Die Landreform in Kolumbien

Zurück aufs Land

Die kolumbianische Regierung und Vertreter der Guerilla FARC haben sich Ende Mai auf einen Kompromiss in der Landfrage geeinigt. Doch die kolumbianische Oligarchie steht diesem entgegen.

Landreform ist in Kolumbien ein Unwort, das hat der Soziologe Héctor Mondragón immer wieder zu spüren bekommen. Der renommierte Wissenschaftler arbeitet am Lateinamerikanischen Forschungsinstituts für eine alternative Gesellschaft und ein alternatives Recht (ILSA) und beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der Landverteilung in Kolumbien. Er hat zahlreiche Studien zur Landkonzentration und zur Beeutung der Kleinbauern in der Region verfasst. Seinen Untersuchungen zufolge sind allein in den vergangenen 25 Jahren in Kolumbien rund acht Millionen Hektar Ackerland »umverteilt« worden. Eine Fläche, die in etwa der Größe Belgiens entspricht. »Die allermeisten Menschen gaben ihr Land nicht freiwillig, sondern im Angesicht von Waffen auf«, sagt der Agrarexperte, der immer wieder auf die hohe Zahl von Binnenflüchtlingen infolge dieser Politik hingewiesen hat. Mit 5,5 Millionen Flüchtlingen innerhalb der Landesgrenzen ist Kolumbien das Land mit der höchsten Zahl an Binnenflüchtlingen Lateinamerika.
Der Hauptteil dieser Flüchtlinge kommt aus den ländlichen Regionen. Mit der »integralen Landreform«, die Ende Mai im kubanischen Havanna zwischen Kolumbiens Regierung und der größten Guerillaorganisation des Landes, den Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (FARC), ausgehandelt wurde, könnten diese Flüchtlinge endlich zu ihrem Recht kommen. Das hofft unter anderem die ehemalige Senatorin Piedad Córdoba. Die Politikerin, die in der Bevölkerung hohes Ansehen genießt, wurde von der Justiz politisch kaltgestellt, weil ihr Kontakte zur FARC nachgesagt werden. In Kolumbien ist eine derartige Anschuldigung lebensgefährlich, denn bezahlte Killer und paramilitärische Gruppen machen seit Jahrzehnten Jagd auf politisch Andersdenkende – unter dem Vorwand der Guerillabekämpfung. Auftraggeber sind oftmals die Profiteure der gigantischen Landumverteilung, die in Kolumbien auch als »Kontra-Agrarreform« bezeichnet wird. Anführer paramilitärischer Gruppen, wie Salvatore Mancuso und Carlos Castaños, sollen sich im großen Stil fruchtbares Ackerland angeeignet haben. Wer das Land nun unrechtmäßig in Besitz hält, ist unklar, denn der eine soll bereits tot sein und der andere in den USA im Gefängnis sitzen.

Die Frage, wer von der gewaltsamen Landnahme profitiert, stellen deren Opfer, vertreten durch Opferorganisationen wie »Movice« und die kirchliche Menschenrechtsorganisation »Gerechtigkeit und Frieden«, die indigene und afrokolumbianische Gemeinden sowie Kleinbauern bei der Rückkehr auf ihr Land unterstützen. Die Organisationen haben mehrere Studien vorgelegt und vor dem Interamerikanischen Gerichtshof in zahlreichen Fällen Klage eingereicht. So kommen Details der Landnahme ans Tageslicht, meist stecken ökonomische Interessen hinter der brutalen Enteignung durch Waffengewalt. »Es sind in aller Regel agroindus­trielle Projekte wie Ölpalmen- oder Zuckerrohrplantagen, Bergbauvorhaben oder Infrastrukturprojekte, die dazu führen, dass Kleinbauern und indigene wie afrokolumbianische Gemeinden verdrängt werden«, erklärt Padre Alberto Franco, Geschäftsführer der Menschenrechtsorganisation »Gerechtigkeit und Frieden«. Er hat mit seinem Team von Spezialisten Beweise zusammengetragen, die die engen Kontakte zwischen paramilitärischen Gruppen, staatlichen Sicherheitskräften und Palmöl-, Holz- und Fruchtkonzernen belegen. Einen Tag nachdem die Klage beim Interamerikanischen Gerichtshof in Costa Ricas Hauptstadt San José angenommen worden war, gab ein Killer drei Schüsse auf den Wagen des Padre ab.
Die Situation in Kolumbien ist derzeit brisant, denn Aufklärung, Strafverfolgung und Wiedergutmachung sind schlicht nicht im Interesse einflussreicher Kreise um den ehemaligen Präsidenten Álvaro Uribe Vélez. Die als »Uribistas« bekannten rechtsnationalistischen Großgrundbesitzer kontrollieren große Landflächen und sind mitverantwortlich für die Landkonzentration in Kolumbien. Dort halten 11,5 Prozent der Landbesitzer 52,2 Prozent der produktiven Ackerflächen, während sich 78,31 Prozent der Bauern gerade einmal 10,59 Prozent der Fläche teilen, berichtet das UN-Entwicklungsprogramm in einer Studie. Deren Ergebnissen widerspricht auch die kolumbianische Regierung nicht. Die staatliche Sozialbehörde Acción Social, die auch die Hilfen für die Bürgerkriegsvertriebenen koordiniert, schätzt, dass 6,8 Millionen Hektar Land zwischen 1980 und 2010 umverteilt wurden. Damit liegt sie nur knapp unter den Ergebnissen der Studien von Héctor Mondragón.

