Korruption in Bolivien

Stifte lügen nicht

Die bolivianische Regierung kämpft gegen Korruption. Vor kurzem ist ein Erpresserring auf Ministeriumsebene aufgeflogen.

Boliviens Zollbeamten wird auf die Finger geschaut. Sie alle haben seit sieben Monaten ganz besondere Kugelschreiber: In die modernen Schreibgeräte sind eine Mini-Kamera und ein Aufnahmegerät integriert. Die Stifte müssen die Beamten im Einsatz stets eingeschaltet bei sich tragen, so wollen die bolivianischen Behörden die als besonders korrupt verschrienen Zollbeamten besser kontrollieren. Regelmäßig sollen Stichproben durchgeführt werden, um die Selbstbedienungsmentalität im Staatssektor einzuschränken.
Dass dies alles andere als einfach ist, bestätigt Boliviens wichtigste Korruptionsbekämpferin Nardi Suxo Iturri: »Die Dimension des Ganzen hat auch mich überrascht.« Seit gut drei Jahren steht sie dem Ministerium für Transparenz und Korruptionsbekämpfung vor. Präsident Evo Morales hatte bei seinem Amtsantritt 2006 versprochen, der Korruption den Garaus zu machen. Vor ein paar Monaten wurde ein neues Pilotprogramm vorgestellt. »Da legen 150 führende Mandatsträger, darunter Präsident Morales und natürlich auch ich, ihr Einkommen offen, lüften ihr Bankgeheimnis und gehen mit gutem Beispiel voran«, sagt Suxo.

Doch nicht alle folgen dem Vorbild, wie der vor kurzem aufgedeckte Skandal um einen Erpresserring zeigt. Mindestens zehn Funktionäre der Regierung, Staatsanwälte, Richter und Polizisten sollen als dessen Mitglieder von vermögenden Ausländern und Bolivianern Geld erpresst haben. Seit November wird in diesem Fall offiziell ermittelt, Jacob Ostreicher hatte ihn letztlich ins Rollen gebracht. Der Geschäftsmann aus New York war in den Fokus des Erpresserrings geraten, der nicht nur in der Hauptstadt La Paz agierte, sondern auch in Santa Cruz de la Sierra, der Agrarmetropole des Landes. Dort im Tiefland, wo vor allem Soja und Zuckerrohr angebaut und Hühner gemästet werden, wollte Ostreicher in größerem Stil in die Reisproduktion einsteigen. Von Investitionen in Höhe von umgerechnet 18,7 Millionen Euro war die Rede. Ostreicher war nur einer aus einer Gruppe von potentiellen Investoren, aber derjenige, auf den die korrupten Staatsangestellten ein Auge geworfen hatten.
Im Juni 2011 wurde er unter dem Vorwurf, sich bereichert und Drogengeld gewaschen zu haben und dubiose Geschäftskontakte mit brasilianischen Drogendealern zu unterhalten, von der Polizei in Santa Cruz festgenommen. Reis, Agrarausrüstung und persönlicher Besitz des Geschäftsmanns wurden dabei beschlagnahmt. Von dem Reis wurden erst vor ein paar Wochen etliche Tonnen für den Preis von 9 000 Euro verkauft. Der Verkäufer war ein ehemaliger Funktionär des Innenministeriums – ein weiterer Beleg für die Aktivitäten des Erpresserrings, dessen Mitglieder es trotz internationaler Appelle und wenig stichhaltiger Beweise geschafft haben, den US-Amerikaner bis Mitte Dezember vorigen Jahres in Untersuchungshaft zu halten. Erst die Ermittlungen eines ehemaligen FBI-Agenten und die Unterstützung des US-amerikanischen Schauspielers Sean Penn, der sich für Ostreicher bei der bolivianischen Regierung eingesetzt hatte, führten dazu, dass er schließlich unter Auflagen freigelassen wurde. Ostreicher musste 14 000 Euro Kau­tion zahlen und steht unter Hausarrest. Für den Unternehmer ist das ein Fortschritt und außerdem ein Schritt hin zur Aufklärung der Taten des Erpresserrings.

Für Suxo und die Regierung Morales ist der Fall Ostreicher ein herber Rückschlag in ihren Bemühungen, die Korruption einzudämmen. So wurde Suxo in den Medien vorgeworfen, untätig und gar selbst Teil des Erpresserrings gewesen zu sein. Das sind harte Angriffe gegen die dienstälteste Ministerin und ehemalige Mitarbeiterin der Carter Foundation in La Paz. Dabei hatte sie, nachdem sich langsam herausgestellt hatte, dass Ostreicher unschuldig sein könnte, schon vor Wochen zwei Anwälte mit dem Fall betraut.
Doch in der Öffentlichkeit zählt das wenig, der Skandal sorgt dafür, dass die Erfolge des Ministeriums schnell vergessen werden. Dabei hat das Ministerium umgerechnet knapp 90 Millionen Euro für die Regierung in La Paz von Auslandskonten zurückgeholt, 64 Urteile wurden auf Basis der Recherchen der Mitarbeiter des Ministeriums gefällt und derzeit sind drei Verfahren gegen ehemalige Minister anhängig. Seit März 2010 gilt ein neues Gesetz zur Korruptionsbekämpfung und im November erfolgte ein Antrag auf Absetzung von 43 Richtern und 52 Staatsanwälten wegen Bestechlichkeit. Das sind Erfolge, die auch vom UN-Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung unter Yuri Fedotov anerkannt werden. Einer Studie vom vorigen Jahr zufolge zeige Boli­vien »viel Einsatz, Gesetze und Institutionen den internationalen Standards anzupassen«. Für die in Wien ansässige UN-Institution spielt Bolivien eine positive Rolle im internationalen Kampf gegen die Korruption.
Doch entsprechend hart sei der Widerstand gegen das Vorgehen des Ministeriums, sagt Suxo. Die 50jährige zahlt einen hohen Preis für ihr Engagement: Ihr Sohn wurde überfallen, zusammengeschlagen und kam mit Schnittwunden ins Krankenhaus, ihr Bürovorsteher quittierte den Dienst, nachdem ihm das Gleiche widerfahren war, und ihre Tochter lebt nach Morddrohungen im Ausland. Da klingen die Vorwürfe, sie selbst könne Teil des Erpressernetzwerks sein, wie Hohn. Aber Suxo, die Präsident Evo Morales Anfang Januar als seine beste Ministerin bezeichnete, hat sich entschieden, ihre Arbeit fortzusetzen. »Früher war Korruption Alltag in Bolivien, heute überlegen die meisten, bevor sie sich darauf einlassen«, meint sie. Boliviens Zollbeamte gehören nun in jedem Fall zu letzteren – dafür sorgen die intelligenten Kugelschreiber.