Über den Verkauf der Washington Post

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Der Verkauf der Verlagsgruppe Washington Post an den Besitzer von Amazon ist nicht nur Ausdruck der Krise der Printmedien in den USA, sondern auch der immer vollständigeren Unterordnung der öffentlichen Meinung unter Geschäftsinteressen.

Seinen im Namen der Redaktion verfassten offenen Brief an den neuen Eigentümer der Washington Post, den Gründer und Besitzer von Amazon, Jeff Bezos, beginnt der Redakteur Gene Weingarten mit einer Anekdote aus dem Jahr 1982. Damals war Weingarten Redakteur des zum Miami Herald gehörenden Magazins Tropic. Dieses sollte über die Gewinner der Silver-Knight-Awards berichten, die von den Eignern der Zeitung verliehen wurden. Wegen ihres kritischen Anspruchs verweigerte die Redaktion diese Art der Hofberichterstattung, was zu einer Konfrontation mit den Herausgebern geführt habe, die aber letztlich keine Sanktion gegen die ambitionierte Redaktion verhängt hätten. Langfristig habe sich diese Haltung als richtig erwiesen, so Weingarten, denn Tropic konnte später auch gerade wegen der in diesem Konflikt durchgesetzten Prinzipien zwei Pulitzer-Preise einheimsen. Einer der Aus­gezeichneten des Jahres 1982 war ein Schüler namens Jeffrey Bezos, der für seine Arbeiten im Student Science Training Program der University of Florida ausgezeichnet wurde. »Unsere Wege haben sich schon einmal gekreuzt, als wir jung waren, und ich habe Sie gedisst. Ich denke, es ist ziemlich klar, wer das Rennen gemacht hat«, räumt der ehemalige Tropic-Redakteur ein. Ein wenig will er die Anekdote aber auch als Hinweis verstanden wissen: »Ich hoffe, dass Sie eine klare Vision davon haben, wo Sie mit diesem bemerkenswerten Unternehmen hin wollen. Aber bitte denken Sie immer daran: Kick up, and kiss down.«

Ob sich ein solches Zusammenspiel von kritischen Redakteuren und einem nachsichtigen Herausgeber nach dem Verkauf des Verlags für 250 Millionen US-Dollar an den Amazon-Eigentümer entwickeln wird, ist offen. Immerhin teilte Bezos mit, er wolle im »anderen Washington« – gemeint ist der Bundesstaat im Nordwesten der USA – bleiben und sich nicht in die Tagesgeschäfte der renommierten Zeitung einmischen, die 47 Pulitzer-Preise erhalten hat und vor allem seit der Enthüllung des Watergate-Skandals durch Bob Woodward und Carl Bernstein 1973 als wichtige Vertreterin des investigativen US-Journalismus gilt. Zudem hat Bezos in seinem Brief an die Redaktion verkündet, die Zeitung werde ihren Leserinnen und Lesern verpflichtet bleiben und nicht den Privatinteressen ihrer Besitzer; auch die Job- und Gehaltsvereinbarungen sollen erhalten bleiben. Das passt aber nicht recht zu den sonstigen Aussagen des Multimilliardärs. In einem Interview mit der Berliner Zeitung vom November hatte er noch pro­gnostiziert, dass es in 20 Jahren keine gedruckten Zeitungen mehr geben werde, höchstens »als Luxusartikel, den sich bestimmte Hotels erlauben, als extravaganten Service für ihre Gäste«. Auch einer finanziellen Zukunft des Journalismus im Internet gab er damals kaum Chancen: »Im Web zahlen die Menschen nicht für Nachrichten, das wird sich auch nicht mehr ändern«, sagte Bezos.
Diese Prognose mag etwas übertrieben sein, aber die Zeitungskrise in den USA, und beileibe nicht nur dort, offenbart durchaus eine Tendenz in diese Richtung. Mit dem Rückzug des bisherigen Herausgebers Donald Graham, dessen Fami­lie Verlag und Zeitung über 80 Jahre geführt hatte, stirbt eine weitere Dynastie der US-Printmedien aus. 2007 hatten sich bereits die Bancrofts durch den Verkauf des Wall Street Journal an Rupert Murdochs News Corporation verabschiedet. Auch die Familie Chandler, jahrzehntelange Herausgeberin der Los Angeles Times, hatte sich zuletzt zurückgezogen. Und die Familie Ochs-Sulzberger, die als große Ausnahme noch immer eine Stimmrechtsmehrheit an der New York Times Company hält, hatte den Verkauf des Boston Globe an den Unternehmer John Henry verkündet. Lediglich 70 Millionen US-Dollar soll die Zeitung noch eingebracht haben, die sich die Times vor gut 20 Jahren noch 1,1 Milliarden hatte kosten lassen. Zu den Milliardären, die sich in jüngster Zeit eigene Zeitungen zugelegt haben, gehören neben Bezos Warren Buffett, dessen Holding-Gesellschaft Berkshire Hathaway fast 70 Lokalzeitungen gekauft hat – aus »Nostalgie«, wie er sagte –, demnächst wohl auch David und Charles Koch, Finanziers der Tea-Party-Bewegung, die angekündigt haben, den Chicago Tribune und mit ihm verbundene Zeitungen kaufen zu wollen.

