Für Arme würde sich nichts ändern

Rotkohl ist auch Kohl

Ein höherer Spitzensteuersatz und eine Vermögensabgabe werden die Lohnentwicklung bei den Ärmeren nicht verbessern. Aufgrund ihres Etatismus hat »Die Linke« jedoch vor allem die Einkommen des Staates im Auge.

Niemanden zu beunruhigen, scheint erste Parteienpflicht zu sein. Nachdem der Vorschlag der Bundesvorsitzenden der »Linken«, Katja Kipping, Einkommen über 40 000 Euro monatlich mit 100 Prozent zu besteuern, CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe an die »DDR-Enteignungspolitik« erinnert hatte, der Spiegel einen »Angriff der Umverteiler« auf Deutschland erkannte und die Süddeutsche Zeitung »Die Linke« damit in die »Bedeutungslosigkeit« taumeln sah, ist man im Karl-Liebknecht-Haus nun wieder auf Koalitionsangebotskurs gegenüber Rot-Grün eingeschwenkt. Um Missverständnisse zu vermeiden, hat nun unlängst Kipping selbst erklärt, dass man lediglich zu den Verhältnissen der Ära-Kohl zurückkehren wolle: »Wer im Entwurf unseres Wahlprogramms nach einer 100-Prozent-Steuer sucht, wird nichts finden.« Lediglich ein Spitzensteuersatz von 53 Prozent – ab einer Million Euro Jahresverdienst 75 Prozent – ist noch vorgesehen und eine fünfprozentige Vermögenssteuer ab der zweiten Million. »Das macht keinen Millionär arm«, gibt der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch auf der Website der Bundestagsfraktion der »Linken« Entwarnung.

Aber nicht nur die alberne Anbiederung zwecks rot-rot-grüner Koalitionsspielereien, auf die weder SPD noch Grüne im Bund zu reagieren bereit sind, bringt die Partei der Bedeutungslosigkeit immer näher. Für den erschütternden Zustand des zeitgenössischen Reformismus ist vielmehr die ausschließliche Orientierung am Staat der adäquate Ausdruck. Denn im Zentrum des deutschen Wettbewerbsmodells, und keinem anderen Zweck dient die gerne als »Umverteilung von unten nach oben« benannte Enteignung der Beschäftigten und Transferempfänger zugunsten der Kapitaleigner, steht weniger die Steuerpolitik als vielmehr die Lohnentwicklung. Zur Erinnerung: In der Sphäre der Produktion wird der Mehrwert geschaffen, weswegen die Hartz-Gesetze auch konsequenterweise als »Arbeitsmarktreformen« konzipiert wurden. Im vergangenen Jahrzehnt ist die Lohnquote nach offiziellen Angaben von 72,2 auf 66,3 Prozent gefallen. Noch dramatischer ist die Entwicklung, wenn man die am besten verdienenden zehn Prozent der Lohnempfänger herausrechnet. Eine etatistische Linke will und kann aber hier offensichtlich nicht ansetzen, weil dies mittel- und langfristig den Standort mit seinen ausgesprochen niedrigen Lohnstückkosten, dem all ihre politische Aktivität dienen soll, seiner Konkurrenzvorteile und damit auch eines Teils seiner Steuereinnahmen berauben würde.
So bleibt letztlich nur der Reformismus des Finanzamtes, bei dem die Emanzipation der Menschen gar keine und die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen nur noch eine sehr geringe Rolle spielt. Im Zentrum steht so auch die Sanierung der Staatsfinanzen, bei der die Reichen stärker als bisher zur Kasse gebeten werden sollen. Dass dabei mehr als die Bedienung mancher im Einzelfall auch erfreulicher Partikularinteressen und die sprichwörtliche klammheimliche Freude – die immerhin sollte man sich bewahren – herauskommt, wenn einige der Millionäre sich den zehnten Geländewagen nicht mehr leisten können, daran sollte man nicht glauben. Denn wie sollte man die Menschen in die Niedriglohnjobs zwingen, wenn der große Umverteiler Staat ihnen auch jenseits dessen ein halbwegs komfortables Leben ermöglichen würde?

Gegen alle Illusionen, dass neben der Entschuldung, allerlei Subventionen und der Vergabe von Staatsaufträgen, die allesamt den Kapitaleignern zugutekommen, ein blühender Sozialstaat aus den derzeitigen Ruinen wiederauferstehen würde, steht nicht nur die Politik der Allparteienkoalition des bürgerlichen Staats, sondern auch die Staatsräson im Namen des Standorts Deutschland, der sich »Die Linke« mit ihrem Etatismus eben auch schon immer untergeordnet hat. Wer es gern konkreter haben will, der sei an die rot-rote Koalition in Berlin erinnert, deren Lohnpolitik im Öffentlichen Dienst – in Berlin traditionell der Leitsektor – die rücksichtsloseste im gesamten Bundesgebiet war. Dass die irrationale Rationalität der Kapitalakkumulation und die Befriedigung der Bedürfnisse für den größten Teil der Menschheit eben doch immer einen Gegensatz darstellen, kommt der keynesianisch geprägten reformistischen Linken nicht in den Sinn. Einen früheren Kapitalismuskritiker und seinen Bund der Kommunisten brachte diese Erkenntnis vor über 150 Jahren in jedenfalls zu einer völlig anderen Forderung: »Wenn die Demokraten die Regulierung der Staatsschulden verlangen, verlangen die Arbeiter den Staatsbankrott.« (Karl Marx, An die Mitglieder des Kommunistischen Bundes, MEW 7, S. 253) Katja Kipping bleibt da lieber diskursiv: Über die Forderungen wolle man »eine Diskussion darüber anstoßen, wie viel Ungleichheit diese Gesellschaft verträgt.«