Jorge Mario Bergoglio und die Junta in Argentinien

Grüße von Gott und der Junta

Nach der Papstwahl wird die Kollaboration zwischen Klerus und Militär während der Diktatur in Argentinien wieder stärker debattiert.

Die Debatte begann am Abend der Wahl des Argentiniers Jorge Mario Bergoglio zum Papst Franziskus. Nicht einmal eine halbe Stunde nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses waren schon Bilder auf Facebook tausendfach verbreitet, die angeblich den Kardinal mit Vertretern der argentinischen Militärjunta zeigen. Hinzu kamen Fotomontagen, auf denen Bergoglio mit blutenden Händen oder als Kollaborateur zu sehen ist. Das ist nicht verwunderlich – die Vergangenheit des neuen Papstes ist in Argentinien schon seit Jahrzehnten Gegenstand heftiger Diskussionen und steht dabei stellvertretend für die das Verhalten der argentinischen Kirche in der Diktatur.
Schnell wurden die Medien auf das Schicksal der beiden Jesuitenpriester Franz Jalics und Orlando Yorio aufmerksam, für deren Verschwinden im Mai 1976 Bergoglio immer wieder verantwortlich gemacht wurde. Die beiden gehören zu den wenigen Menschen, die die geheimen Haftlager der Militärjunta überlebten. Über 8 000 Menschen wurden in diesen Lagern ermordet, oft nach langer Folter. Kurz vor dem Verschwinden von Jalics und Yorio hatte Bergoglio ihnen die Berechtigung entzogen, für den Orden zu arbeiten, was von den Sicherheitskräften wohl als Zeichen gewertet wurde, die beiden zu verschleppen. Bergoglio selbst weist den Vorwurf, er habe seine Leute ausgeliefert, zurück und behauptet, sein persönlicher Einsatz habe erst zur Befreiung der zwei Priester geführt. Tatsächlich könnten beide Versionen stimmen: Es ist nicht ausgeschlossen, dass der oberste Jesuit mit einer Verhaftung der unliebsamen Priester einverstanden war, nicht aber damit, sie zu ermorden.

Damit wäre Bergoglio ein typischer Vertreter des argentinischen Klerus. Dieser stand zu einem großen Teil den militärischen Machthabern nahe, die ihre Politik als »Prozess der nationalen Reorganisation« verstanden und nach eigenen Angaben das christliche Abendland gegen den Angriff der Subversion verteidigen wollten. Nur wenige Angehörige des Klerus waren bereit, Angehörige von politischen Gefangenen und »Verschwundenen« zu unterstützen oder gar offen die Ereignisse anzuprangern. Nach der Demokratisierung 1983 verweigerten sich die Kirchenoberen einer kritischen Bewertung ihres Handelns. Erst nach 2000 begann eine zaghafte Aufarbeitung der eigenen Geschichte. Eine institutionelle Mitverantwortung wurde jedoch nie anerkannt, man beließ es bei der Behauptung, einzelne Kirchenvertreter hätten eigenmächtig gehandelt. Die Kirche war nicht bereit, aktiv an der Aufarbeitung ihrer Vergangenheit mitzuwirken, man bekannte sich nur zu dem, was sich nicht bestreiten ließ.
Somit verwundert es nicht, dass die katholische Kirche in Argentinien nach der Junta einen großen Reputationsverlust erlitten hat. Davon hat sie sich bis heute nicht wirklich erholt. Denn auch wenn nominell der Anteil an Katholiken hoch ist, finden sich in den Mittelschichtvierteln der Hauptstadt prozentual nicht viel mehr praktizierende Katholiken als in Prenzlauer Berg in Berlin. Dem Klerus war ein großer Teil seiner moralischen Autorität abhandengekommen.
Möglicherweise qualifiziert aber gerade die Erfahrung an der Spitze einer gesellschaftlich desavouierten Institution Bergoglio für das Papstamt. Dass er als Lateinamerikaner mit einer sozialen Ader auch leichter erzreaktionäre evangelikale Gruppen herausfordern kann, ist ein zusätzlicher Pluspunkt. Jedoch ist es auch gut möglich, dass sich die Wahl als Fehlgriff entpuppt, der den Vatikan in eine tiefe Krise stürzt. Die Begeisterung darüber, den neuen Papst zu stellen, kann schnell verfliegen, und die Frage nach der Kollaboration der Kirche mit der Militärjunta erfährt nun weltweites Interesse wie nie zuvor. Es würde nicht verwundern, wenn in den kommenden Wochen und Monaten immer neue Informationen auftauchten, die das Ansehen des neuen Papstes in Frage stellen. Dass der Vatikan von einer »antiklerikalen« Kampagne spricht, kann auch als Verzweiflungsgeste gewertet werden – offensichtlich weiß man nicht recht, wie man Franziskus vor der Kritik in Schutz nehmen kann.

Dabei gilt es, den international wohl einmaligen Aktivismus und die Vernetzung der argentinischen Menschenrechts- und Angehörigenorganisationen nicht zu unterschätzen. Jahrzehntelang haben sie mit dem Ruf »Wahrheit und Recht« die Aufklärung der Verbrechen unter der Diktatur gefordert. Sie wollen den Pontifex mit seiner Vergangenheit konfrontieren. Dabei kann den Kritikern die Sympathie der Staatspräsidentin gewiss sein. Das Verhältnis zwischen Bergoglio und Cris­tina Fernández de Kirchner ist kühl. Der Kardinal war eine Galionsfigur der zerstrittenen und damit auch schwachen Opposition. Offene Konfrontationen sind ihm nicht fremd. So wurden schnell Befürchtungen laut, dass Bergoglio bei der Bekämpfung linker Regierungen in Lateinamerika als Franziskus die Rolle einnehmen werde, die der Pole Karol Wojtiła als Johannes Paul II. für die realsozialistischen Länder spielte.
Es wird sich zeigen, ob diese Furcht begründet ist. Franziskus hat sicherlich größere Herausforderungen zu bewältigen. Sollte Bergoglio, der in jungen Jahren in der rechtsperonistischen Gruppe »Eiserne Garde« aktiv war, wirklich politisches Geschick besitzen, dann könnte er versuchen, sich mit der linksperonistischen Regierung Argentiniens zu verständigen. Kirchner ist das erste Staatsoberhaupt, dem der Papst eine Audienz gewährte. Beide könnten von einer Zusammenarbeit profitieren.
Und vielleicht hat Bergoglio seine Wahl sowieso einem berühmten lateinamerikanischen Linken zu verdanken. Niemand anders als der verstorbene Hugo Chávez habe hier seine Hand im Spiel gehabt, ließ der venezolanische Interimspräsident Nicolás Maduro verlauten.