Dass superreiche Einzelpersonen Zeitungen kaufen, scheint die signifikanteste Entwicklung auf dem Markt der Printmedien zu sein. Dass dies als Investition gedacht ist, kann ausgeschlossen werden. Die meisten der genannten Zeitungen hatten in den vergangenen Jahren nicht nur Verluste gemacht, sondern standen vor dem Konkurs. Die 1877 gegründete Washington Post war im Vergleich noch relativ stabil, weil der Gesamtkonzern die Zeitung mit Programmen für Aus- und Weiterbildung subventionieren konnte. Die täglich verkaufte Auflage beträgt allerdings nur noch etwas mehr als 475 000 Exemplare, die Wochenendausgabe lag zuletzt bei knapp 630 000 verkauften Exemplaren. Vor 20 Jahren soll die tägliche Ausgabe noch fast 1,2 Millionen Käufer und Abonnenten gehabt haben. Seit 2003 wurden zudem fast 200 der ehemals 900 Redakteure entlassen oder nicht ersetzt und Büros in anderen Städten der USA geschlossen. Von Rentabilität war die Post trotz dieser Maßnahmen weit entfernt. Im vergangenen Jahr erwirtschaftete die Zeitungssparte nur noch 14 Prozent des Konzernumsatzes. Die Washington Post selbst wies trotz ­aller modern anmutenden Online-Abokampagnen einen operativen Verlust von 54 Millionen Dollar aus.
Das wirft die Frage auf, weshalb Bezos sie überhaupt gekauft hat. Obwohl der Verkaufspreis lediglich ein Prozent seines vom Magazin Forbes geschätzten Vermögens ausmacht, ist die Summe für ein unprofitables Unternehmen »ein ziemlich fetter Preis«, wie der namhafte US-Medienberater John Morton der Zeit mitteilte. Auf Twitter witzelten Journalisten darüber, dass Bezos Frau so gerne Post aus Washington bekäme, nun habe sie gleich einen ganzen Verlag bekommen. Über die Motive, die einige Milliardäre veranlassen, sich mehr oder minder renommierte Zeitungen zu gönnen, lässt sich derzeit nur spekulieren. Nicht alle legen sie so offen dar wie die Brüder Koch, die sich Kampfblätter gegen den »Hardcore-Sozialisten« Barack Obama zulegen wollen, wie sie verkündeten. Im Falle der Washington Post könnte es um etwas subtilere Einflussnahme gehen. Ge­rade wegen deren seriösen Rufes, den Bezos allen Aussagen zufolge unbedingt erhalten will, könnte ihm die Zeitung in Auseinandersetzungen mit Konkurrenten nützlich sein. Zuletzt hat der Kurs der Amazon-Aktie ein absolutes Hoch erreicht, nachdem dem größten Konkurrenten Apple gerichtlich Preisabsprachen mit Buchverlagen untersagt worden waren. Experten hatten Amazon hinter den Klagen vermutet. Ein wenig Publicity gegen den Konkurrenten hätte sicherlich nicht geschadet. Auch bei Skandalen wegen der kata­stro­phalen Arbeitsbedingungen bei Amazon auf beiden Seiten des Atlantiks könnte »Bezos’ Post« zukünftig die öffentliche Darstellung des Quasi-Monopolisten auf dem US-Buchmarkt in ein positiveres Licht rücken. Möglich, dass sich Weingarten nach Jahrzehnten doch noch gelegentlich als Hofberichterstatter wird betätigen müssen. Einige seiner Kollegen konnten sich darin schon üben. »Amazon-Gründer Jeff Bezos – bekannt für Geduld und Konzentration bis ins Detail in seinen Unternehmen«, war das Porträt über den künftigen Chef am Tag nach der Bekanntgabe des Kaufs überschrieben.