Der Kauz aus der Pampa

Die Kardinäle sind unruhig und stellen sogar kritische Fragen. Was verbirgt sich hinter der Vatileaks-Affäre? Ist etwas dran an den neuen Vorwürfen gegen die Vatikanbank? Die Bürokraten des Heiligen Stuhls geben nur spärliche Auskünfte. Der neue Papst soll möglichst schnell gewählt werden, und es gibt einen klaren Favoriten: Kardinal Angelo Scola, den Erzbischof von Mailand. Doch kurz bevor das Konklave beginnt, wird bekannt, dass die Polizei gerade kirchliche Einrichtungen in Scolas Diözese durchsucht. Es geht um Korruption und Verbindungen zur organisierten Kriminalität. Zum Papst gewählt wird Jorge Mario Bergoglio.
Es ist unklar, ob die Kardinäle vor der Wahl von der Razzia erfahren haben, und deren Timing könnte purer Zufall gewesen sein. Ob eine einflussreiche Gruppe Scola gezielt desavouiert hat, wird man vermutlich nie erfahren. Noch immer kann sich die katholische Kirche eine Personal- und Geschäftspolitik erlauben, die so undurchschaubar ist, dass selbst die Banker von Goldman Sachs vor Neid erblassen. Abertausende ungesühnte Sexualdelikte, Behinderung der Justiz in mindestens einem Dutzend Staaten, Verdacht auf Geldwäsche in zahlreichen Fällen – eine weniger mächtige Organisation müsste da mit ernsthaften juristischen Problemen rechnen. Doch die meisten Regierungen wagen es nicht, sich mit den katholischen Geistlichen anzulegen, und die meisten Gläubigen halten es mit der Kirche wie mit der Lasagne: Man will gar nicht so genau wissen, was wirklich drin ist.
Das ist vor allem ein Verdienst des oft unterschätzten Managements. Während der Finanzbranche schon nach wenigen Jahren des Handels mit fiktiven Wertpapieren die Luft ausging, vermarktet der katholische Klerus seit fast zwei Jahrtausenden erfolgreich ein Produkt, für dessen Existenz es keinen Beweis gibt. Umso wichtiger ist die Präsentation, und hier haben die Kardinäle, ob mit Nachhilfe oder ohne, eine kluge Entscheidung getroffen. Bergoglio ist ein loyaler Vertreter der katholischen Doktrin, teilt aber nicht Joseph Ratzingers Drang, diese so reaktionär wie möglich auszulegen und rechtsextreme Gruppen wie die Piusbruderschaft zu hofieren. Vor allem ist er nicht so dröge. Wie sein Namenspatron Franz von Assisi, der mit gleicher Inbrunst den Vögeln und gegen das Vögeln predigte, pflegt er eine demonstrative Kauzigkeit. Er wird an einem Tag einem schwulen HIV-Infizierten die Füße waschen und am nächsten predigen, dass alle Homosexuellen zur Hölle fahren. Allerdings dürften Probleme auftauchen, denn dass in seinem bisherigen Machtbereich keine Sexualdelikte bekannt wurden, ist wohl nicht auf die besondere Tugendhaftigkeit argentinischer Geistlicher zurückzuführen. Überdies könnten Scola und seine Verbündeten nachtragend sein. Sollte Franziskus einen plötzlichen Herztod erleiden, werde ich mich wohl den Verschwörungstheoretikern anschließen müssen.