Verhandlungen mit den Taliban

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Offizielle Verhandlungen mit den afghanischen Taliban stehen bevor. Wenn sie nur noch ihre Landsleute terrorisieren, können sie mit der Anerkennung durch die »internationale Gemeinschaft« rechnen.

Man kann den Taliban nicht vorwerfen, dass sie verschweigen, worauf sie hinauswollen. Ihre vorige Woche in Katar eröffnete Vertretung bezeichneten sie zunächst als Botschaft eines »Islamic Emirate of Afghanistan«. Das empörte den afghanischen Präsidenten Hamid Karzai, doch die Gastgeber der Jihadisten beschwichtigten. Es handele sich nur um ein »politisches Büro«.
Am Dienstag drangen Taliban in die Sicherheitszone Kabuls ein. Es ist unklar, ob der Angriff, bei dem mindestens sieben Menschen getötet wurden, der Festung des Präsidenten galt. Karzai will sich nun nicht an den Verhandlungen beteiligen, und die Taliban verlangen als Bedingung für ihre Teilnahme die Freilassung von fünf ihrer in Guantánamo inhaftierten Kommandanten im Austausch gegen einen von ihnen gefangen gehaltenen US-Soldaten, eine Forderung, die US-Präsident Barack Obama wegen juristischer Hindernisse und Widerstands im Kongress nicht so leicht erfüllen kann. Noch ist unklar, wann die offiziellen Gespräche beginnen werden. Kein Zweifel kann hingegen an der Bereitschaft der USA und anderer westlicher Staaten bestehen, die Taliban an der Macht in Afghanistan zu beteiligen.
Die Folgen für die afghanische Gesellschaft werden desaströs sein. »Während detaillierte Planungen der Geberstaaten Afghanistans für die Unterstützung der afghanischen Sicherheitskräfte in den zehn Jahren nach 2014 existieren, gibt es einen eklatanten Mangel an Überlegungen bezüglich vergleichbarer Absicherungen für Frauenrechte in den kommenden Jahren«, kristiert Heather Barr von Human Rights Watch. Die Zahl der wegen »moralischer Verbrechen« – meist Flucht vor Zwangsheirat oder häuslicher Gewalt – inhaftierten Frauen sei in den vergangenen 18 Monaten um 50 Prozent gestiegen.

Es wäre jedoch falsch, den westlichen Regierungen Verrat vorzuwerfen, denn die Demokratisierung Aghanistans war nie ein offizielles Kriegsziel. Weder in der Ansprache am 20. September 2001, die den Beginn des »war on terror« ankündigte, noch in der Rede zum Kriegsbeginn am 7. Oktober verwendete der damalige US-Präsident George W. Bush dieses Reizwort. Auch in der Missionsbeschreibung der multiationalen Interventionstruppe Isaf steht nur vage, man wolle den afghanischen Behörden helfen, die »Menschenrechte zu fördern«. Bush propagierte zwar eine Demokratisierung für den Nahen und Mittleren Osten, die Aufgabe, das nation building in Afghanistan zu beaufsichtigen, übertrug er jedoch den Deutschen, und das ist, wenn Demokratisierung das Ziel sein soll, nie eine gute Idee.
Eine »Islamische Repulik« – unter den 49 Staaten mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit bestehen ansonsten nur der Iran, Pakistan und Mauretanien auf dieser Bezeichnung – wurde Afghanistan Ende 2001 in Petersberg bei Bonn allerdings mit Zustimmung der Uno. In der Verfassung stehen Gebote der Sharia und Menschenrechte unverbunden nebeneinander. Im wirklichen Leben sorgen die Patriarchen und ihre Milizen dafür, dass die Sharia – in Afghanistan oft verstanden als reaktionäres Gewohnheitsrecht – den Vorrang erhält.
Auch diese Machtverhältnisse wurden von der »internationalen Gemeinschaft« abgesegnet. In Petersberg wurde die Macht unter den afghanischen Warlords aufgeteilt, als Powerbroker wurde Karzai zum Präsidenten gemacht. Selbst kein Kriegsverbrecher, war es seitdem sein Job, mit Verhandlungsgeschick, Schmiergeld und der Androhung militärischer Gewalt ein neofeudales System zusammenzuhalten, für das der Parlamentarismus kaum mehr als eine Fassade ist.
Das Kriegsziel war es, al-Qaida zu zerschlagen, und dies ist weitgehend gelungen. Demokratisierung galt bestenfalls als Luxus. Dennoch gab es einige Aufbauerfolge, vor allem in der Mädchenbildung, und im Vergleich zu den achtziger und neunziger Jahren ist das Gewaltniveau gesunken. Somit haben die Afghaninnen und Afghanen beim Abzug der ausländischen Truppen etwas zu verlieren, wenngleich die Fortsetzung der Intervention schwerlich eine Alternative sein kann.

Zeitweise zur Zurückhaltung gezwungene Warlords bereiten sich nun auf die nächste Runde des Bürgerkriegs vor. Rashid Dostum, 2001 ein Verbündeter der USA, ließ seine Milizionäre in der vergangenen Woche bereits Regierungsgebäude beschießen. Ebenso wenig wie die Taliban dürften die Warlords der Versuchung widerstehen, ihren Machtbereich ab 2014 mit Gewalt zu erweitern. Dann wird sich auch erweisen, wer am erfolgreichsten Armee und Polizei infiltriert hat, denen am Dienstag voriger Woche die offizielle Verantwortung für die Sicherheit Afghanistans übertragen wurde.
Obama betreibt keine ambitionierte Außenpolitik, kann aber als Realist gelten. Nach 2014 sollen 8 000 bis 12 000 US-Soldaten sowie Truppenkontingente anderer Nato-Staaten in Afghanistan bleiben, deutlich mehr, als für Ausbildungszwecke nötig wären. Den Taliban wird die Anerkennung als legitime politische Organisation angeboten, wenn sie sich des Terrors außerhalb Afghanistans enthalten und auf eine Alleinherrschaft im Land verzichten. Doch soll verhindert werden, dass sie das Land erneut überrennen und wieder safe havens für global operierende Terroristen entstehen.
Dass die Menschen in islamischen Ländern im Kampf um Freiheit und Demokratie nicht auf westliche Unterstützung bauen können, hat sich nicht nur in Afghanistan gezeigt. Dort lebt die Mehrheit der Bevölkerung in neofeudalen Abhängigkeitsverhältnissen, Arbeiterklasse und Mittelschicht sind zu marginal, um eine Revolte zu tragen. Die Bedingungen für einen »afghanischen Frühling« sind daher ungünstig.