Caroline Fourest im Gespräch über Homophobie in Frankreich

»Blasphemie ist zum Glück nicht strafbar«

Mitte November demonstrierten in Paris und anderen Städten Frankreichs Zehntausende Konservative, christliche Fundamentalisten und Rechtsextreme gegen die geplante Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe (Jungle World 47/2012). Teilnehmerinnen einer geplanten Gegenkundgebung der Gruppe Femen wurden in Paris von den Demonstranten verprügelt. Die Journalistin und Verlegerin des Magazins Pro Choix, Caroline Fourest, die das Geschehen filmte, wurde ebenfalls angegriffen und verletzt. Mit ihr sprach die Jungle World über den Vorfall und die Konsequenzen für das Gesetz zur Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe, das am 13. Januar verabschiedet werden soll.

Was ist während der Aktion von Femen in Paris passiert? Die Videos zeigen vor allem Chaos.
Ich bin selbst in der Masse der Demonstranten mitgelaufen und habe mit einer kleinen Kamera gefilmt. Da mein Kamerateam den Aktivistinnen von Femen gefolgt ist, waren wir zunächst getrennt. Ich befand mich mitten unter den Demonstranten gegen die »Ehe für alle«. Um nicht erkannt zu werden, trug ich eine Mütze, einen großen Schal und eine dicke Jacke. Zunächst konnte ich meine Tarnung aufrechterhalten.
Dann kamen zunächst als Nonnen verkleidete Aktivistinnen von Femen, die sich auszogen. Auf ihren Körpern standen Slogans wie »In gay we trust«. Währenddessen beobachtete ich, wie sich innerhalb der Demonstration kleine Gruppen bildeten. Darunter waren vor allem Mitglieder von Civitas, der christlich-fundamentalistischen Organisation, die die Demonstration angemeldet hatte. Ihnen schlossen sich aber auch gewaltbereite rechtsextreme Demonstranten an. Ich bin ihnen weiter gefolgt, als sie anfingen, die Aktivistinnen von Femen brutal anzugreifen. Da ich mich, um zu filmen, in unmittelbarer Nähe der Angreifer aufhielt, wurde auch ich plötzlich auf die Straße gestoßen. Mehrere Männer traten mir gegen Bauch, Rücken und Beine, während ich am Boden lag. Ich schaffte es, mich aufzurichten. Zu dem Zeitpunkt hatte ich immer noch meine Mütze auf dem Kopf, aber jemand riss sie mir herunter und schrie: »Das ist Caroline Fourest, die dreckige Schlampe. Lauf, du dreckige Hure, wir werden dich umbringen!« Daraufhin haben mich mehrere Männer festgehalten und mich wieder getreten, auch gegen den Kopf.
Das klingt, als wären Sie nicht das erste Mal Ziel eines solchen Angriffs gewesen.
Sie können sich wohl vorstellen, dass ich nicht die Lieblingsjournalistin der extremen Rechten bin! Ich bekomme regelmäßig beleidigende Post, vor allem von religiösen Extremisten, Islamisten oder Rechtsextremen. Daher habe ich auch verdeckt gefilmt. Allerdings war ich nicht alleine unterwegs, meine Kollegen wurden auch belästigt und an­gegriffen. Die Aktivistinnen von Femen sind von wild gewordenen Männern angegriffen worden, die offensichtlich nur dort waren, um Homosexuelle zu verprügeln. Man muss sich das vorstellen, diese Leute haben sich auf halbnackte Frauen gestürzt, die friedlich demonstrierten. Dabei haben sie Dinge gerufen wie: »Dreckige Lesben, wir bringen euch um!«
Wird es strafrechtliche Konsequenzen für die Angreifer geben?
Natürlich. Es gab mehrere Anzeigen, die von der Polizei auch sehr ernst genommen werden. Die Identifizierung der Aggressoren ist im Gange.
Civitas hat angekündigt, Strafanzeige gegen Femen wegen Exhibitionismus zu erstatten.
(Lacht) Hier wird versucht, juristisch auf Anschuldigungen gegenüber der eigenen Organisation zu reagieren, die um ein Vielfaches ernster sind. Civitas droht im härtesten Fall die Auflösung. Unter anderem auch dafür, dass der von Civitas gestellte Ordnungsdienst teilweise mit dem angreifenden Mob kooperiert hat. Das betrifft nicht den Ordnungsdienst in seiner Gesamtheit, einige haben auch versucht, die Lage zu beruhigen. Andere aber haben sich an dem Angriff auf die Frauen beteiligt. Es gibt Videos und Fotos, die das belegen. Die Frauen von Femen wurden vom Ordnungsdienst zunächst zurückgedrängt, weg von den Demonstranten um Civitas. Dabei möchte ich noch einmal deutlich machen, dass die in den Videos zu sehenden Sprühflaschen der Frauen kein Tränengas enthielten. Es kam deshalb nie zu einer Anwendung von Tränengas ihrerseits. Die weiße Substanz, die zu sehen ist, war lediglich Rauch, den vor allem die Aktivistinnen selbst eingeatmet haben. Während sie von den Demonstranten getrennt wurden, haben sie sich umarmt und gerufen: »Marie. Marry me!