Zurück zur Natur – der Trend zum »land grabbing«

Zurück zur Scholle

Das Kapital wird wieder bodenständig. Vor allem landwirtschaftlichen Nutzflächen sind begehrt, das land grabbing gewinnt global an Bedeutung.

Das Gulf Research Center hat in Riad, der Hauptstadt Saudi-Arabiens, eine Konferenz zum Thema »Investitionen der Golfstaaten in Afrika« organisiert, an der neben Ministern der arabischen Staaten samt Expertenstäben und Geschäftsleuten der Agrar- und Ernährungswirtschaft sowie der weltweiten Finanzindustrie zahlreiche afrikanische Staatschefs und Minister ebenso teilnehmen wie Vertreter der Weltbank und der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO). Thema ist das land leasing in Afrika durch internationale, hier vor allem natürlich saudische Investoren.
Die Bedingungen sind klar formuliert. Neben guten Beziehungen zu den Golfmonarchien müssen die Zielstaaten eine gute Infrastruktur für Transport und Export der landwirtschaftlichen Produkte nachweisen, dürfen die Ausfuhrmengen nicht begrenzen und keine Bedingungen hinsichtlich des Anbaus stellen. In der Folge übertreffen sich die Vertreter von Staaten wie Mosambik, Äthiopien und Tansania bei ihren Angeboten in Hinblick auf den Wegfall der Zölle und den Pachtzins für die landwirtschaftlichen Flächen gegenseitig, ein unbegrenzter Zugriff auf die Wasserressourcen wird zugesagt. »Den Ersten, die bei uns zugreifen, werden wir ganz spezielle Konditionen einräumen«, sagt schließlich ein Minister der Zentralafrikanischen Republik. »Für einen noch zu bestimmenden Zeitraum erhalten Sie von uns die entsprechenden Flächen völlig kostenfrei.«
Es sind auch solche Szenen – diese vom Dezember 2010 hat der italienische Journalist Stefano Liberti in seiner groß angelegten Reportage über den globalen »Landraub« festgehalten –, die Jacques Diouf, den damaligen Generaldirektor der FAO, dazu veranlassten, vor einem »neuen Kolonialismus« durch die Aneignung von immer mehr agrarischen Flächen durch westliche Investoren, vor allem aber durch nah- und fernöstliche Staatsfonds zu warnen (Jungle World 16/2010). Dass die Beteiligten dies nicht viel anders sehen, geht aus dem Fazit des Vortrags hervor, den der stellvertretende saudische Landwirtschaftsminister Abdullah al-Obeid auf dem besagten Kongress hielt: »Die Golfstaaten holen jetzt nur nach, was die europäischen Staaten jahrelang gemacht haben.«

Ein besonderes Problem besteht dabei häufig ausgerechnet in der Verstaatlichung der Agrarflächen in vielen afrikanischen Ländern als Folge der Entkolonialisierung. Was zunächst als Abwehrmaßnahme gegen eine neue indirekte Herrschaft seitens der Industrieländer gedacht war, erweist sich Jahrzehnte später, weil die Regierung frei über den Boden verfügen kann, als günstig für das Bündnis von amtlichem Nepotismus und neuen Herren. Libertis Fazit fällt so auch in Hinsicht auf die postkolonialen Führungsschichten Afrikas vernichtend aus: »Die Hauptverantwortlichen für diesen Ausverkauf der Anbauflächen sind die nationalen Regierungen, die die Ressourcen für eine Handvoll Dollar verhökern oder, im schlimmsten Fall, für eine Gutschrift in Dollar, die auf einem ausländischen Konto landet.«
Spätestens seit der Nahrungsmittelkrise 2007 und den Hungerrevolten des Frühjahres 2008, die fast die gesamte Peripherie des Weltmarktes erfassten, ist die Frage nach der Lebensmittelversorgung der Weltbevölkerung ins Bewusstsein der Gesellschaften zurückgekehrt – und der Kampf um die Ressourcen umso stärker entbrannt. Wie angespannt die Lage nach wie vor ist, verdeutlicht ein Blick auf die aktuellen Statistiken der FAO. Zuletzt war die Weltagrarproduktion gegen den Trend der vergangenen Jahrzehnte leicht auf täglich etwa 2 800 Kilokalorien pro Kopf gesunken.
Hervorgerufen wurde die derzeit zu beobachtende Absenkung der Lebensmittelproduktion pro Kopf durch die teilweise Umstellung auf die Produktion von Agrokraftstoffen, die immer ausgedehntere Nutzung von Getreide als Futtermittel für die Fleischproduktion und die Erosion als Folge des Übergangs zu bewässerungsintensiven Monokulturen. Hinzu kommt noch die Vernichtung von Lebensmitteln. Einem Bericht der FAO mit dem Titel »Global Food Losses and Food Waste« zufolge, der im Mai des vorigen Jahres veröffentlicht wurde, wird etwa ein Drittel der globalen Nahrungsmittelproduktion schlichtweg vergeudet, weil Lebensmittel dahin exportiert werden, wo sie zwar theoretisch bezahlt werden könnten, konkret aber nicht gebraucht werden. Im Ergebnis bedeutet dies, dass die Menge der verfügbaren Nahrungsmittel nur noch dem Niveau der Unterernährung entspricht. Dieses Maß wird von der FAO auf 1 800 Kilokalorien pro Kopf taxiert.

