Proteste der Bio-Bauern bei der »Grünen Woche«

Für einen Apfel und ein Ei

Anlässlich der »Grünen Woche« wurde für die Förderung nachhaltiger Landwirtschaft demonstriert. Dass Bioprodukte für Menschen mit geringem Einkommen oft zu teuer sind, schien dabei kaum eine Rolle zu spielen.

»Wir haben es satt!« war das Motto einer Demonstration, an der sich Tausende Menschen am 19. Januar in Berlin beteiligten. Bei klirrender Kälte forderten sie von der Bundesregierung die Förderung einer nachhaltigen und bäuerlichen Landwirtschaft. Mit der Demonstration sollte, wie auch schon im Jahr zuvor, eine Gegenöffentlichkeit zur gleichzeitig in Berlin stattfindenden, weltweit wichtigsten Landwirtschaftsmesse »Internationale Grüne Woche« geschaffen werden. Dort präsentiert sich die Agrarindustrie.
Der Vorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), Hubert Weiger, sagte auf der Abschlusskundgebung vor dem Kanzleramt: »Hinter dem schönen Schein der Messestände verbergen sich millionenfaches Tierleid, ein ex­orbitanter Antibiotikaeinsatz bei Masttieren und enorme Belastungen der Umwelt durch die Massentierhaltung.« Neben dem BUND hatten zahlreiche Umwelt-, Bio- und Bauernverbände zu der bundesweiten Demonstration aufgerufen. Stark vertreten waren auch die Grünen, die einen Tag vor der Landtagswahl in Niedersachsen die Gunst der Stunde nutzten, um auf sich aufmerksam zu machen. Im Agrarland Niedersachsen wirkt der Knflikt zwischen Agrarindustrie und nachhaltiger Landwirtschaft stark polarisierend.
Bereits vorher war es dem Bündnis gelungen, mit einer professionellen Medienkampagne deutlich wahrnehmbare Akzente zu setzen. In den Tagen vor der Demonstration wurden zahlreiche Berichte und Beiträge über die Produktion von Nahrungsmitteln und deren Begleitumstände gedruckt und gesendet. Insbesondere entwicklungspolitische Gruppen sprachen die Probleme an, die für Menschen in anderen Teilen der Welt entstehen, weil dort die Futtermittel für die hiesige Fleischindustrie hergestellt werden. Die Konflikte zwischen indigenen Gruppen und dem argentinischen Staat um Land, das Erstere bewohnen und Letzterer für den Anbau von Soja erschließen möchte, ist dafür nur ein Beispiel unter vielen.

Einige Mitorganisatoren der Demonstration kritisierten zudem die Arbeitsbedingungen in der Agrarindustrie hierzulande, insbesondere im Zusammenhang mit der industriellen Fleischproduktion. »Es darf den Politikern nicht egal sein, wenn ausländische Arbeiter für 3,50 Euro Stundenlohn in deutschen Schlachthöfen aus­gebeutet werden«, sagte zum Beispiel Ursula Helmer vom Bündnis »Bauernhöfe statt Agrarfabriken« und forderte »eine Agrarpolitik zum Wohle der Tiere, der Menschen und der Umwelt«. Die »Naturfreunde« forderten eine »ökologisch-soziale Agrarwende«.
Die Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg (ALSO) äußerte sich auch kritisch gegenüber dem Demonstrationsbündnis. »Wir haben nicht satt!« stand auf ihrem Flugblatt, das sie auf der Demonstration verteilten, und mit dem sie deutlich machten, dass bei 4,46 Euro, die pro Tag für einen Erwachsenen für Essen und Trinken im Hartz-IV-Regelsatz vorgesehen sind, an den Kauf von Bio-Lebensmitteln nicht zu denken ist. Bereits am 11. Januar hatte sich die ALSO an einer Protestkundgebung vor dem Schlachthof des Fleischkonzerns Vion in Ernstek in der Nähe von Oldenburg beteiligt. Anlass waren die Bedingungen, unter denen dort osteuropäische Arbeiterinnen und Arbeiter ausgebeutet werden, aber auch die industrielle Fleischproduktion insgesamt wurde kritisiert.

