Über den Dokumentarfilm »Apple Stories« von Rasmus Gerlach

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Hamburg, Ruanda, Hongkong, Shenzhen, Kairo: Der Dokumentarfilm »Apple Stories« verfolgt die Produktion moderner Handys am Beispiel des iPhone.

Debbie Chan ist ein Glücksfall für den Dokumentarfilm »Apple Stories«. Sie engagiert sich in bei der in Hongkong gegründeten Gruppe Sacom (Students and Scholars Against Corporate Misbehaviour) und gibt den Protestaktionen der NGO ein Gesicht. Die Gruppe protestiert gegen die elenden Arbeitsbedingungen beim Apple-Zulieferer Foxconn.
Rasmus Gerlach, Regisseur des Dokumentarfilms »Apple Stories«, hat sich zwei Jahre lang mit der Herstellung der iPhones beschäftigt und in Hamburg, Ruanda, Hongkong und in Shenzhen in China recherchiert.
Im Mittelpunkt des Films stehen die Arbeitsbedingungen in den Zinnminen in Ruanda. Das Land verfügt über große Vorkommen von Coltan und Kassiterit. Coltanerze enthalten Tantal und Niob, zwei für die Herstellung der Mainboards von Mobiltelefonen und Computern wichtige seltene Metalle. Nemba ist eine große Zinnmine in Ruanda, in der Gerlach gefilmt hat. Die Schachteingänge sind einfache Löcher in roter Erde, provisorisch gesichert mit Ästen, gerade groß genug, damit Menschen hinabsteigen können. Schachteinstürze mit Toten sind keine Seltenheit. Sechs Wochen war Gerlach in Ruanda und hat sich von Kameraleuten vor Ort zeigen lassen, wie er sich unter Tage in den engen Stollen bewegen muss, um dort filmen zu können.
Die Bergleute wirken verschreckt, als der Regisseur, der in Begleitung des Geologen Anthony Kobelinka ist, die Kamera auf sie richtet. Kobelinka ist ein Repräsentant der staatlichen Minenaufsicht. »Wo sind eure Helme, Arbeitsanzüge, eure Sicherheitsschuhe?«, fragt er streng. Es ist feucht und heiß in den Schächten, es gibt kaum Sauerstoff dort unten. Die meisten Arbeiter tragen abgerissene T-Shirts, Flipflops, keine Helme. Einige haben ein Tuch als Mundschutz, nach richtigen Staubmasken fragt noch nicht einmal Kobelinka. Mit Hammer und Meißel schlagen die Arbeiter und Arbeiterinnen die Kassiteritbrocken los, mit bloßen Händen tragen sie die Zinnsteine zu den Loren. Eine von ihnen, Claudine Jlibagiza, erzählt schüchtern über sich: Sie sei Bäuerin, wenn es nicht genug Arbeit im Schacht gebe, arbeite sie auf dem Feld. Wenn es viel Arbeit gebe, verdiene sie in der Mine 2 000 ruandische Franc, etwa 40 Euro im Monat. Auch in Ruanda ist das nicht viel Geld. Oben, nahe der Mineneingänge, wird von Bergarbeitern aus dem Zinnstein die Erde ausgewaschen. Mit einer großen, flachen Schale und Wasser. Wo Wasser ist, sind auch Malariamücken, heißt es im Kommentar: Kaum jemand, der hier arbeitet, wird älter als 30 Jahre.
»Deutscher Tunnel« werde die Mine eigentlich genannt, erzählt Kobelinka später in kleiner Runde auf einer schattigen Terrasse. Noch bevor Ruanda deutsche Kolonie wurde, habe es hier Bergbau gegeben. Deutsche hätten diese Mine vor 1900 gegründet, sie aber irgendwann an Amerikaner verkauft. Jetzt gebe es Streit, weil die Mine entgegen den Behauptungen der Verkäufer nicht schuldenfrei gewesen sei. Eine Milliarde ruandische Franc, etwa 1,3 Millionen Euro, würden die ehemaligen Besitzer der Sozialversicherung und der Berufsgenossenschaft schulden.
