Gleichstellungspolitik in Norwegen

Weiblich, sozial und schlecht bezahlt

Eine neue Studie zur Gleichstellungspolitik in Norwegen zeigt, dass es selbst dort noch große geschlechterspezifische Unterschiede bezüglich Berufen und dem daraus resultierenden Einkommen und Prestige gibt.

Ein Gleichstellungsparadies – so werden die skandinavischen Länder und vor allem Norwegen gern gesehen. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, unabhängig von Alter, Geschlecht und Herkunft, dazu strenge Antidiskriminierungsgesetze, die zu einer Arbeitsatmosphäre führen, in der sich jeder wohlfühlt. Soweit die Theorie. Die Praxis sieht jedoch ganz anders aus, denn nicht nur der Gender Gap existiert in Norwegen sehr wohl, wie die kürzlich vorgestellte Studie »Politikk for likestilling« (Politik für Gleichstellung) zeigt. Hege Skjeie, Professorin für Staatswissenschaft, gehörte zu den Expertinnen und Experten, die den Zustandsbericht erstellten. »Im Arbeitsleben haben wir keine ordentliche, praxisnahe Gleichstellungspolitik außerhalb des Themas Lohnniveau«, erklärte Skjeie bei dessen Vorstellung in Oslo, es fehle beispielsweise an effektiven Sanktionsmöglichkeiten. Inga Marte Thorkildsen, Ministerin für Gleichstellung, zeigte sich nur wenig überrascht von den Schlussfolgerungen der Professorin: »Wir, die wir seit vielen Jahren gegen Diskriminierung arbeiten, haben ja schon lange vor dem Mythos des Gleichstellungsparadieses, in dem alles wunderbar ist, gewarnt.« Ganz wichtig sei es beispielsweise, Jugendliche zu »nicht traditioneller Berufswahl« zu ermuntern – denn auch in Norwegen werden Schulabgängerinnen lieber Friseurin als Kfz-Mechanikerin oder Systemadministratorin. Jungen, die in der Oberstufe soziale Fächer wählen, und Mädchen, die IT-Kurse belegen, könnten demnächst mit Stipendien belohnt werden, sagte die Ministerin.

Dafür könnte auch ein Kapitel des Berichts gesorgt haben, das sich mit dem nach Geschlechtern aufgeteilten Arbeitsmarkt beschäftigt. In einem Land, das in punkto Gleichstellung zu den fortschrittlichsten der Welt gehört, sollte eigentlich ganz selbstverständlich jeder Beruf jeder Person offenstehen, egal ob Mann oder Frau. Die Studie kommt jedoch zu einem ernüchternden Ergebnis: Die Berufsfelder, die als traditionell männlich gelten, ziehen immer noch nur sehr wenige Frauen an. Als Beispiel nennt die Studie Handwerksberufe, nach wie vor sind 96 Prozent aller norwegischen Kfz-Mechaniker, Elektriker und Installateure Männer. Umgekehrt hat sich auch bei den traditionellen Frauenjobs nur wenig verändert, in den Pflegeberufen oder in Kitas und Krippen sind 90 Prozent aller Beschäftigten Frauen.
Als »geschlechtsneutral«, wie die 40/60-Aufteilung eines Berufsfeldes zwischen den Geschlechtern genannt wird, können in Norwegen nur einige Berufe in den Bereichen Handel, Dienstleistung und Versicherung, Transport und Kommunikation sowie öffentliche Verwaltung gelten. Me­dizinische Jobs, die in den neunziger Jahren noch als geschlechtsneutral galten, sind inzwischen sogar von Frauen dominiert. Ebenso dominieren sie die Berufsfelder Gesundheit und Soziales, Dienstleistung und Unterricht; bei den Männern sind es Bau, Industrie, Bergbau, Landwirtschaft und Öl (wozu die finanziell lukrativen Jobs auf den Nordseeplattformen gehören). Zwar sind 25 Prozent aller Ingenieure und Architekten mittlerweile Frauen, in einigen dieser Bereiche sank die Zahl der beschäftigten Frauen in den vergangenen zehn Jahren aber sogar – Mechanik, Elektrik sowie Bau gelten der Studie zufolge nunmehr als »reine Männerdomänen«.
Auch Führungspositionen werden hauptsächlich mit Männern besetzt. Im Jahr 2009 waren nur ein Drittel der leitenden Angestellten und Spitzenmanager Frauen. »Wenn wir uns den Anteil der Frauen in Führungsjobs ansehen, müssen wir allerdings feststellen, dass die immerhin zu verzeichnenden Annäherungen der Zahlen zum größten Teil daraus resultieren, dass die Anzahl der von Männern besetzten Jobs geschrumpft ist und im Gegenzug die der mit Frauen besetzten nicht gewachsen ist«, heißt es dazu im Bericht – sprich: Es fielen Arbeitsplätze ersatzlos weg.

