Probleme der Trinkwasserversorgung in Peru

Auf dem Trockenen

In Peru führen der Klimawandel und das rasante Wachstum der Hauptstadt zu Problemen mit der Trinkwasserversorgung. Doch auch im Hochland ist das Wasser bereits knapp.

Auf dem Steg von Puno kennen die meisten den graumelierten Mann mit den optimistisch funkelnden Augen. Alberto Lescano Rivero ist gern auf dem von Motoryachten gesäumten Holzsteg unterwegs, der einige hundert Meter weit auf den Titicacasee hinausführt. Schon als Kind war das so. »Der See kann so verschieden aussehen, liegt so majestätisch zwischen den Bergen, er fasziniert mich einfach und immer wieder komme ich hierher und fahre raus«, sagt er. Der 60jährige Veterinärmediziner hat viele gute Freunde, die ihn immer wieder zu Spritztouren auf den höchsten kommerziell schiffbaren See der Welt einladen. Auf 3 810 Metern liegt der Titicacasee und heute, an einem Tag am Ende der Regenzeit, hat er immer noch nicht seinen Pegel erreicht. »Ein paar Meter fehlen noch und das ist in den letzten Jahren quasi normal. Der See verliert Wasser, oder besser: Es fließt weniger nach«, erklärt Rivero.
Das kann man sehen, denn früher wäre es kaum möglich gewesen, dass vor der Strandpromenade Schafe Wasserpflanzen, Torura und andere Gräser fressen. Ihrer alten Besitzerin, die die Tiere von der Mauer der Promenade aus beobachtet, kann es nur recht sein; Rivero macht es hingegen Sorgen, denn dies bedeutet, dass mehr Wasser entnommen wird als zufließt und dass der Pegel des Sees langfristig sinken wird.
Doch der Wassermangel ist nicht das einzige Problem. »Die Belastung des Sees hat in den letzten Jahren immer weiter zugenommen. Es fehlt an Kläranlagen, der Sauerstoffgehalt in der Bucht vor Puno ist zu niedrig, am anderen Ende des Sees ist die Lage ähnlich. Dort machen die Abwässer von El Alto dem See zu schaffen«, sagt Rivero, der sich in den vergangenen Jahren zum Wasserspezialisten weitergebildet hat. Gemeinsam mit ein paar Freunden hat er das Zentrum für Sozial- und Umweltentwicklung, »Centro de Desarrollo Social y Ambiental«, gegründet und auf die Verschmutzung des Trinkwasserreservoirs aufmerksam gemacht. »Wir müssen lernen, besser und nachhaltiger mit unserem Trinkwasser umzugehen, denn der Klimawandel macht sich hier oben im Hochland längst bemerkbar«, mahnt er und deutet über die Hochebene von Puno.

