Die Verpachtung des Hafens von Piräus und deren Folgen

Die große Freiheit des Captain Fu

Die Verpachtung eines Teils des Hafens von Piräus an die chinesische Staatsreederei Cosco hat in Griechenland Arbeitsverhältnisse geschaffen, die bald ganz Südeuropa drohen könnten.

Wer wissen will, wie sich die EU die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit in Griechenland und langfristig auch in ganz Südeuropa vorstellt, der muss seinen Blick nach Piräus richten. Seit das griechische Parlament im März 2009 einen Pachtvertrag mit der größten chinesischen Reederei, der staatlichen China Ocean Shipping Company (Cosco), unterzeichnet hat, die damit über einen Teil des wichtigsten Hafens des Landes verfügt, sind die Vorstellungen der »Troika« aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) offenbar vorbildlich umgesetzt worden. Auf der Europäischen Hafenkonferenz im September vorigen Jahres wurde die Bereitschaft der griechischen Regierung, den Hafen teilzuprivatisieren, vom verantwortlichen EU-Kommissar Siim Kallas ausdrücklich gelobt. Und auch Griechenlands Wirtschaftsminister Kostis Hatzidakis zeigt sich zufrieden. In einem Interview mit Zeit Online vom Beginn dieses Jahres beantwortete er die Frage, ob die von der »Troika« geforderten Reformen endlich auf den Weg gebracht worden seien, insbesondere mit Hinweis auf die »positiven Entwicklungen in der Transportbranche«, deren mit Abstand wichtigster Zweig die Arbeit in den Häfen darstellt.
Dem Leasingvertrag, den Griechenlands damaliger konservativer Ministerpräsident Kostas Karamanlis mit dem früheren chinesischen Staatspräsidenten Hu Jintao ausgehandelt hatte, kommt eine Pionierrolle zu. Für eine Gesamtpachtsumme von 3,3 Milliarden Euro darf Cosco für einen Zeitraum von 35 Jahren einen der beiden Piers des Containerhafens betreiben. Obendrein erhielt die Reederei Beteiligungen an der Hafengesellschaft, ihr wurden großzügige Steuererleichterungen gewährt und das Unternehmen wurde von Sozialabgaben für die beschäftigten Hafenarbeiter befreit. Die griechischen Gewerkschaften sprachen damals von einem Vertrag »im Kolonialstil«. Wegen der günstigen Lage im Osten des Mittelmeers und damit nicht weit entfernt von Suezkanal, durch den nach wie vor fast alle asiatischen Güter nach Europa transportiert werden, bietet der Pachtvertrag für den Hafen Piräus tatsächlich Vorteile für die Exportnation China, die vordergründig an die Öffnung chinesischer Häfen für die Briten in der Folge der Opiumkriege Mitte des 19. Jahrhunderts erinnern.

Für Cosco lohnt sich das Geschäft. Im von der Gesellschaft betriebenen Terminal 2 des Hafens, der 2010 fertiggestellt wurde, hat sich der Frachtverkehr im Jahr 2012 mit einem Umschlag von 1,05 Millionen Containern mehr als verdoppelt, wobei bereits 2011 das Vorkrisenniveau von annähernd einer halben Millionen Containern erreicht worden ist. Dass dabei die Gewinne mit etwa fünf Millionen Euro relativ gering ausfielen, lag vor allem daran, dass Cosco über 299 Millionen Euro in die Modernisierung der Docks und einen dritten Pier investiert hat, um zukünftig etwa 3,7 Millionen Container abfertigen zu können. Piräus würde dann zu einem der zehn größten Häfen der Welt gehören. Auf dem weiterhin von der staatlichen Hafengesellschaft OKP betriebenen Pier 1 herrscht hingegen Flaute. Das zeigt sich auch an der Beschäftigungszahl. Während bei OKP nur noch 800 Menschen arbeiten, verfügt Cosco schon über 1 000 Beschäftigte. Nun hat die chinesische Staatsreederei sogar angekündigt, dass man der griechischen Privatisierungsbehörde Taiped ein Angebot vorlegen möchte, um 60 Prozent der Anteile am Hafen von Piräus und später auch am zweitgrößten griechischen Hafen in Thessaloniki zu erwerben. Die griechische Wirtschaftszeitung Imerisia schätzte das Volumen des Angebots auf etwa eine Milliarde Euro.
Der Erfolg Coscos beruht auf den erbärmlichen Arbeitsbedingungen auf der chinesischen Seite des Zauns, der die Piers, die von China und Griechenland bewirtschaftet werden, voneinander trennt. Der 2012 in der New York Times erschiene Artikel »Under Chinese, a Greek Port Thrives« von Liz Alderman beschreibt diese Arbeitsverhältnisse: Festangestellte wurden durch Zeitarbeiter ohne Tarifverträge ersetzt, die Rentenansprüche wurden gekürzt, die Pausenzeiten verringert und die Beschäftigten sind verpflichtet, unbezahlte Überstunden zu leisten. Zudem verdienen die meist ungelernten Arbeiter bei Cosco mit Jahresbruttolöhnen von knapp 18 000 Euro weniger als die Hälfte dessen, was ihre Kollegen auf der anderen Seite des Zauns erhalten. Auch die Richtlinien für den Arbeitsschutz wurden gelockert, auf den Ladebrücken schuften nun jeweils vier statt der früher vorgesehenen neun Beschäftigten.

