Datenschutz bei Facebook

Du bist deine Likes

Warum die ganze Empörung über eine Facebook-Studie, die eigentlich nichts Neues verrät?

Un-fass-bar. Skan-dal. Tüüüüü-pisch. So ungefähr lauteten die Kommentare, nachdem eine Forschergruppe der Universität Cambridge und des Unternehmens Microsoft die Ergebnisse ihrer Studie zum Thema Facebook-Likes veröffentlicht hatte. Der zustimmende Klick auf Seiten, Bilder, Artikel und Postings zeige nämlich, meinen die Wissenschaftler, viel mehr über die Persönlichkeit eines Users oder einer Userin als nur die Tatsache, dass er oder sie an einem bestimmten Tag, um eine bestimmte Uhrzeit das Foto eines schlafenden Katzenbabys niedlich gefunden oder Cornflakes mit Milch gegessen hat. Mit Hilfe einer Analyse-Software sei es nun möglich, herauszufinden, welche Hautfarbe, Religion, sexuelle Orientierung eine Person wahrscheinlich hat, welcher der beiden großen US-Parteien sie zuneigt und ob sie trinkt, raucht oder Drogen nimmt.
Nun lassen sich mit einem raschen Blick auf ein x-beliebiges Profil die meisten dieser Punkte auch ohne eine dafür speziell entwickelte Software ziemlich deutlich erkennen. Wer regelmäßig Seiten wie »Todesstrafe für Kinderschänder« mit einem »Like« versieht, scheidet wohl als Kandidat für das Label »eher liberal und künstlerisch als konservativ und traditionell« aus – als rocket science lässt sich eine solche Ableitung kaum bezeichnen. Gleichwohl waren Empörung und Wut darüber, was die Likes alles offenbaren könnten und was Facebook somit über Userinnen und User wissen könnte, immens, vor allem bei anderen sozialen Medien wie Twitter und Google +. Denn schließlich geht es auch im High-Tech-Zeitalter immer wieder darum, dass die eigene Gruppe viel cooler ist als die andere, die im Grunde nur aus Idioten besteht. Woraus man zweierlei lernen kann: Kindergartenargumente werden nicht besser, wenn sie mit den Mitteln des Web 2.0 vorgetragen werden – und die selbsternannte Infoelite neigt, wie ihre in Höhlen lebenden Vorfahren, dazu, Informationen selektiv aufzunehmen.

In einem Social-Media-Gedöns zu sein, dort Tag für Tag Zeitungsartikel über politische Themen sowie Details des abendlichen Besäufnissen zu verbreiten oder die Öffentlichkeit detailliert über zu scheitern drohende Beziehungen zu informieren und gleichzeitig zu beklagen, wie gläsern doch die Nutzerinnen und Nutzer eines Konkurrenzprodukts sind, ist nur begrenzt schlüssig.
Womit wir beim Datensammeln, Verknüpfen gesammelter Daten und bei personalisierter Werbung wären, die nur dann möglich ist, wenn ein Unternehmen meint, genug Informationen über die jeweilige Kundschaft zu besitzen. Dass praktisch alles, was man auf einer Seite tut, mit dem eigenen Userprofil verknüpft werden kann und auch tatsächlich verknüpft wird, dürfte eigentlich nur noch für Leute überraschend sein, die sich immer wieder wundern, dass Amazon ihnen bei jedem Besuch neue interessante Angebote vorschlägt, die darauf basieren, was sie sich beim letzten Mal angeschaut haben. Welche Rückschlüsse aus dem Klick auf Bücher, Geräte, DVDs und Kleider möglich sind, ist übrigens offiziell zwar noch unerforscht, aber über Details wie politische Vorlieben, generelle Haltungen sowie den Gesundheitszustand dürften Bestellungen und Klicks auf jeden Fall viele Daten liefern.

