Ein bisschen Mitleid für die Chefin
Es war die Woche von Captain Obvious: Die x-te Bildungsstudie fand heraus, dass Grundschüler im reichen Bayern besser lesen und rechnen können als die Gleichaltrigen in den Stadtstaaten, die FAZ entdeckte, dass Neonazis »auch« die westdeutsche Fußballfanszene unterwandern, und dann veröffentlichte das Statistische Bundesamt auch noch seine »Verdienststrukturerhebung«. Und siehe da: Berufstätige Frauen verdienten im Jahr 2010 im Schnitt etwa 20 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Dabei bezieht sich der Vergleich nur auf Tätigkeiten mit gleicher Qualifikation. Dass die traditionell mies bezahlten Berufe in Pflege und Erziehung sowie der Sektor der Minijobs ohnehin eine Frauendomäne sind, ist somit noch nicht einmal einberechnet.
So weit, so bekannt, so schlecht. Ein wenig überraschend ist allerdings die Erkenntnis, dass die Gehaltslücke gerade dort am weitesten klafft, wo die sogenannten Leistungsträgerinnen und Leistungsträger des Landes arbeiten: in akademischen Berufen und in den Chefetagen, in denen die Gehälter von Frauen gute 30 Prozent niedriger liegen als die der Männer.
Das führte dann doch zu etwas größerer medialer Aufregung, als es die altbekannte Tatsache des »Gender Gap« allein bewirkt hätte, schließlich betrifft diese Zahl die Leserschaft des Wirtschaftsteils der Tagespresse ganz persönlich. So passt es dann auch, dass unter dem betreffenden Artikel der Süddeutschen Zeitung gleich der Link folgt: »Wie stilsicher sind Sie? Machen Sie den Test in unserem Quiz zum Dresscode für Business-Frauen!« Die Meldung fügte sich zudem wunderbar in den Streit über eine Frauenquote in den Führungsetagen der DAX-Konzerne ein, die derzeit zur alles entscheidenden Frage beim Kampf um die Gleichstellung der Geschlechter stilisiert wird. Warum fordert eigentlich niemand eine Frauenquote bei der Müllabfuhr oder auf dem Bau?
Die elitäre Debatte über Frauen in Führungspositionen trägt ungefähr ebenso viel zum gesellschaftlichen Fortschritt bei, wie es in den Neunzigern die Diskussion tat, ob die Bundeswehr Berufssoldatinnen aufnehmen sollte: rein gar nichts. Den Putzfrauen und Erziehungsarbeiterinnen, die den streitenden Ministerinnen Kristina Schröder und Ursula von der Leyen (beide CDU) die Vereinbarkeit von Familie und Karriere ermöglichen, kann es jedenfalls herzlich egal sein, ob nun Männlein oder Weiblein im Chefsessel der Deutschen Bank sitzt und ob dieser Posten im Monat ein paar zehntausend Euro mehr oder weniger einbringt.
Dafür lenkt die Diskussion wunderbar von den tatsächlichen Problemen ab, vor allem vom Blick auf den Niedriglohnsektor. Der typische Minijobber ist weiterhin eine Minijobberin – daran ändert auch die Tatsache nichts, dass man inzwischen an der Supermarktkasse oder hinter der Bäckertheke gelegentlich auf junge Männer stößt. Von dieser Beobachtung aus wiederum auf das Proletenproblem der Altersarmut zu kommen, von dem Frauen überproportional betroffen sind, stellt eine Übertragungsleistung dar, die von Focus, FAZ und anderen nicht zu erwarten ist. Denn das ist kein Thema für eine Wirtschaftsredakteurin, die sich gerade fragt, wie viel mehr als sie ihre Kollegen wohl verdienen.
Geht es nach der CSU, gehören Frauen ja ohnehin an den Herd. Die neueste Idee im Zank um das Betreuungsgeld sieht vor, dass Mütter, die brav zu Hause bleiben und sich um den Nachwuchs kümmern, entscheiden dürfen, ob sie das Geld direkt für die Haushaltskasse verwenden oder zur Aufbesserung ihrer kargen Altersversicherung anlegen wollen. Zugleich haben einige Koalitionsabgeordnete einen Gegenvorschlag zu von der Leyens Plänen zum Rentneralmosen vorgebracht, der Geringverdienern und -verdienerinnen die private Altersvorsorge schmackhaft machen soll. Beides dürfte dann immerhin die noch einzustellende Vorstandsvorsitzende der Allianz freuen.