Neoklis Sylikiotis im Gespräch über die Lage in Zypern

»Zypern hat gute Perspektiven«

Bis Ende Februar war Neoklis Sylikiotis (54) zunächst Innenminister und dann Minister für Handel und Industrie der Republik Zypern. Er gehört der ehemals marxistisch-leninistischen, heute eher sozialdemokratischen Partei Akel an, die bis vor kurzem regiert hat und immer noch die zweitstärkste Fraktion im Parlament bildet. Die Jungle World hatte Sylikiotis 2009 in Nikosia zum Interview getroffen und sprach nun am Telefon mit ihm über die gegenwärtige Lage in Zypern.
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Neulich habe ich zu meinen Freunden gesagt: Nun war Zypern jahrelang kommunistisch regiert, und kaum sind die Kommunisten nicht mehr an Macht, finden die ersten Enteignungen statt. Da haben alle gelacht. Finden Sie das auch lustig?
Also »Kommunisten« ist sicher zu viel gesagt, aber immerhin waren wir die einzige linke Regierung in Europa. Nun ja, jedenfalls glaube ich, dass wir es ganz offensichtlich mit einer politischen Entscheidung durch die Eurogruppe zu tun haben, bei der es um die politische und ökonomische Kon­trolle Zyperns geht. Das hat unser Parlament nicht akzeptiert. Es sollte auch eine Botschaft an andere Staaten der Europäischen Union sein. Wir hatten diese Diskussion ja seit mehreren Monaten und ich habe, als ich noch Minister war, an den Verhandlungen mit der Troika (aus EU-Kommission, EZB und IWF, Anm. d. Red.) mitgewirkt. Da haben sie uns offen gesagt, das Ziel sei die Kon­trolle der Gasvorkommen, die wir im Meer gefunden haben. Wir sollten alle Pläne, die wir mit dem Gas haben, alle diesbezüglichen Gesetze, zuerst mit der Troika absprechen. Christoph Leitl, der Präsident der Wirtschaftskammer Österreichs, hat jetzt vorgeschlagen, ein europäisches Konsortium von Energiekonzernen solle die Förderrechte erhalten. Die Gasreserven, die in unseren Gewässern gefunden wurden, sind in Zukunft eben sehr wichtig für die Energiesicherheit der EU. Dazu kommt, dass der einzige realistische Weg, das Gas nach Europa zu schaffen, die geplante Nabucco-Pipeline ist, die durch die Türkei führt. Das Projekt verzögert sich seit Jahren, weil Gaslieferanten fehlen. Wir wären ein solcher Lieferant. Die Umsetzung dieses Großprojektes ist auch in deutschem Interesse und das zyprische Gas daher Teil eines größeren Plans. Alle diese Pläne lehnen wir ab, weil sie gegen die Perspektive Zyperns als regionales Energiezentrum und gegen die Interessen der zyprischen Bevölkerung gerichtet sind.
Als Sie regiert haben, gab es einen automatischen Inflationsausgleich, eine dynamische Lohnentwicklung, die Renten waren relativ hoch, Sie haben viel Geld in die Sozialsysteme gesteckt.
Soziale Fragen waren ein großes Thema im letzten Wahlkampf, da ging es vor allem um Privatisierungen, die wir nicht akzeptiert haben. Wir haben drei große staatliche Unternehmen, die sehr profitabel sind. Die Telekommunikations­gesellschaft, die Stromgesellschaft und unser Hafen arbeiten mit Gewinn. Die jetzige Regierung wollte sie privatisieren. 400 Millionen Euro Gewinn bringen diese drei Gesellschaften jährlich. Wenn wir sie in unserer Lage privatisiert hätten, hätten wir weniger als drei Milliarden dafür bekommen. Wir haben das damals nicht akzeptiert. Sehen Sie, 45 Prozent unseres Bruttosozialprodukts verdanken wir dem Banken- und Dienstleistungssektor. Dieses Verhältnis sollte verringert werden. Auf der anderen Seite wird sich in drei, vier Jahren in Zypern die ganze Grundlage unse­rer Wirtschaft ändern. Mehrere Milliarden Euro an Investitionen werden im Zusammenhang mit der Erdgasföderung ins Land kommen, und auch mit dem Energiesektor verbundene Bereiche werden profitieren. Wir haben auch noch einen anderen prosperierenden Wirtschaftszweig, den Tourismus, der sehr schnell wächst. 2011 hatten wir da zehn Prozent Wachstum, voriges Jahr fünf Prozent, und auch für 2013 sind die Prognosen sehr gut. Probleme haben wir nur im Bankensystem, vor allem seit dem Schuldenschnitt in Griechenland vor einem Jahr. Die Banken haben damals fünf Milliarden Euro verloren, das sind 30 Prozent unseres Bruttosozialprodukts.
Das liegt aber ja auch daran, dass der Finanzsektor völlig überdimensioniert ist. Und dazu ist es unter Ihrer Regierung gekommen. Sind Sie da nicht mitverantwortlich?
Das gibt es doch überall in Europa, zum Beispiel in Luxemburg. Unser Problem war dieser Schuldenschnitt. Wir haben aber – vor allem wegen der Gas­vorkommen – eine Wirtschaft mit wirklich guten Perspektiven. Wir haben der Troika alle unsere Daten dazu zur Verfügung gestellt. Wir haben Verträge mit großen Erdgaskonzernen. Wir brauchen nur gegenwärtig diese Unterstützung, damit wir unser Bankensystem wieder fit machen können.
