Zum NPD-Verbotsverfahren

Dafür und dagegen

Die Bundesländer unternehmen einen neuen Versuch, die NPD zu verbieten. Die Innenminister entschieden sich auf ihrer Konferenz in der vorigen Woche einstimmig dafür, einen entsprechenden Antrag gegen die rechtsextreme Partei zu stellen. Die Bundesregierung präsentiert sich hingegen zögerlich und warnt vor einem möglichen Scheitern.

Auf dem Klo fast jeder linken Kneipe findet man die »nonpd«-Sticker, mit denen die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA) nach einem sofortigen NPD-Verbot verlangt. Über 170 000 Unterschriften hat die Kampagne seit 2007 gesammelt, doch nach dem Scheitern des letzten, 2001 initiierten Verbotsverfahrens mochten sich Bundestag, Bundesrat oder Bundesregierung – nur sie können ein Parteienverbot beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) beantragen – der Forderung nicht mehr anschließen. Jetzt haben sich die Innenminister aller 16 Bundesländer dazu durchgerungen, es doch wieder zu versuchen. Auf ihrer Tagung in Rostock am Donnerstag voriger Woche entschieden sie, der 1964 gegründeten, skandalgeschüttelten Nazi-Partei den Garaus zu machen. »Wir können mit öffentlich zugänglichen Beweismitteln belegen, dass die NPD eine verfassungsfeindliche Partei ist«, sagte Lorenz Caffier (CDU), der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern. Wohl im Frühjahr kommenden Jahres wird der Bundesrat das BVerfG in Karlsruhe auffordern, die Partei gemäß Artikel 21 des Grundgesetzes zu verbieten. Ein solches Verbot wurde in der Bundesrepublik erst zwei Mal verhängt: 1952 gegen die nazistische Sozialistische Reichspartei und 1956 gegen die Kommunistische Partei Deutschlands, weil diese eine »Diktatur des Proletariats« errichten wolle. Lange hatte insbesondere die CDU diesmal gezögert. Zu tief steckte vielen Innenpolitikern die Niederlage aus dem Jahr 2003 in den Knochen, als der erste Verbotsantrag gegen die NPD krachend scheiterte. Es sei »unvereinbar mit einem rechtsstaatlichen Verfahren«, die NPD zu verbieten, während gleichzeitig staatliche V-Leute in Bundes- oder Landesvorständen sitzen, urteilten die Verfassungsrichter damals. Der von Spitzeln durchtränkten NPD fehle die nötige »Staatsferne«; es sei nicht feststellbar, was die authentische Partei ausmacht und welche Anteile ihrer Aktivitäten auf Geheimdienstler zurückgehen. Die NPD und ihr juristischer Vertreter, der mittlerweile unter anderem wegen Holocaustleugnung zu zwölf Jahren Haft verurteilte Nazi Horst Mahler, gingen als Sieger aus dem Verfahren hervor. Diesmal soll alles anders werden. Ende vorigen Jahres hatten sich die Innenminister darauf geeinigt, alles verfügbare Material, das die »aggressiv-kämpferische Grundhaltung« der NPD belege, zu sichten. Im Oktober war die hierfür eingesetzte Arbeitsgruppe fertig. Sie kam zu dem Ergebnis, die NPD sei mit der Neonazi-Szene verflochten und billige Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele. Das neue Beweismaterial enthalte, so beteuerten die Länder, »nur Informationen aus öffentlich zugänglichen Quellen und nicht von V-Leuten«. Dabei hatten die Innenminister erst im März dieses Jahres beschlossen, ihre Spitzel aus der Führungsschicht der Partei abzuziehen. Die VVN-BdA zeigte sich zufrieden. »Die Zeichen für ein NPD-Verbot stehen so gut wie nie«, sagte ihr Bundessprecher Axel Holz. Kritikern des Verbotsverfahrens aus den Reihen der Union warf er taktisches Kalkül vor. Die Existenz einer Partei rechts von der Union ermögliche dieser, »sich die schlimmsten Rassisten vom Hals zu halten und zugleich das Fähnlein des Konservatismus bei wichtigen Themen hochzuhalten, wie bei der Einschränkung des Asylzuzugs und dem Ruf nach dem starken Staat«. Den Einwand, die Nazis würden sich nach einem Verbot in »nicht greifbare Gruppen« zerstreuen, weist der VVN-BdA zurück: »Das Gegenteil ist der Fall: Die über lange Zeit aufgebauten Strukturen und vor allem ihre Finanzen basieren auf dem Status einer legalen Partei.