Das Attentat auf einen Islamkritiker in Kopenhagen

Wenn nicht der Postmann klingelt

Auf den dänischen Islamkritiker Lars Hedegaard wurde ein Attentat verübt. Es könnte sich um eine neue Qualität islamistischer Angriffe auf die Redefreiheit handeln.

Ein junger Mann in einer roten Briefträgerjacke klingelt am 5. Februar in Kopenhagen an Lars Hedegaards Tür, vorgeblich um ein Paket abzuliefern. Als Hedegaard öffnet, verfehlt ein Schuss nur knapp sein rechtes Ohr. Im folgenden Handgemenge schießt der Angreifer erneut daneben. Dann flieht er.
Gefasst wurde er bislang noch nicht. Er soll dunkelhäutig gewesen sein, mit langem schwarzem lockigem Haar, vielleicht einer Perücke. Bei dem Attentatsversuch auf den Islamkritiker Hedegaard handelte es sich vermutlich um einen islamistischen Einschüchterungsversuch mit dem Ziel, die Redefreiheit einzuschränken. Seit langem ist bekannt, dass Cartoonisten und Künstler, die in »Mohammed-Fälle« involviert waren, wie Kurt Westergaard, Lars Vilks, Nakoula Basseley Nakoula und andere, Ziele von Mordversuchen durch Islamisten wurden und auch bleiben, aber es stellte eine neue Qualität dar, wenn nun auch lokale Islamkritiker auf dieselbe Weise zum Ziel werden.

Der Vorfall rief in Dänemark erwartungsgemäß große Aufregung hervor. Die meisten verurteilten den Mordversuch, auch wenn einige andeuteten, dass mit derartigen Reaktionen zu rechnen sei, wenn jemand sich so großmäulig gebe wie Hede­gaard. Bislang sind weder die Identität noch das Motiv des Attentäters bekannt. Die vorsichtige dänische Polizei betont, dass grundsätzlich jedes denkbare Motiv, wie zum Beispiel Eifersucht, in Frage käme. Aber selbst wenn dies der Fall sein sollte, muss hervorgehoben werden, dass der Druck auf die freie Meinungsäußerung bestehen bleibt, solange nicht bewiesen ist, dass der Bewaffnete völlig andere Absichten hatte.
Angesichts der Stellung Hedegaards in der dänischen Öffentlichkeit ist das wahrscheinlichste Motiv für einen Angriff auf ihn seine extreme Kritik nicht des Islamismus, sondern des Islam an sich. Eine Attacke auf eine solche Person wird daher andere Kritiker auf diesem Gebiet daran hindern, ihre Meinung zu äußern.
Hedegaard ist international kaum von Bedeutung, aber in Dänemark hat er ein ganzes Jahrzehnt lang eine prominente Rolle in der Islamdebatte gespielt. Früher ein Trotzkist, hat der 70jährige seine Wurzeln weit links in der dänischen Politik, aber nach und nach bewegte er sich nach rechts. Als studierter Historiker schrieb er marxistische Bücher zur Weltgeschichte – und er behauptet von sich immer noch, in seiner politischen Analyse Marxist zu sein. Als Chefredakteur der linken dänischen Tageszeitung Information von 1987 bis 1990 schockierte er viele Linke durch die gründliche Berichterstattung über die Entdeckung einer Bande linker Bankräuber, die sogenannte Blekingegade-Bande, die in den späten achtziger Jahren die palästinensische PFLP unterstützte und bei einem Überfall einen Polizisten erschoss.
Dies führte zu Hedegaards Abschied von der Zeitung, und in den folgenden Jahren beschäftigte er sich mit dem Islam und den Konsequenzen der liberalen dänischen Einwanderungsgesetze. 2004 beteiligte er sich an der Gründung der Free Press Society, die den Islam als »momentan größte Bedrohung« der Meinungsfreiheit betrachtet. 2009 erreichte seine Islamkritik einen Tiefpunkt, als er die dänische Öffentlichkeit schockierte, indem er behauptete, muslimische Mädchen würden generell von ihren Vätern und anderen älteren Verwandten vergewaltigt, und so Muslime in ihrer Gesamtheit verurteilte. Dafür wurde er wegen rassistischer Hetze angeklagt, zunächst freigesprochen, dann von einem Berufungsgericht verurteilt und voriges Jahr schließlich vom Obersten Gerichtshof erneut freige­sprochen.

Der Fall veränderte die allgemeine Wahrnehmung Hedegaards und einflussreiche Unterstützer verließen die Free Press Society aus Protest. Mit Free Debate gründete sich eine neue Gesellschaft, die sich der Redefreiheit verpflichtete. Ihre Mitglieder begründeten ihre Entscheidung damit, dass Hedegaards Gesellschaft der rechten Volkspartei als Frontorganisation diene und der dänischen Pen-Club sich so sehr mit dem Thema hate speech beschäftige, dass er seiner eigentlichen Aufgabe als Verteidiger der Meinungsfreiheit nicht mehr nachkommen könne. 2009 veröffentlichte Hede­gaard mit dem einstigen sozialdemokratischen Abgeordneten und späteren Europaparlamenta­rier der Volkspartei, Mogens Camre, ein Buch, in dem der Islam, wie im Titel angedeutet, für »1 400 Jahre Krieg« gegen Europa verantwortlich gemacht wird.
Dänische Geheimdienste versicherten, sie hätten keine Gefahr für Hedegaard registriert. Der überraschende Angriff könnte eine neue Entwicklung darstellen beim Versuch von Islamisten, Druck auf die Öffentlichkeit des Westens auszuüben. Es wurde behauptet, dass Cartoons und bildende Kunst allgemein, wegen ihrer Unabhängigkeit von einer Landessprache, ein größeres Konfliktpotential hätten als sprachliche Äußerungen, die eher einem kleineren Publikum zugänglich sind. Und die meisten Angriffe auf Autoren, beispielsweise im Fall Salman Rushdie, hatten international bekannte Personen zum Ziel.
Hedegaard ist kein Cartoonist und für seine schriftlichen und sonstigen Äußerungen vornehmlich in Dänemark bekannt. Niemand weiß, ob der Attentäter als Einzeltäter gehandelt hat oder ob er zu einem größeren Netzwerk gehört. Kurz nach dem Angriff soll ein Augenzeuge zwei maskierte Männer gesehen haben, einer davon mit roter Jacke, die über den Zaun des nahen Kopenhagener Zoos geklettert seien. Die Polizei vermutet einen größeren Anschlagsplan hinter dem Angriff, aber das Maß an Zusammenarbeit, sollte es eine geben, ist noch unbekannt.

Aus dem Englischen übersetzt von Nicole Tomasek