Als wir 2009 in Nikosia miteinander sprachen, Sie waren noch Innenminister, da sagten Sie uns hinsichtlich Ihrer Hoffnungen gegenüber der EU: »Wir kämpfen für unsere Visionen, für ein Europa der Solidarität, des Friedens, der Demokratie, der Menschenrechte und der sozialen Gerechtigkeit.« Haben Sie diese europäische Vision immer noch?
Während der EU-Ratspräsidentschaft Zyperns 2012 war ich Vorsitzender in drei Ministerräten. Und da habe ich erlebt, wie fern unsere Beschlüsse dort von den Bedürfnissen der Bevölkerung sind. Es gibt ganz offensichtlich ein demokratisches Defizit in den europäischen Entscheidungsgremien. Europäische Solidarität bedeutet, dass man schauen muss, was die Bevölkerung braucht, wie wir kleine und mittelständische Unternehmen fördern können, damit wir die Wirtschaft zu neuem Wachstum bringen. Sicher müssen wir auch sparen und Disziplin waren, aber nicht so, dass die Wirtschaft stagniert oder sich sogar negativ entwickelt.
Zypern setzt, auch wenn sich die Pläne vorerst zerschlagen haben, offenbar mehr auf Russland als auf die EU, ist das eine Absage an Europa?
Nein. Wir haben, auch als wir regiert haben, immer gesagt, für Zypern ist es wichtig, eine multinationale Außenpolitik zu betreiben. Warum ­regen sich jetzt alle über unsere Gespräche mit Russland auf? Deutschland bezieht den allergrößten Anteil seines Öls und Gases aus Russland, Russland ist einer der wichtigsten Handelpartner Deutschlands. Alle Länder machen ihre eigene Außenpolitik. Und wenn uns die EU nicht helfen kann, dann haben wir keine Alternative dazu, bei Russland um Unterstützung zu bitten.
Sie und die Akel wären also auch wieder bei den Russen vorstellig geworden?
Warum nicht? Wir haben ja bereits 2011 2,5 Milliarden Euro Kredit aus Russland bekommen, und zwar ohne Bedingungen.
Diesmal hätte es aber sicher Bedingungen gegeben. Sie wehren sich gegen die Abhängigkeit von der Troika, eine Abhängigkeit von Russland und Gazprom macht Ihnen aber keine Sorgen?
Die Türkei, die ja immer noch den Nordteil der Insel besetzt hält, hat großen Druck gemacht, als es um unsere Ansprüche auf das Erdgas ging. Da haben wir gesagt, es ist gut für Zypern, dass sich große multinationale Firmen bei dieser Sache einmischen. Wir haben Abkommen mit Konzernen aus Italien, Frankreich, Südkorea, den USA und Israel, warum nicht auch mit den Russen?
Unabhängig davon, wie die Sache letztlich ausgeht, kommen auf die zyprische Bevölkerung sicher starke Belastungen zu. Wie ist die Stimmung? Wie groß wird der Widerstand gegen Sparbeschlüsse und Sozialkürzungen sein?
In diesem Moment ist es so, dass die zyprische Bevölkerung bereit ist, Opfer zu bringen, damit wir unabhängig bleiben, damit wir uns der totalen Kontrolle durch die Troika entziehen können. Die große Mehrheit glaubt, wenn wir der Troika folgen, wenn wir ihre Bedingungen akzeptieren, dann wird die Situation noch schlechter werden in den kommenden Jahren.
In Griechenland ist es zu heftigen Protesten und Streiks gekommen.
Große Proteste wird es nur gegen die Pläne der Europäischen Union geben, gegen Privatisierungen, gegen Sparmaßnahmen. Ob wir streiken oder nicht, das hängt davon ab, wie sich die Regierung verhalten wird. Und die wird sich das gut überlegen, denn die Stimmung ist eindeutig gegen sie. Aber hier ist es nicht wie in Griechenland. Unser Parlament hat das EU-Diktat abgelehnt, die linken Parteien sind hier sehr stark. Die Regierungspartei kann hier nicht so leicht weitreichende Beschlüsse durchbringen. Aber das Problem ist: Auch wenn wir den EU-Beschluss nicht akzeptiert haben, ist der Schaden schon entstanden. Es gibt eine große Unruhe auf den Märkten, fehlendes Vertrauen in die Banken. Die Bevölkerung weiß, dass man einen neuen Weg einschlagen muss. Für die Zukunft sind wir aber ganz optimistisch, schon wegen der Gasvorkommen.
In Griechenland hat die Ablehnung der EU-Politik auch zu einem Erstarken des Nationalismus geführt, eine Nazipartei, Chrysi Avgi, hat enorm an Popularität gewonnen. Ist solch ein nationalistischer Reflex auch in Zypern zu befürchten?
Nein. Die linken Parteien sind stark, wir geben populistischen Parteien keinen Raum. Zusammen mit anderen Parteien haben wir gerade die große Demonstration gegen den EU-Beschluss organisiert, da wollten die Nationalisten kommen. Aber wie sich gezeigt hat, gibt es für solche Kräfte auf Zypern zum Glück keinen Platz.