« Ähnlich äußerte sich auch der Zentralrat der Juden in Deutschland. »Es wird höchste Zeit, dass dem unsäglichen Treiben der NPD ein Ende gesetzt wird. Für jeden überzeugten Demokraten ist es einfach unerträglich, dass Rechtsextremisten Steuermittel erhalten, um ihr braunes Gift zu verbreiten«, sagte dessen Präsident Dieter Graumann. Schon Wochen zuvor hatte der NPD-Bundesvorsitzende Holger Apfel eine eigentümliche PR-Aktion gestartet. Um »nicht wie das Kaninchen auf die Schlange zu starren«, beantragte die Nazi-Partei am 13. November kurzerhand selbst, ihre Verfassungskonformität feststellen zu lassen. Die NPD begründete dies damit, »durch die öffentliche Gewalt in ihren Rechten verletzt« zu werden. Daher soll das BVerfG den NPD-Gegnern verbieten, zu behaupten, die Partei sei verfassungswidrig. Man sehe sich mit einem »in der Geschichte des Gerichts einzigartigen Antrag konfrontiert«, sagte ein Sprecher des Verfassungsgerichts. Wie lange es dauern wird, die Zulässigkeit des NPD-Antrags zu prüfen, ließ er offen. Apfel kündigte an, dass er den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg anrufen werde, falls das BVerfG seinen Antrag zurückweist. Das Ganze sei ein »durchsichtiger und dreister Versuch, die Öffentlichkeit zu täuschen«, sagte der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD). Als drei Wochen später bekannt wurde, dass auch die Länder den Gang zum Verfassungsgericht wagen, lud die NPD noch während der Innenministerkonferenz Journalisten ein, um ihre Verteidigungsstrategie zu erläutern. »Ein Verbot ist aussichtslos«, sagte der saarländische NPD-Landesvorsitzende Frank Franz. Es fehlten den Ländern »jegliche Sachkenntnis und Fakten«. Apfel wiederum behauptete, der eigene Antrag sei »keine PR-Aktion«. Seit Jahren werde die Partei der Verfassungsfeindschaft bezichtigt, ohne dass ernsthafte Argumente vorgebracht würden. Mit dem eigenen Antrag habe die NPD »das Gesetz des Handelns übernommen«. Auch wenn dieser Aktionismus wirkt, als versetze das drohende Verbot die NPD in Panik – ausgemacht ist der Ausgang des verfassungsrechtlichen Streits keineswegs. Seit die Länder im November verkündet haben, dass sie genug Material für ein neues Verbotsverfahren beisammen hätten, ist die Zahl der Kritiker immer weiter gewachsen. Ob der Bundestag und die Bundesregierung sich anschließen oder die Länder allein klagen lassen, ist völlig offen. Eine Niederlage dürfte jedenfalls in erster Linie der Regierung angelastet werden. Besonders skeptisch gibt sich deshalb Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Sie sieht »erhebliche Risiken« und will erst »im ersten Quartal 2013« über eine Beteiligung am Antrag der Länder entscheiden. »Die Wahrscheinlichkeit, dass wir mit diesem Material gewinnen können, ist größer, als dass wir verlieren«, glaubt Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). Es sei aber unkalkulierbar, welche Auswirkungen das möglicherweise lange Verfahren auf die Propagandamöglichkeiten der NPD gerade in anstehenden Wahlkämpfen habe. Wie er sich letztlich entscheiden wird, ist offen. Zunächst möchte er einen »engen Schulterschluss mit dem Bundestag suchen«. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sagte, die »Risiken sind seit dem Scheitern des ersten Verbotsverfahrens nicht unbedingt geringer geworden«. »Dummheit wird man nicht verbieten können«, meinte ihr Parteifreund, Wirtschaftsminister Philipp Rösler. Die Skepsis ist möglicherweise nicht unbegründet. Der ehemalige Verfassungsrichter Hans-Joachim Jentsch (CDU) sagte, der Verbotsantrag werde »nicht durch nüchterne Überlegung bestimmt, sondern durch emotionale Übersteigerung«. Der Staatsrechtler und Berichterstatter im ersten NPD-Verbotsverfahren warnte, das Material möge »noch so gut sein, das Verfahren enthält Risiken«. Falls das Bundesverfassungsgericht einem Verbot der Partei zustimmen sollte, wäre es nach Ansicht Jentschs wahrscheinlich, dass der EGMR das Urteil wieder kassiert. Zurückhaltend präsentiert sich derweil auch der Bundestag. Dessen Präsident Norbert Lammert (CDU) nannte den Beschluss der Ministerpräsidenten »nicht durchdacht«, es handele sich um einen »Reflex« auf die Mordanschläge des NSU. Die von den Ländern gesammelten Beweise reichten nicht für ein Verbot. »Man soll es besser bleiben lassen.« Von weniger Zweifeln geplagt ist die SPD. Ihr Kanzlerkandidat Peer Steinbrück forderte die Regierung auf, ein NPD-Verbot zu unterstützen, um die »braune Soße« zu bekämpfen. Und Innenminister Friedrich bekam sogar Druck von seiner eigenen Partei. Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer soll Friedrich bei der Sitzung des Parteivorstands gefragt haben: »Jetzt sag doch mal, ob du dafür oder dagegen bist. Ja oder nein?«