Wie allerdings zurückverteilt werden soll und wie die Landfrage, der Auslöser des seit 1964 tobenden Bürgerkriegs, gelöst werden soll, ist derzeit vollkommen unklar. Ein Dilemma sei, dass die Zivilbevölkerung in Havanna eben nicht an der Verhandlung teilnehme, kritisieren sowohl Padre Franco als auch indigene Organisationen und Kleinbauernverbände. Eine von letzteren ist die Vereinigung von Kleinbauern aus dem Flussgebiet des Cimitarra (ACVC), ihr gehören rund 25 000 Menschen an. Sie haben eine bäuerliche Schutzgemeinschaft gegründet, um Landnahme und Vertreibung in der Region einzudämmen. Darin seien sie durchaus erfolgreich gewesen, auch dank internationaler Unterstützung und Aufmerksamkeit, sagt der ACVC-Sprecher Miguel Cifuentes. »Mehr Schutzmechanismen für Kleinbauern sind auch ein Beitrag zur Ernährungssicherheit in Kolumbien«, sagt er.
Kleinbauern bauen traditionelle Produkte wie Kartoffeln, Mais, Linsen und Bohnen an, die in den vergangenen 20 Jahren, ebenso wie Getreide, in immer größeren Mengen importiert wurden. Doch der Anbau der traditionellen Kulturpflanzen allein reicht nicht zum Leben, weshalb nach einer Alternative Ausschau gehalten wurde. Die Ansiedlung von Wasserbüffeln in der Region
erwies sich als Erfolg. Deren Milch wird für die Produktion von Mozzarella genutzt, der in der Region ausgesprochen beliebt ist. Diese einfachen Alternativen sind für die Kleinbauern überlebenswichtig.
Auch für den Schutz der Landtitel sind sie bedeutend, denn diesen hat es in der Vergangenheit nicht gegeben und die Aussichten, dass sich dies ändert, sind auch nicht die besten. Ein Beispiel für das Problem ist der Kampf um die Rückkehr mehrerer Gemeinden im Chocó, dem Verwaltungsbezirk an der Grenze zu Panama. Dort wurden mehreren indigenen und afrokolumbianischen Gemeinden zwar kollektive Landrechte von höchster Stelle zugesprochen, doch die Rückkehr auf dieses Land gestalte sich alles andere als einfach, kritisiert Padre Franco. Seine Organisation begleitet mehrere dieser Gemeinden und trotz rechtlich klarer Rahmenbedingungen schaffen es einflussreiche Palmöl-Unternehmer immer wieder, die Rückgabe okkupierten Landes zu verhindern. »Die Widerstände sind immens«, sagt Padre Franco, der befürchtet, dass die Verbrechen der Vergangenheit unter den Teppich gekehrt werden könnten. Straflosigkeit ist in Kolumbien ohnehin systemimmanent: 97 Prozent der Menschenrechtsverbrechen bleiben ungesühnt, so die nationale Juristenkommission. Positiv für die Zukunft, so Padre Franco, sei immerhin, dass anders als früher Frieden für die ökonomische Elite des Landes mittlerweile nötig ist. Solange der Bürgerkrieg nicht beendet ist, bleibt es schwierig, Investoren ins Land zu holen. Dies sei ein wesentlicher Grund dafür, dass bedeutende Teile der Oligarchie für die Verhandlungen in Havanna plädieren und dafür auch die Landreform in Kauf nehmen. Doch bleibt unklar, welches Ausmaß diese Reform haben wird und ob die Aufarbeitung der Geschichte dazugehört.