Gewalt gegen Gewerkschafter in Südafrika

Jetzt erst recht!

Das gewaltsame Vorgehen gegen Gewerkschafter in Südafrika weckt Erinnerungen an die Apartheid.

Es sind grausame Bilder, die aus Südafrika vergangene Woche um die Welt gingen. Mehr als eine Minute lang schießen Polizisten mit automatischen Waffen in eine Menschenmenge. In dem Kugelhagel sterben über 30 Bergleute, viele weitere werden schwer verletzt. Eine Woche zuvor waren 3 000 Arbeiter in der zum britisch-südafrikanischen Lonmin-Konzern gehörenden Platinmine Marikana nahe Rustenburg in den Streik getreten. Der vom Unternehmen als rechtswidrig eingestufte Arbeitskampf war von Beginn an von gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Polizei, Werkschutz und Arbeitern geprägt. Hinzu kommt der Konflikt zwischen der alteingesessenen National Union of Mineworkers (NUM), die auch im Gewerkschaftsdachverband Cosatu tonangebend ist, und der neu entstandenen Association of Mineworkers and Construction Union (AMCU). Viele Arbeiter werfen der NUM vor, zu viele Anstrengungen auf die Afrikanisierung des Managements der großen Minengesellschaften zu verwenden, statt für die Arbeiter bessere Arbeitsbedingungen und eine stärkere Beteiligung an den enormen Gewinnen der Unternehmen zu erkämpfen. Tödliche Arbeitsunfälle sind häufig, die Arbeitstage sind bis zu 14 Stunden lang bei einem Monatslohn von umgerechnet 400 Euro. Viele Beschäftigte der Marikana-Mine unterstützen daher die ambitionierte Forderung der ACMU nach einer Erhöhung der Löhne auf 1 200 Euro. Auf die Eskalation der vergangenen Tage reagieren die Arbeiter mit der Haltung »Jetzt erst recht«, viele haben gegenüber Medien geäußert, dass sie eher dazu bereit seien, zu sterben, als aufzugeben.
Der Umgang der Polizei mit den Geschehnissen hat zu dieser Entwicklung beigetragen. Statt personelle Konsequenzen zu ziehen, verteidigte man dort das Vorgehen mit der Begründung, dass die Streikenden bewaffnet waren. Nachdem bei den Auseinandersetzungen in den Tagen zuvor zwei Polizisten zu Tode gekommen waren, habe man keine andere Wahl gehabt, als zu den Waffen zu greifen. Staatspräsident Jacob Zuma bedauerte die Vorfälle und versprach eine offizielle Untersuchung. Er warnte aber auch vor einseitigen Schuldzuweisungen und nahm die Polizei vor Kritik in Schutz.
Nicht nur das Ereignis selbst weckt Erinnerungen an die Massaker des Apartheid-Staates, sondern auch die Reaktion der Polizeiführung und der Verantwortlichen auf die Ereignisse der vergangenen Tage. Diese verdeutlichen, wie unverhohlen der Klassencharakter des neuen Südafrika zu Tage treten kann. In den Tagen vor dem Massaker schüchterte das Management die Arbeiter ein, indem es mit Kündigungen und dem Einsatz von Schusswaffen drohte. Angesichts des sinkenden Kurses der Lonmin-Aktie an der Londoner Börse infolge des Streiks stieg der Druck, diesen schnellst­möglich zu beenden. An einem Kompromiss gab es offenbar kein Interesse. Weiter verdeutlicht der Konflikt, dass der Einfluss der traditionellen, mit Cosatu verbundenen Gewerkschaften rapide schwindet. Der Dachverband selbst verzichtete in seinem Statement darauf, die Polizei oder die Unternehmensführung zu kritisieren, einzig die mangelnde Disziplin einiger Arbeiter und die »Spaltergewerkschaften« seien für die Eskalation verantwortlich.