Eine Ausstellung der Arbeiten des Comicmagazins Strapazin

DIY-Comics

Arbeiten aus dem Schweizer Comic-Magazin Strapazin kann man jetzt auch im Museum sehen.

Georg Seeßlen hat über den europäischen Nachkriegscomic einmal polemisch angemerkt, dieser sei nicht nur in seiner Aussage, sondern auch ästhetisch konservativ, was sich unter anderem im Stil der ligne claire zeige: Es finden sich keinerlei Zwischentöne oder Schatten. Dass sich dies geändert hat, ist auch Projekten wie dem Zürcher Comic-Magazin Strapazin zu verdanken: dem DIY-Gedanken verbunden, aus der Polit- und Punk-Szene kommend und offen für Zwischentöne und Experimente jeglicher Art. Irgendwo auf halber Strecke zwischen der 100. Ausgabe (2010) und dem 30. Geburtstag (2014) bekommt das Magazin nun eine Ausstellung im Cartoon-Museum Basel geschenkt. Für’s Durchhalten, Dasein und Weitermachen.
Zum ersten Comic-Fest Erlangen 1984 in den Räumen des alternativen Münchner Stadtmagazins Blatt entstanden, erscheint Strapazin seit der zweiten Ausgabe in der Schweiz. Dort stoßen neue Mitstreiter hinzu, viele davon bis heute aktiv, und entwickeln das Magazin nach dem Neubeginn über die Jahre hinweg zu der Form, die es heute hat. Das interessiert zunächst nur wenige, weder das bürgerliche Feuilleton ist damals – im Gegensatz zu heute – an den düsteren, narrativen Schwarz-Weiß-Comics oder den experimentellen graphischen Erzählformen in irgendeiner Weise interessiert, noch die Comic-Szene will sich damit anfreunden. »In der klassischen Comic-Szene der Sammler, Fans und Händler hielten viele Strapazin für Scheiße, unlesbare Kunst«, sagt David Basler, Mitherausgeber und Verleger der Edition Moderne. Vorbilder sind ebenfalls an den Randgebieten des Comic, irgendwo zwischen Erzählen, Kunst und Experiment, angesiedelte Magazine wie Art Spiegelmans und Françoise Moulys Raw oder das französische, seit 1978 erscheinende (À suivre). Wichtig ist jedoch nicht nur der künstlerische Hintergrund, sondern auch der politische, wie Mitherausgeber Christoph Schuler im Interview mit der Jungle World herausstellt: »Vor allem die Schweizer Strapazin-Macher waren in der damaligen Zürcher Politszene aktiv, hatten bereits mehrjährige Erfahrung mit politischen Untergrundzeitschriften, taten in der Achtziger-Jugendbewegung mit, arbeiteten zum Teil im Autonomen Jugendzentrum AJZ. Die deutschschweizer Comic-Szene war anfangs stark von diesen Ereignissen beeinflusst, jedes Polit- und Musik-Fanzine, -Magazin, -Stadtblatt begann damals – meistens lokale – Comics abzudrucken.«
Das Magazin hat bis heute keinen Chefredakteur, funktioniert als Kollektiv mit etwa einem Dutzend Mitherausgebern, die ihr Geld weitestgehend in anderen Jobs verdienen, wodurch Strapazin nicht gemäß kommerzieller Interessen funktionieren muss. In einem im Ausstellungskatalog abgedruckten Roundtable-Gespräch erklärt der seit 1984 aktive Peter Bäder: »Für mich ist es wichtig, dass Strapazin als Kollektiv funktioniert und auch in der heutigen Zeit ein Beispiel dafür ist, dass es möglich ist, längerfristig eigene Strukturen aufzuziehen. Ich finde, das kann man so durchaus als politisch bezeichnen.« Auch Christoph Schuler betont die eher familiäre als kommerzielle Herangehensweise, die Verbindung von Leben und Arbeiten: Viele der Herausgeber arbeiten bis heute im selben Atelier, »das genau genommen ebenfalls eine Arbeits- und Wohngemeinschaft ist. Strapazin ist eine sehr familiäre Angelegenheit, Strapazin ist ein Clan – aber keine Sekte.«
