Der totale Trip

In einer grandiosen Szene des Romans »Der Schneesturm« darf Doktor Garin ein nagelneues Produkt des »Dopaminierer«-Stammes testen. Der Trip, der in einer gläsernen High-Tech-Pyramide steckt, ist heilsamer Horror par excellence: Der Landarzt erlebt seine eigene öffentliche Hinrichtung vor johlendem Publikum.
Willkommen in der schrecklich-komischen Zukunftsmärchenwelt Welt Vladimir Sorokins! Im Grunde ist es ganz schön, dass der 1953 geborene Autor, berüchtigt als einer der schärfsten literarischen Kritiker russischer Politik, in seinem jüngsten Buch die Gegenwart Russlands ausnahmsweise nicht allzu deutlich zur Kenntlichkeit entstellt. »Der Schneesturm« ist zumindest keine nahe liegende Parodie auf die Situation seiner Heimat. Der Erzählton, sanfter und ironischer als sonst, wurde dem 19. Jahrhundert entliehen. Es geht um eine absurde Reise, deren (erzählerischer) Sinn darin besteht, die Protagonisten niemals ans Ziel kommen zu lassen.
Während also der gutmütige Kutscher Krächz und der ungeduldige Doktor in einem von fünfzig winzigen »Pferdis« gezogenen »Schneemobil« unterwegs sind, um Todkranke vor der dräuenden Verwandlung in gefährliche Zombies zu bewahren, arbeiten ein heftiger Schneesturm, mehrfacher Kufenbruch, lauernde Wölfe, Trägheit und Wutanfälle, Drogentrips, Eiseskälte und die Erotik einer Müllerin hart daran, das so lebenswichtige Unterfangen kläglich scheitern zu lassen. So sind die Russen? Tja, wer weiß.

Vladimir Sorokin: Der Schneesturm. Kiepenheuer & Witsch, 2012, 206 Seiten, 17,99 Euro