Mexikanische Fußballprofis spielen lieber in den USA

Drei Pässe, eine Nationalmannschaft

Mexikanische Einwanderer sorgen für Erfolge der US-Fußball-Nationalmannschaft – während Mexiko noch nicht für die nächste WM qualifiziert ist.

Nach der 0:2-Niederlage gegen die von Jürgen Klinsmann trainierte US-Auswahl geriet Mexikos Fußball-Nationalmannschaft in die schwerste Krise seit Jahrzehnten. Die direkte Qualifikation für die WM-Endrunde im kommenden Jahr in Brasilien ist so gut wie verspielt; selbst das Erreichen der Ausscheidungsspiele gegen Ozeanienvertreter Neuseeland ist keineswegs sicher. Die US-amerikanischen Fußballer hingegen lösten ihr Endrundenticket vorzeitig. Alles richtig gemacht, könnte man sagen, wenn man Joe Benny Corona wäre. Der ist Fußballprofi beim mexikanischen Erstligaverein Xolos aus Tijuana und spielt für die Nationalmannschaft der USA.
Mexikaner oder US-Amerikaner? Diese Frage bekommt Corona oft zu hören. »Ich sage immer: beides. Denn ich habe beide Kulturen in mir«, erklärt Corona gegenüber der Los Angeles Times. Als Sohn eines mexikanischen Vaters und einer salvadorianischen Mutter in Los Angeles geboren, wuchs Corona in Tijuana auf. Seit er zehn ist, lebt er in San Diego, spricht perfekt Englisch und Spanisch. »Er isst Hamburger mit Reis und Bohnen, die ein bisschen scharf sind«, sagt Coronas Teamkollege in Tijuana, der mexikanische Nationalspieler Fernando Acre, um zu verdeutlichen, dass der 23Jährige in beiden Kulturen zu Hause ist.
Das Verhältnis der Nachbarländer USA und Mexiko ist spannungsgeladen und von einer Rivalität geprägt, die sich mehr und mehr auf den Fußball überträgt. Historisch betrachtet ist Mexiko die Fußballmacht in Nord- und Mittelamerika, aber diese Position wird dem Land immer mehr von den USA streitig gemacht. Im Juli hatte sich die Klinsmann-Elf bereits den Gold-Cup, die alle zwei Jahre ausgetragene Nord- und Mittelamerikameisterschaft, durch einen 3:1-Finalsieg gegen Panama gesichert. Mexiko war dagegen schon im Halbfinale ausgeschieden.
Damals standen im Aufgebot der USA fünf Spieler, die für mexikanische Clubs spielen und auch für Mexiko hätten auflaufen können: neben Joe Corona dessen Teamkollegen in Tijuana, Edgar Castillo und Hérculez Gómez, sowie Michael Orozco, der für Puebla auf Torejagd geht und José Francisco Torres, der bei Tigres UANL in Monterrey sein Geld verdient. Hinzu kommt der in der WM-Qualifikation eingesetzte Omar González von L.A. Galaxy. Sie alle wurden – als Söhne mexikanischer Eltern – in den USA geboren und besitzen beide Pässe.
Insgesamt leben schätzungsweise 34 Millionen Mexican-Americans nördlich des Rio Grande. Gerade vor dem Hintergrund der derzeitigen Debatte um die Reform der Einwanderungsgesetze in den USA, die rund elf Millionen »Papierlosen« in den kommenden Jahren zunächst eine reguläre Aufenthaltsgenehmigung und später sogar die US-amerikanische Staatsbürgerschaft bringen könnte, sind die mexikanisch stämmigen Fußballer in gewisser Weise ein »Barometer für Integration und Ausschluss von Minderheiten in der US-amerikanischen Gesellschaft«, schreibt Eva Saiz in der spanischen Tageszeitung El País.
Joe Corona beispielsweise hätte für drei Nationalteams spielen können. Im Jahr 2011 gab es eine Anfrage durch El Salvador, das Geburtsland seiner Mutter Janira. Corona aber sagte ab. Im Juli desselben Jahres erreichte ihn dann der Anruf des damaligen US-Nationaltrainers Bob Bradley, der ihn für eine Serie von Freundschaftsspielen nominieren wollte. Corona akzeptierte, zumal ein Einsatz bei einem Freundschaftsspiel noch keine endgültige Entscheidung für einen Verband bedeutete. Dazu müsste er ein offizielles Länderspiel mit einer A-Auswahl absolvieren. Einen Tag, nachdem er mit Bradley gesprochen hatte, wurde der Coach jedoch gefeuert. Und zwei Wochen später nahm Corona eine Einladung von Mexikos U22-Auswahl für die Vorbereitung zu den Panamerikanischen Spielen 2011 an. »Ich bin da hingefahren, aber es war einfach nicht, was ich erwartet hatte«, sagt Corona. Er wurde nicht ins endgültige Aufgebot für das Turnier berufen und sagte kurz darauf schließlich dem U23-Team der USA zu. »Ich wusste, das war eine große Gelegenheit für mich«, so der Spieler. »Und nachdem ich mich für die USA entschieden hatte, war das alles, was ich wollte.«
