Ein niederländischer Fernsehsender plant »Big Brother« auf dem Mars

Bin dann mal oben!

Der Mars soll besiedelt werden. Eine niederländische Firma plant eine extraterrestrische Reality-TV-Show. Eine Rückkehr aus dem Camp ist nicht vorgesehen. Das Vorhaben wirft technische, philosophische und politische Fragen auf.
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Ist der Mensch bequem geworden? Ist ihm jeder Pioniergeist abhanden gekommen, jede Abenteuerlust? Würde heute nochmal jemand mit einem hölzernen Kahn in See stechen und dahin schippern, wo allgemein das Weltende vermutet wird? Ohne sich vorher die Route auf Google Maps genau angeschaut zu haben? Freiwillig jedenfalls nicht. Oder doch? Zumindest haben sich angeblich schon über 33 000 Interessenten gemeldet für die Mission »Mars One«. Die Rede ist von einem der spektakulärsten Fernsehereignisse der Geschichte: ein Big-Brother-Container auf dem Mars. Ob es zu dieser Form der Mars-Besiedlung – ein Rückflug ist nicht vorgesehen – wirklich kommt, darf zwar noch bezweifelt werden, aber die erste weltweite Casting-Show ist schon angelaufen. Unter den Bewerbungsvideos, die man sich im Internet anschauen kann, finden sich bislang nur wenige aus Deutschland. Der erste deutsche Kandidat war der 44jährige Fluglehrer Stephan Günther aus Magdeburg. »Ich atme Weltall, seit ich denken kann«, sagt er. Schon als er ein Jahr alt gewesen sei, habe er gespannt die erste Mondlandung im Fernsehen verfolgt. Jetzt will er wohl auch ein Teletubby werden. Auch Metallica-Fan Torben aus Deutschland will abheben. Der 18jährige sitzt in seinem Video auf einem ungemachten Bett mit einer schwer raumfahrtmäßigen Jacke und liest in äußerst gebrochenem Englisch vor: »I love science and science fiction. That’s my life. So I want to Mars. I am fit as a fidli« (gemeint war wohl »fiddle«).
Interessanterweise erklären so ziemlich alle Bewerberinnen und Bewerber in ihren Videos, dass sie sich schon immer für das All und für Wissenschaft interessiert hätten, dass sie Pioniere, Entdecker sein, an der Entwicklung der Technologie und menschlichen Zivilisation teilhaben wollen – aber keiner sagt das Nächstliegende, was bei einem One-Way-Flug ins Nirgendwo zu erwarten wäre, nämlich dass er die Nase gestrichen voll hat von dem ganzen Schlamassel hier unten auf Erden, in seinem Leben, von der nervigen Verwandtschaft, der politischen Lage, dem Scheißjob. Nein, die Marsianer in spe wollen tatsächlich Helden werden und sind bereit, dafür ihr Leben mehr oder weniger wegzuschmeißen. Man kann angesichts dieser Einstellung froh sein, dass sich die Möchtegernmärtyrer bei »Mars One« und nicht bei al-Qaida bewerben. Abenteuerlust hin, Pioniergeist her, selbst die Besatzung der »Mayflower« bestand aus in ihrer Heimat verfolgten Glaubensflüchtlingen, deren Emigration ins Ungewisse nicht wirklich freiwillig erfolgte.
Das niederländische Unternehmen »Mars One« will auf dem Planeten eine Kolonie gründen, finanziert durch Spenden, Sponsoren und vor allem Merchandising und den Verkauf von Übertragungsrechten. Dass die Eroberung des Mars »buchstäblich jeder auf der Welt wird sehen wollen«, wie es der Projektleiter Bas Lansdorp formulierte, ist wohl nicht übertrieben. Der mediale Wert einer solchen Unternehmung sei weitaus größer als die zu erwartenden Kosten, versichert Lansdorp. Dennoch: Ob es dazu kommen wird, steht in den Sternen. Denn nicht nur die Finanzierung dürfte fragwürdig sein – die Rede ist von mindestens sechs Milliarden US-Dollar bis zur ersten bemannten Landung. Auch die technische Umsetzung gleicht bisher eher einem Wunschkonzert. »Mars One« ist selbst nichts als eine kleine, als Stiftung firmierende Marketingfirma, die ganze technische Umsetzung soll von Raumfahrtunternehmen gewährleistet werden, von denen allerdings bisher offenbar noch keines fest zugesagt hat. Immerhin hat sich der niederländische Physiker und Nobelpreisträger Gerardus ’t Hooft als Schirmherr zur Verfügung gestellt. Er sagt: »Universitäten haben nicht das nötige Geld, nationale Regierungen haben andere Prioritäten. Dieses Projekt scheint der einzige Weg zu sein, den Menschheitstraum zu verwirklichen, den Weltraum zu erobern. Es klingt wie ein erstaunliches, faszinierendes Experiment. Lasst es uns starten!«
Die Pläne sind ambitioniert. Bereits im Januar 2016 soll ein erstes Raumschiff mit Versorgungsgütern und technischen Geräten wie Solarmodulen zum Mars aufbrechen. 2018 folgt ein großer Rover, der die Umgebung erkunden und die beste Stelle für die Siedlung ausfindig machen soll. Bis 2021 werden dann alle Materialien, Wohnmodule und ein zweites Fahrzeug auf den Mars transportiert. Die beiden Roboterfahrzeuge bereiten dann alles für die Ankunft der Casting-Gewinner vor. Die ersten vier Auserwählten sollen 2022 starten. Nach sieben Monaten Reise landen sie an der Stelle, wo Roboter bereits erste Teile der Mars-Station aufgebaut haben. Alle zwei Jahre sollen dann vier weitere Siedler folgen.
