Die Arbeitsbedingungen in der Bio-Branche

Bio ist billiger

Die Biobranche boomt, für bessere Löhne kämpfen die Angestellten von Biosupermärkten trotzdem nicht.

»Wer bei uns arbeitet, der muss davon leben können«, sagt Andrea Koch. Die Biobäuerin betreibt gemeinsam mit ihrem Mann einen Bauernhof im niedersächsischen Betzendorf. Doch demnächst könnte damit Schluss sein, denn vor kurzem musste der Betrieb Insolvenz anmelden. »Es ist zunehmend schwierig, den Kunden auf dem Wochenmarkt zu erklären, warum unsere Produkte teurer sind als in den Biosupermärkten«, sagt sie im Gespräch mit der Jungle World. Dabei ist die Begründung eigentlich recht simpel: Andrea Koch und ihr Mann Marten weigern sich, dem Markt – und das sind nicht zuletzt die Supermärkte – Zugeständnisse zu machen. Sie möchten keine weiteren Kompromisse bei der Qualität ihrer Produkte, der umweltschonenden Aufzucht und beim Personal eingehen. Dies schlägt sich zwangsläufig in den Preisen nieder.
Die Kochs halten an den Prinzipien der Ökobewegung der siebziger Jahre fest, als mehrheitlich nicht nur eine ökologische, sondern auch eine soziale Lebensmittelproduktion angestrebt wurde. Doch solcherlei Produzentenromantik wird in Zeiten des Bio-Booms ins Abseits gedrängt. Ver­antwortlich dafür ist auch die Expansion der Biosupermarktketten.

Diese haben einen immer größeren Anteil am Wachstum des Biomarktes in Deutschland, dessen Anteil am gesamten Lebensmittelmarkt in Deutschland 2012 bei 3,9 Prozent lag. Wie die Agrarmarkt Informations-Gesellschaft heraus­gefunden hat, liegt der Hauptanteil des Gesamtumsatzes mit Bioprodukten zwar noch beim ­konventionellen Lebensmitteleinzelhandel, über den in den vergangenen zehn Jahren der Weg ­der Bioprodukte zum Massenkonsum führte. Von sieben Milliarden Euro Gesamtumsatz entfallen auf ihn 3,53 Milliarden Euro, also gut 50 Prozent. Der Naturkostfachhandel, zu dem Bioläden und Biosupermärkte gezählt werden, konnte in der letzten Zeit allerdings verlorenes Terrain zurückgewinnen. Auf ihn entfallen nun 2,21 Milliarden Euro beziehungsweise 31 Prozent.
Verantwortlich für diese Entwicklung sind vor allem die Biosupermärkte. Hier kaufen inzwischen 40 Prozent der Kunden Biolebensmittel ein, wie eine kürzlich veröffentlichte Studie feststellte, die vom Bundesverbraucherministerium in Auftrag gegeben wurde. Im Jahr zuvor waren es noch 36 Prozent. Die kleineren Bioläden geraten dabei, ebenso wie auch die Biolandwirtschaft, unter zunehmenden Preisdruck.
Die Biosupermärkte sind in der Lage, ein breites Sortiment verhältnismäßig kostengünstig an­zubieten. Doch durch die mittlerweile etablierte Massenproduktion nähern sich die Produktionsbedingungen in der Biobranche immer mehr denen der konventionellen Lebensmittelindustrie an. So berichtete Spiegel Online vorige Woche über alarmierende Zustände in norddeutschen Ställen, in denen massenhaft Puten für den Bioverband Naturland gezüchtet werden. Fotos zeigen die Tiere in einem erbärmlichen Zustand. Diese Bilder würden sich schon auf dem konventionellen Markt für Lebensmittel kaum verkaufsfördernd auswirken. Die Käufer eines Bioputenschnitzels dürften beim Griff ins Supermarktregal erst recht anderes im Sinn haben.

Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Arbeitsbedingungen in den Biosupermärkten. So berichtete die Taz zuletzt im Mai von rechtswidrigen Arbeitszeiten und Löhnen unter Tarif bei der Biosupermarktkette Denn’s. Diese wird immer wieder als der Discounter unter den Biosupermärkten bezeichnet. Dem Handelsblatt teilte der Mutterkonzern Dennree dann am 28. Mai mit: »Denn’s­­ etabliert sich derzeit im Markt. Das ermöglichte uns in 2012, vor allem die unteren Lohngruppen um bis zu zehn Prozent anzuheben, in 2013 ist eine weitere Erhöhung geplant.« Gegenüber der Jungle World ergänzte die Pressesprecherin Antje Müller am 4. September: »Unser Unternehmen gibt kein zentral gesteuertes System, wie beispielsweise einen Haustarif, vor. Dennoch haben wir eine schützende Funktion bei den Lohnverhandlungen zwischen dem Bewerber und dem Stellenverantwortlichen.« Gerade nach den Medien­berichten habe man mit großem Aufwand »das bestehende Lohngefüge ausgewertet und individuell angepasst«.

Diese Themen sind äußerst heikel für die Bio­branche. Denn auch wenn man inzwischen im Mainstream angekommen ist, so kann immer noch davon ausgegangen werden, dass nach wie vor idealistische Motive auf Seiten der Kunden eine große Rolle bei der Kaufentscheidung spielen. Eine Auswertung von Daten aus der »Nationalen Verzehrstudie II« ergab 2011, dass die »Biokernzielgruppe« insbesondere Frauen mit hohem Einkommen und hohem Bildungsgrad umfasst. Ein besonders wichtiges Motiv für den Kauf von Bioprodukten sei für sie der Altruismus. Der Gesundheit werde der Studie zufolge nur eine nachrangige Bedeutung beigemessen.
Auch wenn sich dieses Verhältnis mit dem Fortschreiten des Bio-Booms etwas relativieren dürfte, tut die Biobranche sicherlich gut daran, genau darauf zu achten, dass die Widersprüche zwischen sozial-ökologischer Ideologie und real existie­rendem Kapitalismus nicht allzu deutlich zutage treten.
Die Voraussetzungen für gewerkschaftliche Aktivitäten in der Branche sind eigentlich gar nicht so schlecht. Janet Dumann, die bei Verdi Berlin-Brandenburg für den Einzelhandel zuständig ist, kann im Gespräch mit der Jungle World allerdings wenig Positives zu vermelden. »Biosupermärkte und Tarif, das sind zwei Welten«, stellt sie ernüchtert fest. Bisher ist es Verdi in Berlin und Brandenburg nicht gelungen, einen Betriebsrat in einem Biosupermarkt zu etablieren. Auch eine Tarif­bindung existiert in diesem Bereich nicht. Dabei mangelt es durchaus nicht an Argumenten für eine gewerkschaftliche Organisierung. Der für den Einzelhandel geltende Tariflohn von 13,50 Euro werde nur in Ausnahmefällen gezahlt, so Dumann.
Viele Arbeiterinnen und Arbeiter würden im Gegenteil als Aushilfen deklariert und deshalb wesentlich weniger verdienen, obwohl sie die gleichen Arbeiten machen wie alle anderen. Doch dies scheint bislang nicht zu der Konsequenz zu führen, dass sich die Beschäftigten nennenswert für Verbesserungen einsetzen würden. Das Fehlen von Betriebsräten liege, so Dumann, noch nicht einmal darin begründet, dass die Geschäftsführer der Biosupermärkte alle Register zögen, um eine Wahl zu verhindern, wie es bei konventionellen Supermarktketten, wie Lidl, in der Vergangenheit immer wieder geschehen sei. Bei der Bio-Com­pany in Berlin etwa sei man schlicht am fehlenden Interesse der Beschäftigten gescheitert, bilanziert Dumann. Eine gewisse Identifikation mit dem Biounternehmen spiele dabei eine Rolle. Diese Art von Idealismus wird Andrea Koch, der Biobäuerin alter Schule, wohl weniger schmecken.