Das Aussteigerprogram für Linke

Kein Anruf unter dieser Nummer

Die Bilanz des »Aussteigerprogramms für Linksextremisten« fällt bescheiden aus.

Dass Leistungsdruck am Arbeitsplatz krank macht, ist sogar bei der Leserschaft des Manager Magazins angekommen, seit das Burn-out-Syndrom zum großen öffentlichen Thema geworden ist. Sein Gegenstück, das sogenannte Bore-out-Syndrom, führt hingegen ein mediales Schattendasein, obwohl es auch unter neoliberalen Produktionsbedingungen noch immer Arbeitsgebiete gibt, in denen Langeweile und Unterforderung eine ernsthafte Bedrohung der seelischen Gesundheit darstellen. Wie schlägt man zum Beispiel die Zeit tot, wenn man eine Hotline betreut, deren Telefon durchschnittlich ungefähr einmal im Monat klingelt? Mit diesem Problem dürften sich die Mitarbeiter des »Aussteigerprogramms für Linksextremisten« konfrontiert sehen, das der Verfassungsschutz im Oktober 2011 ins Leben gerufen hat. Dies geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion hervor, die wissen wollte, wie die Bilanz nach einem Jahr Telefondienst denn so aussieht. Demnach verzeichnete das Programm in diesem Zeitraum sage und schreibe 33 Anrufe und Mailanfragen; bei 25 davon »ist von einer nicht ernst gemeinten Kontaktaufnahme auszugehen«, wie selbst die Bundesregierung einräumen muss. Dennoch nennt sie das Programm – in einer Sprache, von der sich so ein Durchschnittsanarcho sicherlich angesprochen fühlt – eine »sinnvolle Komponente einer mehrdimensionalen Bekämpfungsstrategie und zur Wiedereingliederung von ausstiegswilligen Linksextremisten in die Mehrheitsgesellschaft«. Immerhin kann sie ja auch einen Erfolg vorweisen: einen einzigen jungen Mann aus Bayern, der mit Hilfe des Programms die autonome Szene verlassen habe. Da muss man unweigerlich an das biblische Gleichnis vom verlorenen Schäflein denken: Jede gerettete Seele zählt. Dass die Bilanz nicht nur eine Bankrotterklärung des »Aussteigerprogramms«, sondern der gesamten Extremismustheorie darstellt, nimmt die Regierung ebenso wenig zur Kenntnis wie ein Verschwörungstheoretiker die unzähligen Beweise, dass die Mondlandung tatsächlich stattgefunden hat. Zwar ist seit Jahren kein Fall bekannt, in dem Linke sich nach einem Rückzug ins bürgerliche Leben von Ex-Genossen bedroht sahen, wie das im Fall von Nazi-Aussteigern regelmäßig vorkommt – aber dass rechts und links irgendwie das gleiche sind, daran halten die Großdenker der schwarz-gelben Regierung eisern fest. Dass sie so wenige Ausstiegswillige gefunden haben, könnte übrigens am falschen Ansatz liegen. Linke Aussteiger kennt die Geschichte schließlich zuhauf, seien es indienreisende Hippies oder Bauwagenbewohner mit Kompostklo. Wie also wäre es mit einem Angebot zum Ausstieg aus Ausbeutung, Rassismus, Sexismus, Umweltzerstörung und all den anderen Dingen, mit denen sich die »Mehrheitsgesellschaft« das Leben zur Hölle macht? Ein solches Programm fände wohl zahlreiche Interessenten.