Doch selbst wenn das alles klappen sollte, fangen die Probleme dann erst an. Vor allem stellt sich die Frage: Was macht man da? Einfach mal vor die Tür gehen, ist nicht. Man sitzt also bis an sein Lebensende in einem kleinen Container und schlägt extraterrestrische Zeit tot. Hier wird auch eine philosophische Frage berührt, nämlich inwiefern, um mit Goethe zu sprechen, im Inneren eine Welt zu finden ist. Eine völlig absurde Frage eigentlich, wenn man bedenkt, dass jene, die sie sich stellen müssen, eigentlich ja aufgebrochen sind, um im Äußeren, im Alleräußersten, und ganz materiell eine neue Welt zu finden. Werden wir, wenn wir den Container-Bewohnern dann monatelang auf RTL 2 bei ihrem abwechslungslosen Alltag zuschauen, womöglich feststellen, dass der Buddhist, der den ganzen Tag vor sich hinmeditiert, und der Nerd, der ununterbrochen an seiner Xbox zockt, ein ziemlich vergleichbares Schicksal erdulden?
Ist man in so ziemlich allen Werken der Science-Fiction immer davon ausgegangen, dass die Besiedlung anderer Planeten eine Folge apokalyptischer Zustände auf der Erde sein wird, zeichnet sich nun ab, dass die Motivation für ein solches Vorhaben schlicht profane Fernsehunterhaltung für gelangweilte Erdenbürger ist, eine Reality-TV-Seifenoper. Aber klar, besser so als anders. Der Vorteil im Vergleich zum irdischen »Big Brother« ist jedenfalls, dass die Kandidaten nicht mehr herausgevoted werden können, aber ob sich das für diese wirklich als Vorteil erweist? Auch stellt sich die Frage, wie lange man den Siedlern bei ihrem täglichen öden Einerlei zuschauen möchte, das dürfte sehr schnell uninteressant werden. Und Spiegel Online hat die vielleicht wichtigste Frage schon gestellt: Was passiert mit den Marsmenschen, wenn die Einschaltquoten abstürzen oder die übertragenden Fernsehsender oder die Betreiber pleitegehen?
Auch ethische und politische Fragen stellen sich. Wie werden sich etwa die umtriebigen Postcolonial-Studies-Aktivisten dazu verhalten? Immerhin geht es um eine zu errichtende Kolonie. »Ich möchte Kolonisatorin werden«, sagt eine Bewerberin in ihrem Vorstellungsvideo. Ein Satz, den man im irdischen Kontext kaum mehr zu denken wagt. Dass es bei dieser Kolonisierung um ein unbewohntes Gebiet geht, wird die Kolonialismuskritiker nicht beeindrucken. Unbewohnt waren die Falkland-Inseln auch, und trotzdem wirft Argentiniens Regierung der britischen nach wie vor Kolonialismus vor und die lateinamerikanische Linke geißelt, ebenso wie hierzulande das Neue Deutschland, den »Imperialismus«, den diese Besiedlung darstelle. Also auch, wenn wir davon ausgehen, dass nicht doch noch hinter irgendeinem roten Hügel indigene Marsbewohner auftauchen, wird es politische Vorbehalte geben.
Aber auch die Frage, ob man Menschen überhaupt – und erst recht im Rahmen einer Fernsehshow – auf eine Reise schicken darf, von der sie nicht mehr zurückkehren, bewegt bereits jetzt die Feuilletons. Womöglich werden auch die Gesetzgeber noch tätig. Was wird der Papst dazu sagen? Was Slavoj Žižek?
Interessierte Fernsehanstalten sollten jedenfalls bedenken, dass die Mars-Soap womöglich nicht allzu lange laufen wird. Von den 104 Siedlern, die 1607 die erste amerikanische Kolonie Jamestown gründeten, überlebten nur 38 die ersten neun Monate. Im Hungerwinter 1609/1610 soll es zu Kannibalismus gekommen sein. Anführer John Smith machte regelmäßig längere Handelsreisen in die Umgebung und immer wenn er zurückkam, war die Siedlung in desolatem Zustand. Er notierte: Die Siedler seien »alle krank, von den Übrigen einige lahm, andere verletzt – alle unfähig, irgendetwas zu tun außer sich zu beklagen … viele tot, die Ernte verfaulend und nichts getan.« Naja, spätestens wenn RTL 2 das Messie-Team zum Aufräumen auf den Mars schickt, werden die Einschaltquoten wieder stimmen.