« Ein ziemlich humorvoller Slogan, finde ich. Kurz darauf wurden sie von einer Gruppe Männer angegriffen, die ganz klar den Jungen Nationalisten zuzuordnen sind. Eine der gewalttätigsten Gruppen der Rechtsextremen. Diese Angreifer erwarten jetzt sehr ernste Strafen. Die Organisation Civitas reagiert nur darauf, indem sie den Frauen von Femen Pornographie, Exhibitionismus und eine Art »anti-christlichen Rassismus« vorwirft. Das ist nämlich der einzige juristisch handhabbare Weg in Frankreich, gegen Blasphemie vorzugehen.
Ist es denn wahrscheinlich, dass Civitas mit dieser Anzeige ernst genommen wird?
Nein. Auf der einen Seite haben wir ein humorvolles Happening, das natürlich blasphemisch ist, aber zum Glück ist Blasphemie in Frankreich ja nicht strafbar. Auf der anderen Seite geht es um extreme physische Gewalt, die gegen Femen und einige Journalisten angewandt wurde. Ich denke, es ist klar, welchem von beiden die Justiz mehr Bedeutung beimessen wird.
Kurz nach den Übergriffen hat François Hollande anerkannt, dass den Bürgermeistern, die sich weigern, die Eheschließung gleichgeschlechtlicher Partner zu vollziehen, »Gewissensfreiheit« zustehe. Ist das ein Zugeständnis gegenüber den Konservativen?
Ein bisschen komplexer ist es schon. Ich bin davon überzeugt, dass der Präsident und seine Regierung zutiefst schockiert sind von dem, was sich auf der Demonstration ereignet hat. Nun hat Hollande sich allerdings missverständlich ausgedrückt, als er sich an die Bürgermeister der Republik wandte. Mittlerweile hat er das korrigiert. Er wollte nicht sagen, dass eine Gewissensklausel in diesen Gesetzesentwurf aufgenommen wird. Vielmehr wollte er den Bürgermeistern, die mit diesem Gesetz nicht einverstanden sind, mitteilen: »Wenn ihr euch nicht in der Lage seht, eine solche Ehe zu schließen, dann habt ihr die Möglichkeit, diese Aufgabe an eure Stellvertreter zu delegieren.« Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass Hunderttausende Menschen gegen die »Ehe für alle« auf die Straße gehen. Die gleiche Situation gab es schon 1998 beim sogenannten Pax (Lebenspartnerschaft gleichgeschlechtlicher Partner in Frankreich, Anm. d. Red.). Aber trotz dieses Widerstands ist der Pax dann beschlossen worden. Die Mehrheit der Franzosen ist für die Legalisierung der »Ehe für alle«, der Gesetzesentwurf war auch Teil von Hollandes Regierungsprogramm.
Sie glauben also, dass der Gesetzesentwurf in seiner jetzigen Form im Januar vom Parlament verabschiedet wird?
Ja, aber die Debatte darüber wird noch lang und hart. Schon beim Pax ist es so gewesen. Heute haben wir fast dieselbe Ausgangslage. Erzkonservative Katholiken schaffen es, durch Demonstrationen und homophobe Kampagnen die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Ihnen schließen sich gewaltbereite Rechtsextreme an, denen es nur darum geht, Homosexuelle physisch und verbal anzugreifen. Letztlich aber wird das Parlament im Sinn der Mehrheit aller Franzosen entscheiden und das Gesetz verabschieden.
Hatten die Angriffe Auswirkungen auf die Bereitschaft der Franzosen, für die Ehe gleichgeschlechtlicher Partner zu demonstrieren?
Die stillen Unterstützer der »Ehe für alle« sind dadurch in gewissem Sinne aufgewacht. Auch wenn sie sich in der Mehrheit wissen, sind wenige bereit, auf die Straße zu gehen. Für den 16. Dezember sind erneut Demonstrationen gegen die »Ehe für alle« angekündigt, aber daran werden wohl weniger Vertreter der katholischen Familienbewegung teilnehmen. Sie demonstrieren gegen einen Gesetzesentwurf, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Parlament passieren wird. Ich denke daher, auf den kommenden Kundgebungen werden sowohl weniger Demonstranten als auch weniger Gegendemonstranten sein. Umfragen zufolge ist die Mehrheit der Franzosen nach wie vor für die Legalisierung.