Über Gentrifizierung und Repression in Hamburg-Altona

Wohnst du noch?

Die Polizeieinsätze gegen Jugendliche in Hamburg-Altona Anfang Juli sind ein ­unmittelbares Resultat der voranschreitenden Gentrifizierung.

Man merkt den Jungs rund um den Lautsprecherwagen an, dass ihre Demonstrationserfahrung eher gering ist. Die Parolen, die ihr Kumpel auf dem Wagen vorgibt, werden zwar beklatscht, zünden aber nicht so richtig. Auf »Ganz Hamburg hasst die Polizei« können sich schließlich aber doch alle einigen.
Die Demonstration mit rund 1 000 Teilnehmern im Hamburger Stadtteil Altona-Altstadt ist die Reaktion von Betroffenen und Anwohnern auf die gewaltsamen Polizeieinsätze eine Woche ­zuvor. Am Donnerstag war ein Aufgebot von 100 Beamten gegen eine Gruppe von Jugendlichen und jungen Männern vorgegangen, die an diesem Sommerabend vor ihrem Stammkiosk herumhingen. Sie alle haben dunkle Haare und zumeist türkische oder arabische Namen, sie hatten sich zum Fastenbrechen getroffen, und jeder von ihnen musste schon in der Woche zuvor ständige Personalienkontrollen und Platzverweise über sich ergehen lassen, manche von ihnen dreimal am Tag.

Die Bilanz des Einsatzes mit Schlagstöcken, Pfefferspray und Reiterstaffel: 16 Ingewahrsamnahmen, ein Nasenbeinbruch, ein Jugendlicher wird in den Schwitzkasten genommen, bis er bewusstlos wird, ein 15jähriger so heftig gegen ein Schaufenster geschlagen, dass es bricht. Die Polizei begründet ihr Vorgehen damit, dass ­Autofahrer aus der Gruppe heraus mit Laserpointern geblendet worden seien; allerdings kann kein einziges der beliebten Katzenspielzeuge sichergestellt werden.
Am folgenden Abend kommt es erneut zur Konfrontation, nur dass sich nun noch ein paar Nachwuchsrandalierer dazugesellen, die sich in Seitenstraßen im Autoanzünden üben, und dass sich diesmal noch mehr Eltern und Nachbarn auf der Straße versammelt haben als am Abend zuvor, um die jungen Leute in Schutz zu nehmen und die Lage zu entschärfen.
Das gelingt am dritten Abend schließlich auch, tags darauf nehmen 200 Menschen an einer Bürgerversammlung im benachbarten Park teil. Ein paar Wochen zuvor hat die türkische Community des Viertels hier ein Gezi-Park-Familiengrillen organisiert; das erklärt vielleicht, wie sich nun spontan eine Anwohnerinitiative gründen und die Demonstration auf die Beine gestellt werden kann.

Diese Reaktion der Nachbarschaft passt nicht zu dem Bild, das man den Medien über die Vorfälle entnimmt. Die Hamburger Morgenpost sah bereits »Verhältnisse wie in Paris« heraufziehen, und von Springer bis zum NDR wurde unhinterfragt die Begründung der Polizei für die verstärkten Kontrollen übernommen, es sei »in den letzten Wochen im sogenannten Stolperviertel vermehrt zu Straftaten von Jugendlichen und jungen Erwachsenen gegenüber Anwohnern gekommen«.
Die aber reiben sich erstaunt die Augen. Den Begriff »Stolperviertel« haben selbst Leute noch nie gehört, die seit Jahrzehnten hier wohnen – es handelt sich um eine Wortschöpfung der Polizei. Ein Kriminalitätsschwerpunkt, an dem man sich kaum vor die Tür wagt, ist nicht zu entdecken, allerdings gibt es massenhaft Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung: Viele Radfahrer ziehen den Fußweg dem allgegenwärtigen Kopfsteinpflaster vor. Niemand meckert, dies ist schließlich nicht Berlin und auch nicht Eppendorf.
Die jungen Leute, die jetzt auf dem Lautsprecherwagen von den ständigen rassistischen Polizeischikanen und dem Prügelangriff der Vorwoche berichten, sind etwa zwischen 15 und 25 Jahren alt, also vermutlich keine kleinen Engelchen: Wer behauptet, in diesem Alter nie gegen Gesetze verstoßen zu haben, hat nicht gelebt oder ein schlechtes Gedächtnis. Man muss schon ein bisschen grinsen, als einer der Jungs am Mikro beteuert: »Wir nehmen keine Drogen. Und wir trinken nur gaaanz wenig Alkohol.« Was man halt so sagt, wenn die eigenen Eltern danebenstehen.
Von Jugendgangs terrorisiert aber fühlt sich im Viertel niemand, es sei denn jene Sorte Menschen, die in jeder Clique junger Männer, die nicht der minderpigmentierten Bevölkerung angehören, das organisierte Verbrechen vermuten. Was unter anderem auf zahlreiche Polizeibeamte zutreffen dürfte.

