Als er bei seiner ersten Flucht aus New York Ende 1941 die Auftragsarbeit annimmt, Songs für einen vom Innenministerium finanzierten Dokumentarfilm über den Bonneville-Staudamm zu komponieren, blüht Guthrie auf, so Mürdter, weil er den Kontakt mit den Arbeitern genießt und wieder einen Sinn in seiner Arbeit sieht: »Er mochte die ›echten‹ Männer, gestählte Körper, die harte physische Arbeit verrichteten, im Gegensatz zu den ›Weicheiern‹, den ›Sissys‹ aus der Unterhaltungsbranche.«
Kurz darauf steigt Guthrie bei der in New York in einer Kommune lebenden linken Folkband The Almanac Singers um Pete Seeger ein, die in einer FBI-Akte als »extrem unordentlich, ärmlich und schmutzig« beschrieben werden. Nachdem die Band 1941 zunächst das Antikriegsalbum »Songs for Jon Doe« aufgenommen hatte, stellte sie nach dem Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion und dem Angriff auf Pearl Harbour ihr Programm komplett um und produzierte patriotische Kriegslieder und Anti-Hitler-Songs. »This Machine Kills Fascists«, der berühmte Schriftzug auf Guthries Gitarre, stammt aus dieser Zeit. Gleichzeitig beschäftigt sich Guthrie mit dem Feminismus, schreibt zur Geburt seiner Tochter Cathy Anne 1943 ein 70seitiges Gedicht für sie, in dem er unter anderem die gleiche Bezahlung für Frauen und die völlige Gleichstellung der Geschlechter fordert.
Nach langer Krankheit stirbt Guthrie 1967 und macht posthum Karriere als »Stimme des anderen Amerika«. Sie erreicht ihren Höhepunkt bei der Amtseinführung von Barack Obama, als Pete Seeger gemeinsam mit Bruce Springsteen Guthries berühmtestes Lied »This Land is Your Land« (mit allen, auch den meist ausgelassenen Strophen gegen Privateigentum und über die Schattenseiten des Kapitalismus) in­tonierte. Barbara Mürdters Biographie zeigt vor allem den Kampf, die eigenen politischen Prägungen abzuschütteln, um tatsächlich ein Leben jenseits der Ordnung der bürgerlichen Gesellschaft zu führen und den Glauben daran nicht aufzugeben, dass Musik tatsächlich die Welt verändern und Faschisten töten kann.

Barbara Mürdter: Woody Guthrie. Die Stimme des anderen Amerika. Verlag Neues Leben, Berlin 2012, 240 Seiten, 17,95 Euro