Die schlechten Arbeitsbedingungen im Schlachthof setzen auch die ortsansässigen Lohnabhängigen unter Druck. Das lokale Bündnis aus Gewerkschaften, Erwerbslosen- und Umweltgruppen spricht sich gegen den Missbrauch von Werkverträgen, für eine bessere Unterbringung der Lohnabhängigen und für faire Löhne aus. Man betont, dass man sich für alle Betroffenen einsetze, unabhängig davon, welchen Pass sie haben. Peter Kossen, der Prälat der katholischen Kirche Oldenburg, fand auf der Kundgebung deutliche Worte: »Die kriminellen Praktiken moderner Sklaverei mitten unter uns müssen verfolgt, bestraft und unterbunden werden.« Die ALSO verwies dort, ebenso wie auf der Demonstration eine Woche später, darauf, dass die ökologische Frage und die soziale Frage nur gemeinsam gelöst werden können. Der Pressesprecher des Bündnisses »Wir haben es satt!« Jochen Fritz, stimmt dem zu und betont, dass es sehr positiv sei, wenn sich solche Gruppen am Bündnis beteiligen. »Die Menschen müssen sich gesundes und nachhaltiges Essen leisten können. Deswegen müssen die Hartz-Sätze hoch und nicht die Lebensmittel immer billiger werden«, sagte er der Jungle World.
Fragte man Teilnehmer der Demonstration, konnte man allerdings den Eindruck gewinnen, dass es überhaupt kein Problem sei, sich auch mit einem geringen Einkommen von Bioprodukten zu ernähren. »Das ist eine Frage der Prioritätensetzung«, meinte zum Beispiel Hanno Vetter. Er verfüge über 600 Euro im Monat, trotzdem sei es ihm möglich, sich vor allem von Bioprodukten zu ernähren. Vieles müsse er zwar im Discounter kaufen, aber einige Nahrungsmittel würde er sich auch im Bioladen besorgen.
Clemens Gabriel, der selbst Landwirt ist und mit einer Fahne des anthroposophischen Verbandes Demeter auf die Demonstration gekommen war, sagte: »Wenn man direkt beim Bauern einkauft und auf Fertigprodukte verzichtet, kann man sich auch mit Hartz IV von Bioprodukten ernähren.« Auch die Teilnehmerin Luise Holzapfel, die einen Kinderwagen vor sich herschob, sieht das so: Sie könne sich mit wenigen hundert Euro pro Monat im Bioladen mit Lebensmitteln eindecken, gab sie zu Protokoll.

Ist also alles gar nicht so dramatisch, oder sind viele Bioanhänger nur überdurchschnittlich leidenswillig? Zumindest ist es schwer vorstellbar, dass Millionen Erwerbslose ihre Nahrungsmittel direkt beim Bauern kaufen. Besonders »nachhaltig« dürfte dieser Ansatz nicht sein.
Fraglich ist zudem, ob sich die Personen, die in der Biobranche arbeiten, die Produkte, die sie herstellen, auch selbst leisten können. »Die Arbeitsbedingungen in der Ökobranche sind ähnlich wie die in der konventionellen Landwirtschaft«, sagt Michael Bormann, der für diesen Bereich zuständige Sekretär der Gewerkschaft IG Bau, Agrar, Umwelt der Regionen Berlin und Brandenburg, im Gespräch mit der Jungle World. So lägen die Stundenlöhne für Saisonarbeitskräfte in Brandenburg jeweils bei ungefähr 4,50 Euro. Bedeutend weniger zahlt die Fleischindustrie in Niedersachsen auch nicht. Ähnlich argumentiert das Berliner Syndikat der Basisgewerkschaft Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union (FAU), das sich ebenfalls auf der Demonstration zeigte.
Die FAU Berlin steht derzeit im Arbeitskampf mit einem Ökolandwirt aus Brandenburg. Dessen Auszubildende werde, nach Angaben der Gewerkschaft, nicht ausgebildet, sondern als billige Arbeitskraft ausgebeutet. Ihr Lohn überschreite die Grenze zur Sittenwidrigkeit. Jochen Fritz vom Demobündnis nimmt solcherlei Informationen nachdenklich zur Kenntnis: »Ich hoffe, dass sich auch da noch etwas verbessert.«