H. C. Starck heißt die Firma aus Goslar, die über einen Subunternehmer die Mine in Nemba betrieben hat, erzählt der Regisseur in einem Interview. Die Geschichte der Firma sei geprägt »von einer fast schon quacksalberischen Beschäftigung mit geheimnisvollen Stoffen«. Heute ist die Firma weltweit führend beim Recycling seltener Metalle. Im Verhaltenkodex des Global Player werden die eigene »soziale Verantwortung, Responsible Care, nachhaltiger Umweltschutz« und die Einhaltung der Gesetze der Förderländer gerühmt. Zu einem ­Interview mit dem Filmteam waren Firmenvertreter nicht bereit. Das Metall im Mainboard eines Smartphones besteht zu etwa 70 Prozent aus Zinnlegierungen. Gerlach ist mit der Kamera dabei, als Bevollmächtigte chinesischer Firmen Zinn in Ruanda aufkaufen, folgt dem Zinn nach China, zu den großen Zulieferfabriken von Apple.
Die Fabrik von Foxconn in Shenzhen erlangte 2010 traurige Berühmtheit. 18 Arbeiter und Arbeiterinnen stürzten sich aus den Fenstern der fabrikeigenen Schlafhallen, um sich das Leben zu nehmen, 14 von ihnen starben. 400 000 meist junge ungelernte Wanderarbeiter und Wanderarbeiterinnen produzierten zu diesem Zeitpunkt dort täglich 137 000 iPhones, 90 pro Minute. Der taiwanesische Konzern Hon Hai lässt etwa 1,2 Millionen Chinesen in mehreren Fabriken von Foxconn für sich arbeiten. Die Fabrik Longhua in Shenzhen nahe der Grenze zu Hongkong ist die größte.
Als Gerlach vor dem gigantischen Gelände die Arbeiter und Arbeiterinnen auf der Straße befragt, erfährt er von den unterschiedlichen Arbeitsbedingungen, unter denen dort produziert wird. Je nach Anforderung des zu beliefernden Konzerns gibt es verschiedene Sozialstandards. Apple, so die Beschäftigten, habe sich für den niedrigsten Standard entschieden. Die Hongkonger NGO Sacom hält seit drei Jahren Kontakt zu der Arbeiterin Tian Yu, die am 17. März 2010 versuchte, sich umzubringen. Sie war damals 17 und arbeitete in der Mon­tage von iPhones und iPads für Apple. Wenn sie einen Fehler machte, wurde sie angeschrien, angelernt wurde sie kaum. Die Arbeitszeit betrug zwölf Stunden, sie hatte eine Sechs-Tage-Woche, Pausen waren nicht gern gesehen. Ihr Monatsgehalt betrug 162 Euro.
»No more iSlaves« stand auf dem Display ­eines großen iPhones, das auf einem Transparent in einem Einkaufszentrum in Hongkong von Debbie Chan und anderen Aktivisten von Sacom anlässlich einer Aktionärsversammlung von Foxconn angebracht wurde. Passend wäre das auch bei der Eröffnung des Apple-Stores in Hamburg gewesen, als das neue iPhone 5 verkauft wurde. Das Ladenpersonal ist beim organisierten Jubeln zu sehen, während auf der Tonspur ein Store-Mitarbeiter anonym über die Arbeitsbedingungen spricht. Die NDR-Reporterin Jeannette Cwienk befragt den Käufer des ersten iPhone 5, was es denn so für ein Gefühl sei, das erste Gerät kaufen zu dürfen. Gerlach filmt die Szene und fragt die Reporterin anschließend, ob ihr nicht auch kritische Fragen einfallen würden. »Ja, klar, die Herstellungsbedingungen und so«, sagt sie. Lächelnd geht sie, das Interview über das tolle Produkt ist im Kasten.

Apple Stories (D 2012). Regie: Rasmus Gerlach.
Kinostart: 22. August