Liebe auf Seide

Wenn dieser Tage viel von R&B die Rede ist, so liegt das an Justin Timberlakes Album »The 20/20 Experience«. Große musikalische Momente sind auf der Platte zwar rar, doch Timberlake, der singende Hollywood-Mann, ist nun mal ein Superstar. Man kommt nicht um ihn herum. Wenn dieser Tage wenig von »Woman« die Rede ist, so hat das mit fehlender musika­lischer Substanz nichts zu tun. Zwei der zauberhaftesten Songs des Duos Rhye, »The Fall« und »Open«, erfreuten sich voriges Jahr einiger Aufmerksamkeit in den Foren der Netz-Community, ein paar Radiostationen merkten ebenfalls auf. Das war’s auch schon. Es ist kein Zufall, dass der Däne Robin Hannibal und der Kanadier Mike Milosh die Stücke an den Anfang von »Woman« gestellt haben.
Gleichwohl handelt es sich um typische Songs, denn obgleich nicht auf jedem Stück Harfe, Streicher, Saxofon, Klarinette und Klavier zugleich zu hören sind und obwohl das Album Piano-House, Hipster-R&B, klassischem Achtziger-Soul-Pop und Balearic Disco seine Reverenz erweist, ist jeder Song Teil eines schlüssigen Ganzen: Teil eines geflüsterten Traums mit erotischen Anspielungen aus einem Schlafzimmer, in dem sich zwei Liebende behutsam zwischen Seidenkissen bewegen, kurz vorm Abschied. Das ist die Stimmung. Und natürlich wird sie nicht zuletzt von Miloshs Stimme getragen, die die einer schüchternen, androgynen Sirene ist und deutlich an die der jungen Sade erinnert, ganz wundervoll. Eleganz ohne gespreiztes Gefieder, beinahe frei von Posen – ein Glücks­fall im Pop, im R&B.

Rhye: Woman (Island/Universal)