»Das ist dort drüben wie in einem anderen Land«, wird Thanassis Koinis, der stellvertretende Direktor der Hafenbehörde von Piräus, im Artikel zitiert. Nach Angaben von Babis Giakoymelos, einem Vorstandsmitglied der Gewerkschaft der Hafenarbeiter, profitiert Cosco ausschließlich von der intensiveren und kostengünstigeren Vernutzung der Arbeitskraft. »Sie bringen Arbeitsstandards der Dritten Welt nach Europa.« Es scheint, als hätten sich die Befürchtungen der Hafenarbeiter erfüllt, die nach dem Bekanntwerden der Verhandlungen über den Pachtvertrag im November 2008 unter der Parole »Cosco go home!« durch die Straßen Athens gezogen waren und sich kleinere Auseinandersetzungen mit der Polizei geliefert hatten.
Coscos verantwortlicher Manager, Fu Cheng Qiu, zeigt sich hingegen selbstverständlich zufrieden. Die Griechen hätten zu sehr auf »ein gutes Leben, mehr Urlaub und weniger Arbeit« geschielt. Damit müsse jetzt Schluss sein. »Die Chinesen wollen durch Arbeit Geld machen«, sagte er im Gespräch mit der New York Times. Dass für Gewerkschaften am von Cosco bewirtschafteten Pier kein Platz ist, versteht sich von selbst. Explizit empfiehlt »Kapitän Fu«, wie er sich von seinen Angestellten nennen lässt, die Verbilligung der Arbeitskraft als Konzept für die gesamte griechische Wirtschaft.

Die griechische Regierung lässt sich nicht lange bitten. Im Interview mit Zeit Online benennt Hatzidakis den Standortvorteil direkt. »Nach fünf Jahren Rezession und der Herabsenkung von Löhnen und Gehältern bietet die Krise eine Chance für Investoren«, sagte der Minister. Und die Vorteile sollen künftig nicht nur den Chinesen zugute kommen: »Lassen Sie mich aber Folgendes betonen: Deutsche und generell europäische Unternehmen sind hochwillkommen, in Griechenland zu investieren – das müssen sie aber auch wollen. Wir werden keine Interessenten vorab ausschließen.« Focus zeigt sich zufrieden. »Seht her Griechen, so geht Wirtschaft heute«, betitelte das Nachrichtenmagazin einen Artikel über die Arbeitsbedingungen im Hafen von Piräus. Und das Blatt zitiert einen namentlich nicht genannten Unternehmensberater: »Die Chinesen zeigen, dass unter privatem Management griechische Firmen international wettbewerbsfähig sein können.«

Eine ähnliche Haltung wird auch von der EU vertreten. Bereits im September 2011 kündigte Kallas anlässlich eines Besuchs des Hafens in Rotterdam, dem größten Hafen Europas, an, 2013 ein Maßnahmenpaket der EU-Kommission vorzulegen, um »Häfen bei der Wahrung ihrer Wettbewerbsfähigkeit zu unterstützen und das große Wachstumspotential im Hafensektor zur Entfaltung zu bringen«. Neben dem Abbau von Bürokratie und einer größeren Transparenz bei der Finanzierung der Häfen, die dazu dienen sollen, »private Investitionen attraktiver« zu machen, steht die Liberalisierung des Arbeitsrechts im Zentrum. »Damit die Seehäfen sich an neue wirtschaftliche, industrielle und soziale Gegebenheiten anpassen können, ist es von entscheidender Bedeutung, dass beispielsweise in Bezug auf die Erbringung von Hafendienstleistungen ein wettbewerbsorientiertes und offenes Umfeld gewährleistet wird«, sagte Kallas. Nachdem 2003 und 2006 zwei Vorstöße der Kommission zur Liberalisierung der Hafenindustrie gescheitert sind, möchte der EU-Kommissar und Vizepräsident des Europa-Parlaments, Kallas, noch in diesem Jahr einen weiteren Versuch unternehmen. Ein Scheitern ist unwahrscheinlich. In Portugal wurden auf Druck der »Troika« bereits die Rechte der Hafenarbeiter ebenso beschnitten, wie es in Griechenland der Fall ist. So passt das Cosco-Sozialmodell im Hafen von Piräus perfekt zum Konzept der griechischen Regierung und der EU: China sei Dank.