Die möglichen Nachfolger von Hugo Chávez

Wer macht den Chávez?

Der Präsident Venezuelas ist schwer krank und kann seinen Amtsgeschäften nicht nachgehen. Neuwahlen wollen seine potentiellen Nachfolger jedoch vermeiden.

Am 10. Januar sollte der alte und neue Präsident Venezuelas vereidigt werden. Doch mit seiner Anwesenheit in Caracas ist vorerst nicht zu rechnen. Hugo Chávez ist schwer an Krebs erkrankt und liegt in einem kubanischen Krankenhaus, über seine Nachfolge wird bereits spekuliert. Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff hat ihren Berater nach Havanna geschickt, um Details über den Gesundheitszustand von Chávez zu erfahren. Auch die Regierungen von Bolivien, Nicaragua und Argentinien entsandten Vertraute nach Havanna, weil Venezuelas Präsident seine vierte und letzte Krebsoperation alles andere als gut überstanden hat. Es gab Komplikationen, er leidet unter Blutungen und einer schweren Lungenentzündung. Einigen Berichten zufolge ringt er bereits mit dem Tod, anderen zufolge liegt er in einem künstlichen Koma, um sich zu erholen. Sicher ist jedoch, dass der 58jährige am 10. Januar nicht zu seiner offiziellen Vereidigung in Caracas erscheinen kann. Das hat der stellvertretende Präsident, Nicolás Maduro, in einem Fernsehinterview am Wochenende indirekt zugegeben. Er bezog sich auf den Paragraphen 231 der Verfassung, der es dem designierten Präsidenten erlaube, auch vor dem Obersten Gerichtshof seinen Amtseid zu sprechen. Allerdings ist dort nicht genau festgelegt, wann und wie diese Vereidigung vonstatten gehen soll. Die Opposition in Venezuela teilt die Einschätzung Maduros und anderer Regierungsvertreter daher nicht.

Im Kern geht es um die Frage, ob Chávez dauerhaft von seinem Amt abwesend ist. Immerhin ist seit seiner vierten Krebsoperation am 11. Dezember nichts mehr von ihm zu sehen und zu hören, selbst auf seine Tweets müssen seine Anhängerinnen und Anhänger in Caracas verzichten. Wie lange das noch der Fall sein wird, ist unklar. Detaillierte Informationen über den Gesundheitszustand des seit 1999 amtierenden Präsidenten gibt es nicht, regierungskritische Zeitungen wie El Nacional sprechen deshalb von einem »Informationsvakuum«. In die gleiche Richtung geht die Kritik der Opposition. Ramón Guillermo Aveledo, Generalsekretär des oppositionellen Bündnisses »Tisch der Demokratischen Einheit« (MUD), behauptete, die Regierung wolle schlicht nicht zugeben, dass der Präsident abwesend sei. Dies sei nicht haltbar und verfassungsrechtlich bedenklich, die Verfassung sei keine »Modelliermasse«.
Aber sie lässt Interpretationsspielraum, diesen versuchen zwei der ranghöchsten Chavistas, Maduro und Diosdado Cabello, zu nutzen. Maduro ist Chávez’ designierter Nachfolger, denn zum einen führt er als stellvertretender Präsident derzeit die Amtsgeschäfte, zum anderen hat Chávez anders als früher vor seiner Abreise zur vierten Krebsoperation nach Kuba deutliche Worte zu seiner politischen Nachfolge gefunden. »Trotz guter Vorbereitung bleibt auch bei dieser Operation ein Risiko (…). Falls etwas passiert, soll Nicolás Maduro die Amtszeit zu Ende führen. Sollte es zu neuen Präsidentschaftswahlen kommen, wählt Nicolás Maduro zum Präsidenten der bolivarischen Republik Venezuela«, sagte er seinen Anhängerinnen und Anhängern am 8. Dezember.
Doch zu Neuwahlen wollen es die Chavistas gar nicht erst kommen lassen. Zum einen weil erst vor wenigen Monaten gewählt wurde, zum anderen weil die Gunst der Wählerinnen und Wähler ohne den seit 14 Jahren regierenden Chávez auch verloren gehen könnte. Weder Maduro noch Cabello verfügen über ein ähnliches Charisma. So setzen sie derzeit alles daran, so lange zu warten bis der alte und designierte Präsident des Landes wieder auftreten kann. Doch bislang ist sogar unklar, an welcher Krebsart Chávez überhaupt erkrankt ist. Da die Operation vom 11. Dezember kompliziert war, scheint sich die Aussage des ehemaligen Hausarztes der Familie Chávez, Salvador Navarrete, zu bewahrheiten. Bereits im Oktober 2011 hatte er gegenüber der mexikanischen Tageszeitung Milenio behauptet, Chávez habe ein Sarkom, eine bösartige und seltene Krebserkrankung, die vom Stützgewebe ausgeht und frühzeitig in die Blutgefäße metastasiert. Bei Chávez liege der Herd in der Hüftgegend und Navarrete zufolge beträgt seine Lebenserwartung höchstens zwei weitere Jahre. Diese Aussage war brisant. Danach hat Navarrete eigenen Angaben zufolge Besuch von der Polizei bekommen. Sie habe Daten auf seinen Computern beschlagnahmt, woraufhin Navarrete aus Caracas flüchtete. Er habe sich nicht mehr sicher gefühlt, ließ er aus dem Exil wissen.

