Berlin Beatet Bestes. Folge 213

An den Dreads herbeigezogen

Berlin Beatet Bestes. Folge 213. Desmond Dekker & The Aces: Isrealites (1968).

Ich sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik«. Dieser Satz zu meiner Person aus dem kleinen Infokästchen unten rechts stimmt eigentlich nicht. Reggae, Heavy Metal und elektronische Musik sammele ich nicht. Das liegt weniger an der Musik als vielmehr daran, dass ich nie viel mit den Leuten anfangen konnte, die sowas hören. Reggae war in den Achtzigern was für Hippies, Metal war der Punk der Doofen und elektronische Musik hörten Popper und Prolls. Tatsächlich befinden sich in meiner Sammlung ebenso die ersten Singles des Labels Mute wie die von Girlschool und Motörhead und sogar einige Rock Steady/Reggae-Singles der Upsetters, Destroyers und von Desmond Dekker. Es gibt ja gar keine schlechte Musik, aber es ist einfach lustiger, ganze Genres abzulehnen und zu ignorieren.
Apropos Reggae. Desmond Dekkers Titel »Isrealites« gehört zu den ersten Welterfolgen des Reggae und wie so oft, wenn es darum geht, ein Genre zu etablieren, kommt das Wichtigste zuerst. In diesem Song geht es also gleich um die Rastafari-Idee: »Get up in the morning,/slaving for bread, sir,/so that every mouth can be fed./Poor me, the Israelite. Aah.« Es ist zu bezweifeln, dass die Mehrheit der Hörer des Jahres 1968 den jamaikanischen Akzent Desmond Dekkers verstanden hat, geschweige denn, was Israel mit Reggae zu tun haben soll. Und ehrlich gesagt, ist die Sache auch ganz schön an den Haaren herbeigezogen. Rasta­faris sehen in Haile Selassie, dem letzten Kaiser Äthopiens, bürgerlich: Ras Tafari, ihren Mes­sias, der sie ins Rastafari-Paradies führt.
Als Selassie 1930 zum Kaiser gekrönt wurde, war er der einzige schwarze Monarch und Äthiopien das einzige freie Land im kolonialen Afrika. Damit war er natürlich der King der damals aufkommenden panafrikanischen Befreiungsbewegungen. Einige Jamaikaner, die an der Krönung teilgenommen hatten, waren sogar so außer sich vor Begeis­terung, dass sie kurz darauf in den Straßen Kingstons verkündeten, Haile Selassie sei der auferstandene Christus. Sie beriefen sich dabei auf das äthiopische Nationalepos »Kebra Nagast«. Dem Epos zufolge besuchte die äthio­pische Königin von Saba einst Salomon in Jerusalem, der ihren Sohn Menelik zeugte, den Stammvater der äthiopischen Könige. Die Äthiopier stammen demnach von den Israeliten ab und Haile Selassie, der in einer direkten Linie äthiopischer Monarchen in der Salomonischen Dynastie stehe, sei der Messias. Also: Rastafaris = Israeliten. Ja, ganz schön verschwurbelt, die Idee.
Als »Israelites« 1968 erschien, war die Rasta­fari-Bewegung gerade richtig in Fahrt gekommen. 100 000 Rastafaris waren am 21. April 1966 auf dem Flughafen in Kingston erschienen, als Haile Selassie Jamaika besuchte. Die Beachtung der Medien und Behörden, die der seit Jahrzehnten unterdrückten und verfolgten Bewegung damit erstmalig zuteil wurde, gab ihr enormen Auftrieb. In England war Desmond Dekker vor allem bei Mods und Skinheads beliebt. Er starb 2006 mit 64 Jahren ebendort.

Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com/) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.