Steinbrück und der Sportunte

Mobbingstunde

Peer Steinbrück hat mit seinen Äußerungen über Geschlechtertrennung im Sportunterricht einen Sturm im Wasserglas ausgelöst. Über das Elend des real existierenden Sportunterrichts spricht dagegen niemand.

Diesmal reichte es für den Kanzlerkandidatendarsteller Peer Steinbrück (SPD) nicht einmal mehr zu größerer öffentlicher Aufregung. Seine Forderung nach getrenntem Sportunterricht – »aus Rücksicht auf die religiösen Gefühle muslimischer Eltern« – wurde einen Tag lang von allen Seiten kritisiert; die Kanzlerin sprach von einem »völlig falschen Signal«, und Sevim Dağ­delen, integrationspolitische Sprecherin der Linkspartei, erklärte, Steinbrück sei nunmehr für ihre Partei »unwählbar«. Wieso ihr das erst jetzt auffiel, bleibt ihr Geheimnis. Und dann hatte sich das Thema auch schon wieder erledigt, weil es für viele schlicht eine Nullnachricht war: Eine nicht repräsentative Schnellumfrage auf Twitter ergab, dass für die meisten Antwortenden getrennter Sportunterricht spätestens ab der Mittelstufe selbstverständlich war, und zwar völlig unabhängig von der Religion der Schüler. Die Minderheit, die anderes erlebt hat, beschreibt gemischte Erfahrungen, von »best Sportunterricht ever« bis zu »die Jungs haben sich über jeden wackelnden Arsch lustiggemacht«.
Aber egal, ob Peer Steinbrück nun auch Extra­unterricht für Mädchen schon in der Grundschule fordert, wenn die Eltern dies so wünschen, oder seine politischen Kontrahenten versuchen, seine Äußerungen zum Skandal aufzubauschen: Unausgesprochen einig sind sich alle darüber, wie wichtig der Sportunterricht sei, um den internet- und junkfoodsüchtigen Nachwuchs in Bewegung zu bringen, und wie sehr die Leibesübungen doch die Persönlichkeitsentwicklung förderten.
Mindestens ein Drittel aller Schüler – diejenigen, die beim Völkerball stets als Letzte in die Mannschaft gewählt werden, die zum Gaudium der restlichen Klasse am Reck baumeln wie ein nasser Sack oder einfach nicht dem gängigen Schlankheitsideal entsprechen – dürfte das allerdings anders sehen. Man kann sich ruhig einmal fragen, für wie viel Selbsthass und für welche Minderwertigkeitskomplexe der für den Charakter ach so förderliche Sportunterricht verantwortlich ist. So manche Magersuchtkarriere dürfte ihren Anfang in der Schulturnhalle genommen haben. Mindestens aber treibt der Sportunterricht gerade denjenigen die Freude an der Bewegung am gründlichsten aus, die sie vermutlich am nötigsten haben.
Kurzum, für viele ist der Schulsport ohnehin eine wöchentliche Tortur. Daran wird sich nichts ändern, solange die Lehrkräfte die Turnhalle mit einem Kasernenhof verwechseln oder Darbietungen in der sowieso schon grässlichen Sparte »rhythmische Sportgymnastik« mit den Worten kommentieren: »Aber wie man Grazie schreibt, weißt du schon?«
Um das Elend wenigstens zu begrenzen, ist Sport deshalb das einzige Schulfach, in dem es ab einem bestimmten Alter gute Gründe für eine Geschlechtertrennung gibt. Nicht aus Rücksicht auf religiöse Gefühle, sondern auf die Gefühle von Pubertierenden, denen ihr Körper ohnehin schon genug Probleme macht.