Die Geschichte um den ehemaligen Hausarzt ist dubios. Zum Wahlkampfauftakt präsentierte sich Chávez noch als geheilt und bezeichnete die Behandlung als abgeschlossen, doch angesichts der neuerlichen Operation im Dezember reißen die Spekulationen darüber, ob Chávez tatsächlich unheilbar an Krebs erkrankt und die Aussage Navarretes wahr gewesen sei, nicht ab. Die Informationspolitik der Regierung in Caracas leistet den Spekulationen Vorschub. Doch auch das Verhalten der staatlichen Medien ist auffällig. Sie forderten seine Anhängerinnen und Anhänger auf, für ihr Idol zu beten, und im Fernsehen war ein Video mit der Sequenz einer Rede Chávez’ zu sehen, in der er »Ich werde immer bei euch sein« sagt. Der Comandante lächelt auch von unzähligen Hauswänden herab, der Personenkult um Chávez macht es dem designierten Nachfolger Maduro schwer.
Der 50jährige stellvertretende Präsident, ein ehemalige Busfahrer und Gewerkschafter, hatte Chávez bereits die Treue gehalten, als dessen Putsch 1992 gegen die damalige Regierung von Carlos Andrés Pérez gescheitert war und er im Gefängnis landete. Maduro besuchte ihn und verhielt sich stets loyal. Als Dritter in der politischen Hierarchie des Chavismo gilt Hugos Bruder Adán Chávez. Er regiert derzeit den Bundesstaat Barinas, ist ein paar Jahre älter als Hugo und Dozent für Mathematik und Physik. Auch Adán hat es in die Politik gezogen und er gilt als beinharter Ideologe des Chavismo. Als Botschafter in Havanna und Bildungsminister in Caracas hat der fast 60jährige reichlich politische Erfahrung gesammelt, verfügt aber nicht über eine ausreichend große Basis im Chavismo. Über die verfügen jedoch sowohl Maduro als auch Cabello. Der ehemalige Offizier Cabello genießt im Militär großen Rückhalt, stand Chávez schon 1992 beim Putsch zur Seite und ist ein erfahrener Politiker. Mehrere Jahre hat er den Bundesstaat Miranda regiert und auch als Innen- und Justizminister amtiert. Allerdings ist Cabello auch innerhalb des Chavismo nicht unumstritten, da er mehrfach unter Korruptionsverdacht stand. Wie seine jüngste Bestä­tigung im Amt des Parlamentspräsidenten belegt, konnten diese Vorwürfe dem 49jährigen aber wenig anhaben.
Cabello hat es nun in der Hand, über Neuwahlen zu entscheiden. Das sieht die Verfassung für den Fall vor, dass der Präsident unfähig zur Amtsausübung ist. Der Parlamentspräsident muss dann binnen 30 Tagen Neuwahlen ausrufen. Genau das will Cabello allerdings vermeiden und so argumentiert er gemeinsam mit Maduro, dass eine permanente Abwesenheit des Präsidenten nicht gegeben sei. Schließlich habe sich Chávez die ärztliche Behandlung in Kuba vom Parlament genehmigen lassen. Diese Regelung sei nach wie vor gültig, die Vereidigung könne nach seiner Rückkehr erfolgen. Eine Verschiebung der Vereidigung kann sich auch der ehemalige Präsidentschaftskandidat Henrique Capriles von der Partei Primero Justicia vorstellen, andere pochen auf die Verfassung, die jedoch kein Procedere vorschreibt.

Auf dieses Problem hat sich die Doppelspitze Maduro und Cabello offenbar gut vorbereitet, denn sie demonstrierten am Wochenende Einigkeit in Caracas, statt, wie oft berichtet, als Konkurrenten aufzutreten. Für die Freunde Venezuelas in aller Welt ist das ein positives Zeichen. Sie reichen vom iranischen Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad über Weißrusslands Präsidenten Alexander Lukaschenko bis zu Syriens Diktator Bashar al-Assad. Diese Allianzen haben Chávez viel Kritik in aller Welt eingebracht, wichtiger ist das an Erdöl reiche Land jedoch für seine Nachbarländer Bolivien, Kuba, Nicaragua und Ecuador. Vor allem für Kuba wäre ein Machtwechsel in Venezuela riskant, da derzeit mindestens 90 000 Barrel Erdöl täglich zu Vorzugspreisen dorthin geliefert werden. Mit Maduro als Nachfolger wären diese Verträge kaum in Gefahr, allerdings schwächelt auch Venezuelas Wirtschaft. Durch die Erkrankung des Präsidenten vergrößert sich die wirtschaftliche Unsicherheit. So hatten viele Unternehmen erwartet, dass Chávez spätestens zum Jahresende die anstehende Abwertung der Landeswährung Bolívar vollziehen würde. Das ist nötig, um den Staatshaushalt wieder ins Gleichgewicht zu bringen, aber wenig populär, da eine Abwertung eine steigende Inflation mit sich bringen würde, die die Armen am stärksten trifft. So steht Maduro gleich vor mehreren undankbaren Aufgaben – Chávez’ Nachfolger hat es nicht leicht.