Die Syrien-Politik der EU und der USA

Bewaffnen und mitreden

Hinsichtlich einer Intervention in Syrien ist sich die EU uneins, die USA intervenieren zumindest nicht offiziell. In der Region nehmen die Konflikte zu.

Man weiß nicht so recht, was unwahrscheinlicher klingt: dass es für den Konflikt in Syrien eine Lösung gibt, die nicht in der totalen Zerstörung des Landes kulminiert, oder dass es eines Tages so etwas wie eine gemeinsame europäische Außenpolitik geben wird. Die Frage nach dem Umgang mit Syrien hat gerade wieder gezeigt, dass es der Europäischen Union auch nach den französisch-englischen Interventionen in Libyen und Mali wohl nicht gelingen wird, sich auf eine einheitliche Linie zu einigen. Dabei wäre Europa theoretisch einer der wesentlichen Akteure, steht doch im Mai die Verlängerung des europäischen Waffenembargos gegen Syrien zur Debatte.
Die vom britischen Premierminister David Cameron und dem französischen Präsidenten François Hollande gemeinsam beim jüngsten EU-Gipfel vorgetragene Forderung nach einer Bewaffnung der syrischen Aufständischen war so überraschend und vehement wie erfolglos. Angela Merkel fand zwar auch, dass die Lage in Syrien »dramatisch« sei, gab aber zu bedenken, dass Waffenlieferungen den Konflikt weiter anheizen könnten. Ihre Politik der Nichteinmischung verteidigte sie mit dem Verweis, auch wenn zwei Länder ihre Sicht der Dinge verändert hätten, könne das »nicht ausreichen, um zu sagen: Dem müssen 25 andere jetzt einfach folgen«. Man werde die Angelegenheit auf dem nächsten Außenministertreffen weiter diskutieren, so Merkel.
Auch die bezeichnenderweise von dem französisch-britischen Vorhaben zuvor nicht einmal informierte EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton warnte eindringlich vor einer Aufhebung des Embargos, zumal Russland und Iran auf ein regionales Wettrüsten nur warten würden. Sie vergaß, dass die beiden Unterstützer des Assad-Regimes sich auch weiterhin kaum ein Beispiel an europäischer Zurückhaltung nehmen dürften.

Die Grundfrage ist, wie überhaupt Politik zu gestalten ist. Cameron trat der Befürchtung, die Waffen könnten in falsche Hände geraten, mit der Bemerkung entgegen, das sei bereits geschehen. Das EU-Waffenembargo behandle beide Seiten fälschlicherweise gleich, es sei an der Zeit, endlich ein klares Signal der Unterscheidung zu geben, fügte er hinzu. Seine Regierung fühle sich durch anderslautende EU-Beschlüsse nicht gebunden; wenn man individuell handeln wolle, sei man frei, dies zu tun. Der französische Außenminister Laurent Fabius drückte sich etwas diplomatischer aus: Das EU-Embargo aufzuheben, sei eine der wenigen Möglichkeiten, auf der politischen Ebene etwas zu bewegen. Stärkerer, eben auch militärischer Druck, so lautet das Kalkül, könne das Assad-Regime zu ernsthaften Verhandlungen nötigen.
Dass sich Hollande und Cameron gerade jetzt für eine direkte Intervention in den syrischen Konflikt ausgesprochen haben, hängt jenseits der etwas banalen Vermutung, das habe mit ihren sinkenden Umfragewerten zu tun, mit dem Stadium des Kriegs in Syrien zusammen. Nach einer langen Stagnation sind die Dinge wieder in Bewegung geraten: Die Aufständischen sind im ganzen Land auf dem Vormarsch, die Dominanz der Islamisten in der bewaffneten Opposition wird immer deutlicher sichtbar und es gab große Waffenlieferungen an Teile der Rebellen. Hinzu kommt die Gefahr einer Eskalation des Konflikts über die syrischen Grenzen hinaus. Eine weitere Verschärfung ist absehbar und es wird dann nur mitreden können, wer jetzt in Einfluss investiert.
Die mittlerweile auch zahlenmäßig in die Defensive gedrängte syrische Armee hat Teile des Landes aufgegeben. So besetzten Aufständische nahezu kampflos Syriens sechstgrößte Stadt Raqqah, während sich die Kämpfe am Stadtrand und im Umland von Damaskus weiter intensivieren. Die meisten der militärischen Erfolge der letzten Zeit waren dabei islamistischen Verbänden zuzuschreiben, die im Gegensatz zu anders orientierten Gruppen massiv von den Golfländern – aus welchen privaten oder halbstaatlichen Quellen auch immer – aufgerüstet worden sind.
Mittlerweile zeigt sich jedoch, dass die US-Amerikaner mit arabischer Unterstützung neben ihrer offiziellen Tatenlosigkeit offenbar verdeckt in den Konflikt eingreifen. Seit Beginn des Jahres verfügen Teile der Aufständischen plötzlich über moderne panzerbrechende Waffen. Zuerst wurde dies bei einer neuen Koalition aus Einheiten der FSA und Islamisten deutlich, die im Süden Syriens, rund um den seit Beginn des Aufstandes immer wieder umkämpften Knotenpunkt Daráa in der Nähe der jordanischen Grenze, die syrische Armee erfolgreich angriffen. Schließlich mehrten sich Hinweise, dass die Waffen aus Kroatien stammen, mit saudischen Geldern bezahlt und vor allem von jordanischen Flugzeugen transportiert wurden. Zugleich sollen mehr US-amerika­nische Ausbilder in Jordanien präsent sein. Offiziell interveniert die US-Regierung immer noch nicht, aber das Feld sollte wohl nicht anderen überlassen werden.