Aber zurück zu Facebook. Bedauerlicherweise spricht nichts dafür, dass das Unternehmen seine Userinnen und User so umfassend und perfide ausforscht, wie es eigentlich notwendig wäre. Denn dann bestünde noch Hoffnung angesichts der alle paar Monaten kursierenden groben Unfugspostings wie: »Achtung! Achtung! Facebook ändert seine AGBs, aber Ihr könnt verhindern, dass das Unternehmen Eure Postings verkauft, indem Ihr diese Statusmeldung kopiert, denn das gilt als Widerspruch.« Anmerkung: In jedem Unfugspost kommen mindestens sieben Ausrufezeichen und zwei falsche Apostrophe vor.
Die Verfasser und Verbreiter dieser Texte scheinen davon auszugehen, dass Mark Zuckerberg höchstpersönlich jeden morgen die Postings aller deutschsprachigen Userinnen und User durchgeht, um alle, die brav diese oder eine ähnliche Alarmmeldung verbreitet haben, höchstpersönlich von der Liste derjenigen zu streichen, deren Frühstück-in-irgendeinem-Café-Fotos und »Endlich Wochenende, hurra!«-Messages sein Unternehmen gewinnbringend in alle Welt zu verkaufen gedenkt.
Wenn auch nur leidlich Grund zur Annahme bestünde, dass Facebook es wirklich ernst meinte mit der User-Ausforschung, dann könnte man hoffen, dass es sich bei den »Achtung! Achtung!«-Postings um ein geheimes Testprojekt handelt, bei dem Facebook höchstselbst Unsinn in die Social-Media-Welt setzt. Etwa die massenhaft verbreitete Warnung vor irgendeinem User mit möglichst durchschnittlichem Namen, der in Wirklichkeit ein hundsgemeiner Hacker sei, der praktisch sofort nach Annahme des Freundschaftsantrags damit beginnt, bösartigste Computerviren auf der eigenen Wall zu verteilen, die nach einem kurzen Spaziergang auf dem eigenen Rechner landen und dort umgehend anfangen, die Festplatte zu zerstören. Ja. Und auch die Meldung, dass man nur dieses oder jenes teilen müsse, damit man (Echt wahr! Teile es sofort!) eine Million Dollar bekommt oder an einem nett aussehenden Baby mit großen Kulleraugen endlich die lebensrettende Operation durchgeführt werden kann, wäre beruhigenderweise bloß Teil des großen Facebook-Projekts, mit dem das Unternehmen ein großes Ziel erreichen möchte: alle Deppen zu erkennen und in ein eigenes Facebook für Andersbegabte zu stecken. Aber leider bleibt die Social-Media-Welt vermutlich, wie sie ist, und das bedeutet vor allem, dass Datenschutz für die meisten Userinnen und User als Möglichkeit genutzt wird, sich darüber zu echauffieren, wie wenig ernst dieser bei der Konkurrenz genommen wird.

Denn an Angeboten, die ausgewiesenermaßen den Privacy-Schutz der Kundschaft ernst nehmen, besteht selbst bei denen, die sich selbst für netzaffine Durchblicker halten, kaum ernsthaftes Interesse. Die als Facebook-Alternative bejubelte Plattform Diaspora hätte eine Chance sein können, den sozialen Teil des Internets für immer zu revolutionieren, doch schon eine Woche nach ihrem Start war sie praktisch tot. Anstatt Hilfe anzubieten oder sich gelassen zu sagen, dass ein kostenloses Angebot, das nicht davon lebt, die eigenen Userinnen und User mit möglichst auf sie zugeschnittener Werbung zu belästigen (oder deren Daten zu sammeln), einfach nicht die technischen Möglichkeiten eines bösennotierten Unternehmens haben kann, blieb man bei der datensammelnden Konkurrenz.
Ein ähnliches Schicksal erlitt auch app.net. Das selbsternannte Elite-Netzwerk für die finanziell Bessergestellten wurde vor einigen Wochen begrenzt auch für Userinnen und User geöffnet, denen der Schutz der Privatsphäre keine fünf Dollar im Monat wert ist. Die durchsichtige Absicht: Kostenlos-Plebs heranzuschaffen, auf dass die zahlende Kundschaft unterhalten wird, die sich im überschaubaren Netzwerk offenkundig langweilte. Mittlerweile ist es bei app.net wieder so öde wie zuvor.