Vor allem Staaten, die ihre Nahrungsmittelsicherheit langfristig nicht garantieren können, wie etwa die Golfstaaten, aber auch Südkorea und China, dessen landwirtschaftliche Nutzfläche weniger als neun Prozent des Territoriums ausmacht, haben Staatsfonds aufgelegt, um Zugangsrechte zu Agrarflächen in Afrika und Zentralasien zu kaufen. Hinzu kommt noch die Ausdehnung der Spekulation mit Nahrungsmitteln an den internationalen Rohstoffbörsen. Zuletzt hatte Harald Schumann, Journalist des Tagesspiegel, einen vielbeachteten Bericht im Auftrag der NGO Foodwatch vorgelegt, in dem er die Spekulation für die Verdoppelung der Nahrungsmittelrohstoffpreise im vergangenen Jahrzehnt mitverantwortlich macht.
Nach den Erfahrungen der Weltwirtschafts­krise war es eine der zentralen Maßnahmen des »New Deal« unter dem damaligen US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt, Positionslimits – eine Begrenzung der Zahl der Kontrakte, die geschlossen werden dürfen – für den Erwerb von Rohstoffen zu erlassen, die bis Ende der neunziger Jahre den Lebensmittelhandel regulierten. Bis zur Jahrtausendwende waren die Spekulanten so lediglich »Mitspieler auf den Rohstoffmärkten«, wie es das ehemalige Vorstandsmitglied der nach wie vor weltweit zentralen US-Rohstoffbörse in Chicago (CBOT), Ann Berg, ausdrückte.
Dies änderte sich seit der Jahrtausendwende rapide. Als die Blase der New Economy geplatzt war und neue, an Realwerten orientierte Anlagestrategien gesucht wurden, entwickelte zunächst die Investmentbank Goldman Sachs ihren Commodity-Index, der die Preise von insgesamt 25 Rohstoffen erfasst. Seitdem und noch verstärkt durch die endgültige Aufhebung aller Positionslimits im Jahr 2005 durch den US-Kongress schossen Rohstofffonds wie Pilze aus dem Boden und ließen die Lebensmittelpreise im vergangenen Jahrzehnt rapide steigen – allein in den Jahren 2006 bis 2008 für Reis, Weizen und Pflanzenöl jährlich um mehr als 30 Prozent.
Mittlerweile sind rund 600 Milliarden US-Dollar in den diversen Fonds, zusätzlich gefördert durch die »Politik des billigen Geldes«, gebunden. Zu den größten Investoren auf diesem Gebiet gehören auch zwei deutsche global player: Die Deutsche Bank und der sich im Besitz des Allianz-Konzerns befindende weltgrößte Verwalter von Vermögensanlagen, Pimco, dessen »Commodity Real Return Strategy Fund« mit einem geschätzten Anlagevermögen von deutlich über 30 Milliarden Dollar der größte Fonds seiner Art weltweit sein dürfte. Das Geschäft ist sehr lukrativ: Einer der größten Hedgefonds im Agrarbereich, das britisch-südafrikanische Konsortium Emergment, kann Renditen von bis zu 30 Prozent versprechen. Weil die fehlende Versorgung mit Lebensmitteln letztlich das probateste Mittel zum Preisantrieb darstellt, scheint Libertis Bezeichnung der CBOT als »Hungerbörse« kaum übertrieben zu sein.

Welches Ausmaß dieses land grabbing durch die verschiedenen Fonds angenommen hat, bleibt dennoch weiter im Dunkeln. Die Weltbank sprach zuletzt von etwa 47 Millionen Hektar, während das Global Land Project in einer sehr gründlichen Auswertung von mindestens 63 Millionen Hek­tar ausging. Die Hilfsorganisation Oxfam veröffentlichte zuletzt im Frühjahr eine Schätzung, nach der 227 Millionen der weltweit etwa 1,5 Milliarden Hektar genutzter Agrarfläche auf diese Weise in den vergangenen zehn Jahren den Bewirtschafter gewechselt hätten.
Umso wichtiger sind Studien zu diesem für die Entwicklung der Menschheit so zentralen Thema, doch bisher gibt es kaum welche. Immerhin haben in diesem Jahr gleich zwei Journalisten Arbeiten hierzu vorgelegt, die nicht nur die Dimensionen, sondern auch die jeweiligen Spezifika der Landnahmen anhand diverser Beispiele nachgezeichnen. Neben der bereits erwähnten Arbeit Libertis zählt hierzu auch die etwas breiter angelegte und mit dem schlichten Titel »Lang Grabbing« versehene Studie von Fred Pearce. Ohne die Subsistenzproduktion zu verklären –, insbesondere Pearce weist auf deren begrenzte Versorgungskapazität hin – zeichnen beide ein deprimierendes Bild der Entrechtung, aus dem auch deutlich wird, dass sich im Gegensatz zu den bisherigen Agrarrevolutionen der Geschichte des Kapitalismus für die freigesetzten Bauern kaum noch Perspektiven des Übergangs in die Lohnarbeit ergeben. So dürfte sich das Versprechen der Ernährungssicherheit durch die indus­trielle Landwirtschaft nicht nur als Szenario für ökologische Katastrophen, sondern auch als massenhafte »Politik des Hungers« (Walden Bello) entpuppen.