Mitte 2012 berief ihn der neue US-Nationaltrainer Jürgen Klinsmann schließlich ins ­A-Team. Gerade mal eine Minute stand Corona dann beim WM-Qualifikationsspiel gegen Gua­temala im Oktober vergangenen Jahres auf dem Platz – aber diese 60 Sekunden reichten aus, um ihn permanent an die US-Auswahl zu binden. Seitdem wird der Mittelfeldspieler regelmäßig berufen und beim 4:1-Sieg gegen Kuba in der Vorrunde des Gold-Cups erzielte Corona mit einem sehenswerten Treffer zur 2:1-Führung sogar sein erstes Tor im Nationaldress, dem er ein weiteres ausgerechnet gegen El Salvador folgen ließ. »Joe hat viel Potential, und langsam zeigt er das mehr und mehr«, sagte Klinsmann nach dem Kuba-Spiel und zeigte sich überzeugt, dass Corona sich weiterentwickeln werde.
Auch Coronas Teamkollege in Tijuana und in der US-Auswahl, Edgar Castillo, drehte einige Runden, ehe er schließlich im US-Dress landete. Er hatte diverse Juniorennationalmannschaften Mexikos durchlaufen, entschloss sich aber, nachdem die FIFA 2009 die Regel geändert hatte, nach der ein Verbandswechsel nur bis zum 21. Lebensjahr möglich war, künftig für die USA aufzulaufen. In Mexiko beschimpften ihn daraufhin Presse und Fans als »Verräter«. Castillo hat dem Land einiges zu verdanken. Lange vom US-Verband verkannt, war er auf Anraten seines Vaters Carlos nach Mexiko gewechselt. Dort gelang »El Gringo«, wie ihn seine Mitspieler bei seinem ersten Verein Santos Laguna nannten, schließlich der Durchbruch.
Gerade im US-Jugendfußball gibt es viele Latinos. Das ist kein Zufall: In Lateinamerika ist Fußball mit Abstand der populärste Sport. Nach und nach finden sie nun ihren Weg in die Auswahlmannschaften der USA. Bei der vor wenigen Monaten ausgetragenen U20-CONCACAF-Meisterschaft, die gleichzeitig als WM-Qualifikation galt, standen in der US-Auswahl im Finale gegen Mexiko allein sieben hispanoamerikanische Spieler in der Anfangsformation. In der Presse wurde deshalb schon von einem Duell Nord- gegen Süd-Mexiko gewitzelt.
Dabei zeigen die Beispiele Corona und Castillo auch, dass es gerade Migrantenkinder im US-Fußball nicht leicht haben. Beide haben zwar ihre fußballerische Grundausbildung in den USA genossen, sind aber erst in Mexiko zu wirklich guten Spielern gereift. In den USA hatten sie einfach keine Chance bekommen. Das hat auch mit strukturellen Hürden im US-Spitzensport zu tun, der sich aus dem Highschool- und vor allem Collegesport rekrutiert. Latinos aber sind in höheren Bildungsinstitutionen gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil weiter unterrepräsentiert. Es sind in erster Linie Kinder der weißen Mittelschicht, die die US-Colleges bevölkern. Anders als in den »großen vier Sportarten« – American Football, Baseball, Basketball und Eishockey – gibt es beim »Soccer« kein wirkliches Scouting-System, das auch talentierte Spieler aus sozial schwachen Familien mit Stipendien ans College bringt. Edgar Castillo, Highschool-Phänomen in Las Cruces, wäre deshalb eventuell auf der Strecke geblieben, hätte er nicht südlich der Grenze eine Chance bekommen.
Die mexikanische Migration in die USA hat schon immer eine Hin- und Rückbewegung gekannt. Auch viele mexikanisch-stämmige US-Fußballer, wenn sie beide Pässe besitzen, bewegen sich zwischen beiden Ländern hin und her. Die Grenze wird bildlich gesprochen durchlässiger. Und so prägt die Immigration geschaffen hat, auch auf das fußballerische Ambiente. Spieler wie Joe Corona oder Edgar Castillo vereinen die Gegensätze zwischen familiärer (mexikanischer) Erziehung und der (us-amerikanischen) Kultur, in der sie groß geworden sind, und werden so zu Vorbildern für viele Einwanderer – nicht nur im Sport. Es scheint, als ob die Kinder der Einwanderer aus dem Süden nun endlich auch im US-Nationalteam ankommen.