In Neukölln wird es ernst

Es war also doch kein Aprilscherz. Um halb neun Uhr stehen bereits 40 Menschen vor dem Haus in der Reuterstraße 2 im Berliner Bezirk Neukölln. Erst am Vortag, am 1. April, war zu der Aktion aufgerufen worden: Die Räumung der Familie K. soll verhindert werden. Nuriye Cengiz fährt mit ihrem Rollstuhl vor den Hauseingang. »Dann müssen die eben über mich drüberhopsen!« scherzt die erfahrene Aktivistin. 15 Jahre lang hat Familie K. in dem Haus gewohnt, vor zwei Jahren kam nach der Zwangsversteigerung des Hauses ein neuer Eigentümer, der eine deftige Mieterhöhung durchsetzen wollte. Die Mieter klagten dagegen, man einigte sich vor Gericht auf eine noch vertretbare Mieterhöhung, doch Familie K. wurde schließlich gekündigt. Nach deren Widerspruch machte der Vermieter Eigenbedarf geltend. Vergangene Woche kündigte sich die Gerichtsvollzieherin an. Kurz nach neun steht sie nun mit dem Schlosser und der Polizei hinter der nächsten Straßenecke. Mannschaftswagen kommen in die Seitenstraße. Inzwischen blockieren rund 80 Menschen den Hauseingang. Pappe und Styroporstücke werden zum Sitzen gereicht, heißer Tee, Brötchen und Geschichten über den täglichen Vermieterterror ausgetauscht. Der bosnische Nachbar aus dem Erdgeschoss erzählt rauchend an seinem Fenster, dass er sich auf jeden Fall wehren werde, und nimmt interessiert einen Flyer der Initiative gegen Zwangsräumungen entgegen. Der erwachsene Sohn der Familie K., dessen Untermietvertrag nicht im Räumungstitel erwähnt wurde, versucht, eine einstweilige Verfügung zu erwirken. Eine halbe Stunde Aufschub bekommt er. Bis zum Richterspruch müssen die Gerichtsvollzieherin und die Polizei warten. Die Blockierenden auch, die Füße werden kälter, doch etwas Hoffnung keimt auf. Das Amtsgericht lehnt ab, doch es geht weiter ans Landgericht, noch eine Weile Warten. Um kurz vor elf Uhr reißt den Beamten dann die Geduld: Sie räumen – leider kein Scherz.