Haushaltsstreit in den USA

Jeder für sich allein

In den USA eskaliert der Streit um Haushalt und Schulden, weil Republikaner und rechte Unternehmer jede Form sozialer Absicherung bekämpfen wollen.

Mehr als zwei Wochen nach dem Beginn des shutdown, der vorübergehenden Schließung zahlreicher US-Behörden, wird weiterhin darüber gerätselt, was genau die Republikaner wollen und wie weit sie gehen werden, um es zu erreichen. Sicher jedoch ist, dass es etwas mit den Staats-, vor allem den Sozialausgaben zu tun hat und dass die Gesundheitsreform »Obamacare« dabei eine wichtige Rolle spielt.
Von ihr würden vor allem jene profitieren, »die geringere Löhne haben und in Kleinbetrieben beschäftigt sind«, sagt die Soziologin Theda Skocpol. Das sind nicht zuletzt weiße Lohnabhängige mittleren Alters aus ländlichen Gebieten – eine der Kerngruppen der Tea-Party-Be­wegung, die die Reform vehement ablehnt. Der Unternehmer John Arensmeyer, Gründer und CEO der Lobby­organisation Small Business Majority, befürwortet hingegen die Reform, da sie Kleinunternehmen mit einer betrieblichen Krankenversicherung entlaste, die bislang den Ruin fürchten mussten, wenn beispielsweise das Kind eines Mitarbeiters an Diabetes erkrankte und die Versicherung die Prämien für den Betrieb erhöhte. Überdies wird in Zukunft niemand mehr den Versicherungsschutz verlieren, wenn er den Betrieb wechsle oder sich selbständig mache.
Mehr Flexibilität der Lohnabhängigen wünschen sich auch Großunternehmen. Schätzungen zufolge könnten 1,5 Millionen neue Kleinbetriebe entstehen, überdies könnte eine bessere Gesundheitsversorgung die Produktivität steigern. Weiterhin wird das Geschäft mit der Krankheit dem profitorientierten medizinisch-industriellen Komplex überlassen. Die Versicherungskonzerne unterliegen nun zwar strengeren Regeln wie dem Verbot, Krebskranken die Versorgung zu entziehen. Deren Wirksamkeit aber muss erst in einer Vielzahl von Prozessen erprobt werden. Nicht zuletzt kann die Versicherungsbranche sich auf mehr als 30 Millionen neue Kunden freuen.
»Obamacare« ist ein Fortschritt, auch wenn Schätzungen zufolge 20 Millionen Staatsbürger sowie Millionen Illegalisierte vom Versicherungsschutz ausgeschlossen bleiben. Ökonomisch betrachtet handelt es sich aber vor allem um eine wichtige Maßnahme kapitalistischer Modernisierungspo­litik, die zu unterlassen sich die USA im globalen Produktivitätswettbewerb kaum leisten können. Doch ein versicherter Lohnabhängiger ist auch ein selbstbewussterer Lohnabhängiger, der eher bereit ist, für seine Rechte zu kämpfen und den die Drohung, ent­lassen zu werden, wenn er in die Gewerkschaft eintritt, weniger beeindruckt. Überdies gilt »Obamacare« den Republikanern als Einstieg in eine staatliche Sozialpolitik, die auch in anderen Bereichen den Schrecken der Erwerbslosigkeit mindern würde. Nicht zuletzt die Angst vor dem sozialen Absturz sorgte dafür, dass der gewerkschaftliche Organisationsgrad in der Privatwirtschaft unter acht Prozent sank.
Während Präsident Barack Obama, unterstützt von den Gewerkschaften, den ideellen Gesamtkapitalisten gibt, will offenbar eine Fraktion der US-Bourgeoisie, unterstützt von reaktionären Arbeitern, mit Hilfe der Republikaner die Atom­isierung der Lohnabhängigen um jeden Preis durchsetzen. Beim shutdown und dem Streit um die Anhebung der Schuldenobergrenze geht es um Klassenkampf, aber die Fronten sind verworren.