Ulrich Bröckling im Gespräch über den Druck zur Selbstoptimierung und das Scheitern als Tabu

»Scheitern ist eine Zuschreibung«

Ulrich Bröckling ist Professor für Kultursoziologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. 2007 erschien seine viel beachtete Studie »Das unternehmerische Selbst«.
Von

Der Buchmarkt ist voll von Ratgeberbüchern, die erklären, wie wir glücklich und erfolgreich werden können. Können derartige Anleitungen funktionieren?
Solche Bücher sind nicht wirkungslos. Viele, die Ratgeber lesen oder Coaching-Seminare besuchen, sind anschließend tatsächlich überzeugt, etwas gelernt zu haben und besser klarzukommen. Sonst gäbe es ja diesen riesigen Markt nicht. Man sollte das nicht als heiße Luft abtun. Aber es gibt auch die andere Seite. Solche Ratgeber transportieren immer eine doppelte Botschaft. Vordergründig verheißen sie: Du kannst, wenn du willst, und wir geben dir einige Tipps und Tools, wie du es noch besser machen kannst. Zwischen den Zeilen steht: Wenn du dies liest, wirst du es schon nötig haben. Du brauchst Beratung, allein schaffst du es nicht. Mit dem Versprechen wird also stets eine Demütigung mitgeliefert. Außerdem, und das ist noch gefährlicher, bürden solche Angebote dem Einzelnen die gesamte Verantwortung auf. Das läuft auf eine Psychologisierung gesellschaftlicher Widersprüche hinaus. Wenn ich einen Ratgeber lese oder ein Coaching-Seminar besuche, dann akzeptiere ich die Diagnose, dass es nur von mir selbst abhängt, ob ich einen tollen Job finde oder eine neue Liebe, ob ich zufrieden bin oder gesund. Ich muss mich nur genügend anstrengen. Das ist insofern fatal, als es dem Einzelnen eine ungeheure Last auferlegt. Wenn diese Ratgeber versprechen, jeder sei seines Glückes Schmied, erzählen sie uns damit gleichzeitig, an seinem Unglück sei jeder selber schuld.
Der Zwang zur Selbstoptimierung führt also notwendig zum Scheitern?
Scheitern ist eine Fremd- oder Selbstzuschreibung. Man sollte zwischen Niederlage und Scheitern unterscheiden. Eine Niederlage kann man an Fakten festmachen. Man hat sich ein Ziel gesetzt und es nicht erreicht. Scheitern ist eine bestimmte Form der Verarbeitung von Niederlagen. Scheitern bezieht sich immer auf die Person, nicht nur auf ein bestimmtes Ereignis. Deshalb das Gerede vom »Scheitern als Chance«. Es gehört ja zu dieser Ratgeberkultur, jede Niederlage als Aufforderung zu deuten, neu zu starten. Es geht immer weiter. Das ist ungeheuer anstrengend, man wird niemals fertig, eine permanente Überforderung. Wie die Wurst vor der Nase des Hundes, man rennt und rennt und kommt ihr nicht näher. Das halte ich für eine viel größere Gefahr als das Scheitern.
Wenn es hauptsächlich an den Ansprüchen, an dem Druck, immer besser werden zu wollen, liegt, dass man permanent das Gefühl hat zu scheitern, kann dann wirklich das Gegenrezept darin bestehen, einfach die Ansprüche herunterzuschrauben?
Das Problem ist, dass Erfolg gar nicht ausschließlich von meiner eigenen Anstrengung abhängt. Erfolg heißt heute Wettbewerbserfolg. Auf den Märkten sind aber nicht diejenigen erfolgreich, die am meisten leisten, sondern die, die Alleinstellungsmerkmale haben, die Kundenwünsche antizipieren und bedienen. Entscheidend ist, ob ich mit dem, was ich tue, wie ich mich präsentiere, Aufmerksamkeit binden kann. Eine Wettbewerbsgesellschaft ist keine Leistungsgesellschaft, aber sie muss genau das suggerieren. Niemand kann sicher sein, ob sein Erfolg nicht dem puren Zufall und sein Misserfolg tatsächlich mangelnder Anstrengung geschuldet ist. Zugleich muss jeder all seine Kräfte mobilisieren, ohne je Gewissheit zu haben, ob die Plackerei sich auszahlt. Zur Logik des Wettbewerbs gehört außerdem, dass jeder Erfolg, jeder Vorsprung immer nur für den Moment besteht. Ich muss mich immer weiter anstrengen, sonst schließt die Konkurrenz auf, und ich werde bald abgehängt. Man kommt nicht umhin zu scheitern, weil die Ansprüche unabschließbar sind. Sie sind nie vollständig oder dauerhaft zu erfüllen.
Wenn wir davon ausgehen, dass der Druck zur Selbstoptimierung zunimmt, nimmt dann auch das Scheitern, beziehungsweise das Gefühl des Scheiterns, quantitativ zu? Entsteht eine Generation der Verlierer?
So allgemein ist das schwer zu sagen. Was in jedem Fall zugenommen hat, sind die Symptome der Überforderung, der Erschöpfung. Man muss dafür nicht die Modediagnose Burn-out bemühen, ein Blick auf die Statistiken der Krankenversicherungen genügt.
Ist es wirklich so, dass Scheitern ein Tabu ist, dass Verlierer ausgegrenzt werden in dieser Gesellschaft? Ich meine, die SPD geht mit Peer Steinbrück in den Wahlkampf, Hartmut Mehdorn soll den Berliner Flughafen retten. Es scheint ja auch eine gewisse Sympathie für Loser zu geben.
Es gibt natürlich auch eine Ästhetik des Scheiterns, wobei Steinbrück und Mehdorn eher die Sparte der unfreiwilligen Komik bedienen. Das Scheitern anderer kann man genießen.
Alle lieben Donald Duck …
Ja, auf Schadenfreude beruht ein großer Teil der Populärkultur. Die Befriedigung liegt darin, dass es anderen passiert und man selbst nochmal davongekommen ist.
Wie kann man dem Gefühl des Scheiterns, dem ständigen Druck entgegenwirken?
Es wäre fatal, wenn ich mich jetzt anschicken würde, selbst einen Rat zu geben. Das läge in derselben Logik des Beratens, die ich gerade kritisiert habe. Die Optimierungskultur verkauft Programme, jeder auf dem Markt versucht, sich selbst als den besten Optimierer, sein Programm als das beste darzustellen. Es kann deshalb nicht darum gehen, ein noch besseres Gegenprogramm zu entwickeln. Einiges wäre schon gewonnen, wenn man versuchte, aus der Logik des Programmierens auszusteigen.
An der Stelle reden wir im Prinzip über Politik?
Ja, da geht es um Politik, auch um Mikropolitik, um andere Alltagspraxen. Man muss ja solche Ratgeber nicht lesen, man muss nicht zum Coaching gehen. Man kann das auch sein lassen. Zugleich gibt es viele Erfahrungen, wie man Druck rausnehmen, sich Nischen suchen, sich drücken oder simulieren kann. Darüber wird viel zu wenig geforscht und darüber wird auch viel zu wenig gesprochen. Man muss solche Praxen aus den verschwiegenen Dunkelfeldern individueller Überlebensstrategien herausholen, sie öffentlich machen. Das Wichtigste ist vielleicht, der Tendenz etwas entgegenzusetzen, dass Probleme immer als Probleme der Einzelnen definiert werden.