Wo das wahre Problem des neuentdeckten »Problemviertels« liegt, wird auf der Demonstration schnell klar. Eine der Forderungen der Anwohnerinitiative ist ein von den Jugendlichen mit­gestalteter Jugendtreff, der alte wurde vor zwei Jahren geschlossen. Die Jungs erzählen von ihrem früheren Fußballplatz, wo nun ein supermo­dernes – und superteures – Schwimmbad steht. Ihre ehemalige Schule wurde zu einem »familienfreundlichen Wohnprojekt« umgebaut; daneben informieren die Namensschilder an der Kita, dass hier Jannik, Mia, Josef und Matilda spielen, unter den mehr als 30 Namen sind gerade einmal zwei türkische.
Am anderen Ende der Straße steht ein Neubau: noch so ein familienfreundliches Genossenschaftsprojekt, dessen Bewohner im neuen Biosupermarkt einkaufen, nicht im Halk Pazarı vor der Haustür. Auf der angrenzenden Fläche befand sich vor kurzem noch ein Bolzplatz, jetzt entsteht hier ein Kinderspielplatz. Wenn Josef und Mia aus dem Alter dafür raus sind, werden sie zum Kicken ohnehin keine Zeit haben, weil sie sich mit Nachhilfeunterricht und Klavierstunden ihren Platz in der Bildungselite sichern müssen. Auch die Bänke am Rand des Areals, auf denen sich bisher die trinkende Bevölkerung zum Frühstücksbier traf, mussten weichen. Ein paar Schritte weiter gelangt man zum Kernstück des »Sanierungsgebiets Altona-Altstadt«: Hier zieht Ikea seit vergangenem Jahr seine weltweit erste Filiale mitten in der Stadt hoch. Seither hat die Verdrängung der unerwünschten, weil nicht kaufkräftigen Klientel so richtig Fahrt aufgenommen. Noch gibt es hier Wohnungen, die sich sogar Hartz-IV-Empfänger leisten können, aber man findet ­keinen Straßenzug, in dem nicht nach Kräften luxussaniert wird. Die angrenzende Einkaufs­straße wird von einer Betonwüste im Stil der siebziger Jahre zur zeitgemäßen Glasfassadeneinöde umgebaut.
Hüsein Göktaş, der nach den Auseinandersetzungen Anfang Juli als Elternvertreter an den Vermittlungsgesprächen mit der Polizei teilnahm, berichtet im Interview mit der Taz, dass es für Menschen mit nichtdeutschem Namen mittlerweile fast unmöglich geworden sei, im Viertel eine Wohnung zu finden. Auch die verstärkte Polizeipräsenz bringt er mit dem Ikea-Baubeginn in Verbindung.
Es wird also nicht mehr lange dauern, bis den Jungs vom Lautsprecherwagen, den Hartz-IV-Beziehern und den Altpunks mit der trainierten Leber nichts anderes übrigbleibt, als in die Vorstädte umzusiedeln, wo dann tatsächlich französische Verhältnisse drohen. Stadtsoziologen, die eine galoppierende Gentrifizierung am lebenden Objekt studieren möchten, sind in Altona-Altstadt hingegen an der richtigen Adresse. Aber sie müssen sich beeilen, wenn sie noch andere Menschen als Waldorf-Muttis und Irgendwasmitmedienmacher vorfinden wollen: 2014 soll Ikea Altona die Pforten öffnen.