Ein ähnliches Bild zeichnet die Gleichstellungsstudie auch von den Berufen im öffentlichen Sektor. Durchschnittlich verdienen Frauen im kommunalen Sektor neun Prozent weniger als Männer, Gründe sind vor allem schlechtere Ausbildung und unterschiedliche Berufspositionen. 78 Prozent aller von den Kommunen Beschäftigten sind zwar Frauen, 61 Prozent arbeiten jedoch Teilzeit, vor allem im Pflege- und Gesundheitsbereich. Rådmenn, wie Leitungspositionen in der Verwaltung bezeichnet werden, sind dagegen überwiegend Männer, der Frauenanteil lag hier im Februar 2011 bei 21 Prozent. Trotzdem streben die meisten Schulabgängerinnen eine Ausbildung im öffentlichen Sektor an. Ein Grund dafür könnten die unterschiedlichen Wünsche und Erwartungen von norwegischen Jugendlichen an den späteren Beruf sein. Die Untersuchung »Ung i Norge« (Jung in Norwegen) im Jahr 2005 ergab, dass Jungen ein Job mit hohem Prestige, gutem Einkommen und viel Macht wichtig ist, während Mädchen Wert darauf legen, dass die spätere Erwerbstätigkeit zu ihren ethischen Vorstellungen passt und sie anderen Menschen helfen können.
Im privaten Sektor arbeiten Frauen hauptsächlich in traditionellen Berufen. Mehr als 60 Prozent des Verkaufspersonals ist nach wie vor weiblich, über 80 Prozent der Reinigungsarbeiten und der Bürojobs werden von Frauen erledigt. Als Lastwagenfahrer, Maschinenführer und IT-Spezialisten arbeiten dagegen fast zu 100 Prozent Männer – die Anzahl der männlichen Grundschullehrer sank überdies zwischen den Jahren 2000 und 2010 von 30 auf 27 Prozent.
Norwegische Jugendliche für Berufe zu interessieren, die als vom jeweils anderen Geschlecht dominiert gelten, ist jedoch nicht so einfach, wie das Projekt »Bevisste utdanningsvalg« (Bewusste Wahl des Ausbildungsberufs) zeigt, an dem zwischen 1997 und 2000 Schülerinnen und Schüler in vier Verwaltungsbezirken teilgenommen haben. »Es war leichter, Mädchen dazu zu bewegen, einen Job in einem als männlich geltenden, hoch angesehenen Bereich zu wählen, als Jungen dazu zu bringen, sich in einem typischen, schlecht bezahlten und mit wenig Prestige verbundenen Frauenberuf zu versuchen«, lautete ein wenig überraschendes Fazit. Das passt zum Resultat zweier Initiativen, die dafür sorgen sollten, dass mehr Männer Erzieher und Lehrer werden. Beide Initiativen seien »nicht erfolgreich« gewesen, konstatiert der Bericht. Eine Studie in den sogenannten nordischen Ländern Dänemark, Schweden und Norwegen aus dem Jahr 2011 könnte den Grund dafür zeigen: Männer interessieren sich demnach vor allem dann für soziale Berufe, wenn sich die Arbeitsbedingungen ändern würden. Statt Projekteinsätze bevorzugen sie langfristiges Arbeiten mit der Möglichkeit zur Weiterbildung und daraus resultierenden besseren Aufstiegschancen.

In der Initative »Likestilling 2014« bündelt die norwegische Regierung derzeit verschiedene Programme, um Jungen und Mädchen für bislang noch nicht als geschlechtsneutral geltende Berufe zu interessieren. Eines hat sich beispielsweise zum Ziel gesetzt, bis 2020 eine Frauenquote von 20 Prozent im Auto- und Elektrobereich zu erreichen. Dazu soll auch ein »Ausbildungs- und Arbeitsmilieu erreicht werden, in dem Frauen es attraktiv finden zu arbeiten.« Für die frauendominierten Berufe gab es dagegen bereits im Jahr 2008 einen aparten, nicht realisierten Vorschlag: Der sogenannte Frauentopf sollte für eine Lohnsteigerung sorgen, außerdem sollte mit Zuschüssen ermöglicht werden, dass Niedriglohnjobs besser bezahlt werden.
Sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor kommt es bei der Jobsuche aber nicht nur auf ausreichende Qualifikationen, sondern auch auf den richtigen Namen an. Eine von den Soziologen Arnfinn Haagensen Midtbøen und Jon Rogstad gerade abgeschlossene Untersuchung über Diskriminierung im Bewerbungsprozess stellt fest, dass Menschen mit ausländisch klingenden Namen bei gleicher Ausbildung eine um 25 Prozent schlechtere Chance haben, zu einem Gespräch eingeladen zu werden, als solche mit norwegischen Vor- und Zunamen. Im öffentlichen Sektor wurden jedoch nur zehn Prozent nachweislich ihres Namens wegen diskriminiert, im privaten waren es dagegen mit 35 Prozent mehr als ein Drittel aller Bewerberinnen und Bewerber.