Eine grenzüberschreitende Destabilisierung der Region durch die Kämpfe in Syrien ist bisher trotz zahlreicher Warnungen noch kaum eingetreten, nun mehren sich aber Anzeichen dafür, dass der Konflikt sich tatsächlich über die Grenzen ausbreitet. Hierin dürfte der zentrale Grund dafür liegen, dass sich die jordanische Regierung nun offen engagiert. Bereits die Anzahl der syrischen Flüchtlinge, die nach UN-Zählung längst die Mil­lionengrenze überschritten hat, überfordert die angrenzenden Länder angesichts der kläglichen internationalen Hilfe völlig. Die jordanische Regierung hat offenbar mit einer Eskalation der Kämpfe und dem Anwachsen der Flüchtlingszahlen gerechnet, sollten sich die Kämpfe weiterauf Damaskus und den Golan ausdehnen – womit auch die Gefahr von Zusammenstößen mit der israelischen Armee dramatisch wüchse. Jordanien wagt nun vermutlich die Flucht nach vorne.
In Hinblick auf den Libanon warnte der UN-Flüchtlingskommissar António Guterres kürzlich, dass der syrische Konflikt eine existentielle Bedrohung für das Land darstelle. An Teilen der libanesischen Grenze stehen sich mittlerweile sunnitische Islamisten und schiitische Kämpfer der Hizbollah gegenüber. Während die Hizbollah Assads Truppen militärisch längst direkt unterstützt, arbeiten auf der Gegenseite aufständische Syrer und libanesische Sunniten eng zusammen. Das syrische Außenministerium warnte, die eigene Geduld sei »nicht unbegrenzt«, bisher habe die syrische Armee darauf verzichtet, »bewaffnete Banden« auf libanesischem Territorium direkt anzugreifen. Derweil fielen an der irakisch-syrischen Grenze erste Schüsse zwischen irakischen Truppen und syrischen Aufständischen. Seit Monaten demonstrieren irakische Sunniten gegen die von Schiiten dominierte Zentralregierung in Bagdad und deren Unterstützung des Assad-Regimes. Es gibt Hinweise, dass von den US-Amerikanern aus dem Irak vertriebene sunnitische Extremisten nun aus Syrien zurückkommen, um diesmal den Kampf nicht etwa gegen »Besatzer«, sondern gegen die einheimischen Schiiten aufzunehmen. Ein unheilvolles Zeichen dafür war der Angriff auf einen von irakischen Soldaten begleiteten Konvoi, der vor den Aufständischen über die Grenze geflüchtete syrische Soldaten zu einem anderen, noch vom Assad-Regime gehaltenen Grenzort bringen sollte.
Zehn Jahre nach dem Ende des letzten Krieges am Golf haben sich ganz neue Konstellationen gebildet, grundlegende Probleme der Region bleiben ungelöst. Es sieht so aus, als wäre der Preis des zu langen Wegsehens erneut das Klacken der Entsicherungshebel der Kalaschnikows.