Trotz dieser familiären Atmosphäre ist Strapazin das Gegenteil eines heimeligen, in sich gekehrten Magazins, sondern von Beginn an international ausgerichtet. Nicht ohne Grund entstand die Jubiläumsnummer 100 in China und stellte die dortige unabhängige Comic-Szene vor. Daneben entstanden im Laufe der Jahre Schwerpunktausgaben unter anderem zur amerikanischen, französischen, israelischen, italienischen, portugiesischen, mexikanischen und japanischen Szene. »Für uns ist Strapazin nach wie vor ein internationales Magazin, was fast jede Ausgabe aufs Neue beweist«, so Christoph Schuler im Interview. »Ein internationales Comic-Magazin in deutscher Sprache« nennt es auch Christian Gasser, Mitherausgeber und Co-Kurator der Ausstellung in Basel, im Katalog. Leider merkt man der Auswahl der ausgestellten Arbeiten diesen Charakter nicht an, da sie sich auf Werke deutschsprachiger Autoren beschränkt und so zwar die Entwicklung der deutschsprachigen Comic-Szene der vergangenen 30 Jahre anhand der Geschichte des Magazins sehr schön illus­triert, die Vermittlerfunktion des Strapazin für internationale Künstler im deutschsprachigen Raum jedoch unter den Tisch fallen lässt. Unzählige heute als internationale Stars geltende Comic-Zeichner haben für das Magazin Beiträge beigesteuert, obwohl, wie Kati Rickenbach betont, die Honorare »bescheiden sind; aber wir sind vermutlich das einzige alternative Comic-Magazin der Welt, das Honorare zahlt«.
Neben unzähligen anderen finden sich unter den Zeichnern Art Spiegelman, Lewis Trondheim, Charles Burns, Daniel Clowes, Tardi, die Brüder Hernandez, Julie Doucet, Walter Moers, HR Giger, Ralf König, David Mazzucchelli, Rutu Modan, Chris Ware oder Joann Sfar. Sie alle sind in Ausstellung und Katalog nicht vertreten. Aber auch anhand der getroffenen Auswahl von frühen Comics Thomas Otts über zitatreiche Arbeiten von M. S. Bastian, philosophische Reflexionen von Martin tom Dieck und Jens Balzer über die sich vom Comic immer mehr entfernenden Bildreflexionen Anke Feuchtenbergers bis zur gegenwärtigen Generation um Kati Rickenbach und Sascha Hommer wird die inhaltliche wie ästhetische Bandbreite der in Strapazin vertretenen Zeichner deutlich. Christoph Schuler sagt zum ästhetischen Konzept von den Anfangstagen bis in die Gegenwart: »Mainstream-Comics waren damals schon brav, informativ, mit geraden Linien überall. Comics in Strapazin waren und sind wild, obszön, überraschend, verstörend. Meistens jedenfalls.« Dafür sorgen auch die Themen wie »Kindheit«, »Augenzeugen«, »Humor« und »Sex«, »Essen« und »La Divina Commedia«, und selbst abgelegenste innerschweizerische Themen wie »Visionen für Zürich« erscheinen, von Strapazin-Zeichnern bearbeitet, noch interessant.
Anders als in der klassischen Comic-Szene haben in Strapazin von Anfang an Frauen sowohl Comics beigesteuert als auch redaktionell betreut, und auch ein Drittel der Abonnenten sind weiblich. Dem Thema »Frauen und Comic« wurde unter dem Titel »Damenstammtisch« im März sogar eine eigene Ausgabe gewidmet. »Das ist in einer traditionell männerdominierten Szene doch eher ungewöhnlich«, sagt David Basler. An dieser Männerdominanz hat sich, trotz des Gegenmodells Strapazin, nichts geändert. Aber – und auch das wird an der Tatsache deutlich, dass dem Magazin eine Ausstellung gewidmet ist – mittlerweile existiert eine Comic-Szene jenseits der Comic-Szene: Universitätsseminare erforschen das Erzählen im Comic, Buchhandlungen richten Graphic-Novel-Regale ein, die Süddeutsche Zeitung leistet sich eine Comic-Kanon-Reihe. An diesem Prozess war das beharrliche Erscheinen des Magazins nicht unbeteiligt, es hat Zeichner entdeckt, gefördert, erstmals ins Deutsche übersetzt und es wird durch die weltweite Aufmerksamkeit, die es mittlerweile erfährt, nicht nur im deutschsprachigen Raum als Vermittler interessanter Comics jenseits des Mainstream rezipiert.
Trotz der veränderten gesellschaftlichen Wahrnehmung des Comic bleibt in Zürich alles erstmal beim alten: Es gibt kollektive Strukturen, niedrige Honorare und alle drei Monate, pünktlich wie eine Schweizer Uhr, sperrige, überraschende und verstörende Themen, Bilder und Texte. Meistens jedenfalls.

Comics Deluxe. Cartoon-Museum Basel. Bis zum 3. März 2013.