Der Klimawandel ist nicht nur für Peru eine Herausforderung, auch in Bolivien macht er sich mit sinkenden Niederschlägen, Hagelstürmen und dem Schmelzen der Gletscher bereits negativ bemerkbar. Zwischen zwölf und 18 Jahre wird es nur noch dauern, bis die Gletscher vollständig abgeschmolzen sind, schätzt der Klimaforscher Ricardo Viañueva. Er arbeitet im Nationalpark Huascarán, der knapp 460 Kilometer nördlich von Lima liegt und wo sich etwa 600 Gletscher in der Cordillera Blanca verbergen. Vor ein paar Jahren bedeckten diese noch rund 2 042 Quadratkilometer. Seit 1989 sind sie Studien des peruanischen Umweltrats zufolge jedoch um mindestens 22 Prozent zurückgegangen. Für Peru ist der Klimawandel mehr als ein Umweltproblem, denn an der Küstenregion leben 70 Prozent der peruanischen Bevölkerung, sie werden in erster Linie mit Trinkwasser aus den Flüssen der Anden versorgt. Einer der größeren Flüsse ist der Rimac, die wichtigste Wasserquelle für Lima.
In der peruanischen Hauptstadt muss jeder Streifen Gras künstlich bewässert werden. In den Geschäftsvierteln wie San Isidro, Miraflores oder San Borja sind Grünflächen noch allgegenwärtig, aber schon in den Vierteln Lince, Surco oder Pamplona Alta werden sie dünner und weichen schließlich dem tristen Schmutziggrau, das die von Hügeln und Bergrücken geprägte Wüste rund um Lima prägt. In Pamplona Alta, einem Stadtviertel, das zu den Armenvierteln am Rande Limas gehört und durch die organisierte Besetzung der Wüste entstand, gab es vor einigen Jahren noch kein Wasser. »Vor allem in den neu entstehenden Stadtvierteln, den barrios de invasión, gibt es oft keine Wasserversorgung«, sagt Claus-Carsten Möller. Der deutsche Pastor arbeitet in Pamplona Alta. Die letzten Bewohner, die oben auf der Sanddüne ihre Häuser gebaut haben, müssen ihr Wasser auf halber Strecke vom Tankwagen holen.
Das ist in Lima üblich, nur schleppend kommen die Wasserwerke dem wachsenden Bedarf an Neuanschlüssen nach. Die Stadt wächst seit längerer Zeit und dürfte in den nächsten Jahren bereits mehr als zehn Millionen Einwohnerinnen und Einwohner haben. Für die Wasser- und Abwasserversorgung ist das Wachstum eine Herausforderung, denn derzeit sind laut Sedapal, den Wasserwerken der Stadt, noch rund eine Million Einwohner nicht ans Netz angeschlossen. Diese Ärmsten der Armen, die sich in den vergangenen Jahren in den neuen Vierteln, den pueblos jóvenes, wie Pachacútec, das hinter dem internationalen Flughafen von Lima liegt, angesiedelt haben, zahlten in aller Regel die höchsten Wasserpreise, klagt Abel Cruz. Er ist Sprecher des Vereins »Peruanos sin Aguas« und kritisiert die »Wassermafia« von Lima: »Sie kassiert bis zu neun Mal so viel wie ein normaler Wasseranschluss in Lima kostet.« Auch Perus ehemaliger Umweltminister, Antonio Brack, fordert seit Jahren neue Versorgungskonzepte und warnt vor dem Wasserkollaps der peruanischen Hauptstadt. »Lima könnte doppelt so viel Wasser haben, wenn das System effizienter wäre. Es versickert zu viel und es ist ein Unding, alle Abwässer ins Meer zu leiten«, kritisiert er. Der Biologe plädiert für ein geschlossenes System mit mehr Kläranlagen als das halbe Dutzend, die momentan in Betrieb sind und nur 15 Prozent der Abwässer reinigen. Nicht Trink-, sondern Brauchwasser soll künftig für die Bewässerung der Grünflächen der Metropole eingesetzt werden. Dabei ist Brack auch für höhere Tarife, um das gigantische Modernisierungsvorhaben zu finanzieren. »Wir müssen die Mentalität in Peru ändern. Ein Kubikmeter Wasser kostet ein Sol (30 Cent) – das Wasser ist doch viel mehr wert. In Deutschland wäre das undenkbar, da zahlt man für das Wasser und für die Abwässer, die dann wiederaufbereitet werden. Das ist ein besseres Modell. Peru ist ein Paradies für Wasserverschwender«, schimpft der 72jährige Umweltpolitiker. Er weiß ganz genau, dass Lima wegen des Schmelzens der Gletscher langfristig weniger Wasser zur Verfügung haben wird.

Geschlossene Kreisläufe, moderne Leitungssysteme, Tröpfchenberieselung wie bei der Spargelproduktion im Norden Perus bei Trujillo sind konkrete Alternativen, um dem Durst in der Hauptstadtregion beizukommen. In Lima werden pro Kopf annähernd 250 Liter pro Tag verbraucht, fast das Doppelte wie in Berlin. Ein wesentlicher Grund dafür ist der Schwund im System, der bei rund 40 Prozent liegt. Faktisch versickern aufgrund von porösen Rohren etliche Millionen Liter Wasser pro Tag im sandigen Untergrund. Ein anderes Problem ist die Qualität des Wassers, die nicht immer zufriedenstellend ist. So hat Lima mit einem erhöhten Bleigehalt des Trinkwassers zu kämpfen, der auf die Bergbauaktivitäten in den Anden zurückzuführen ist. Der Schutz der Quellen und eine fundierte Umweltschutzpolitik sind Experten wie Brack zufolge unerlässlich.
In Arequipa, der im Süden liegenden zweitgrößten Stadt Perus, ist man da schon weiter. Anfang des Jahrtausends drohte die Wasserversorgung der von Geröllwüste und schroffen Bergen umgebenen Stadt zusammenzubrechen. Grund waren zu starke Eingriffe in die Vegetation und die illegale Besiedlung im Quellgebiet in der »Reserva Nacional Salinas y Aguada Blanca«. Doch Parkwächter, die seit Ende der neunziger Jahre im Einsatz sind, konnten dem entgegenwirken. Sie nahmen Grenzmarkierungen vor und boten Schulungen für die legal in der Region lebende Bevölkerung an, das waren etwa 6 000 Menschen. »Heute sind sowohl die Laguna del Indio als auch das Stau­becken Aguada Blanca wieder intakt«, sagt John Everaldo Machaca Centty, der Leiter des Schutzgebietes. Dabei kommt der lokalen Bevölkerung, die von der nachhaltigen Nutzung des Schutzgebietes und der darin lebenden Vicuña-Herden, eine Lama-Art, lebt, eine wichtige Funktion zu. Sie meldet den Parkwächtern Probleme, arbeitet im Zentrum des Parkes mit, wo über die einzigartige Flora und Fauna des Naturschutzgebiets informiert wird, und engagiert sich für den Erhalt des ökologischen Gleichgewichts. Für die Stadt Arequipa ist dies ein unschätzbarer Dienst, dort leben rund 2,5 Millionen Menschen vom Wasser aus dem auf 4 500 Metern hoch gelegenen Schutzgebiet, das ungefähr drei Stunden Fahrt entfernt ist.
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