Der Dollar nach dem Haushaltsstreit in den USA

Taumelnd, aber nicht fallend

Der Haushaltsstreit in den USA hat die Defizite der weltgrößten Ökonomie aufgezeigt – gleichzeitig aber auch ihre ­Dominanz.

Selten wagt sich die chinesische Regierung auf außenpolitischem Terrain aus der Deckung. Und wenn, dann wird dies zumeist durch Stellungnahmen aus der zweiten Reihe vorbereitet, die die Reaktionen testen sollen. So auch auf dem Höhepunkt der Haushaltskrise in den USA. Überraschend war aber der relativ aggressive Tonfall, mit dem ein Beitrag eines weitgehend unbekannten Mitarbeiters der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua aufwartete, hinter dem man die Regierungslinie mehr als vermuten darf, und in dem der Aufbau einer »entamerikanisierten Welt« verlangt wird. Neben dem Ende der »Dominanz der USA in den globalen Beziehungen« werden vor allem »substantielle Reformen« des Weltfinanzsystems gefordert. Zum einen soll dem Bedeutungsgewinn der Schwellenländer in den Institutionen der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF) Rechnung getragen werden, zum anderen sei es Zeit für die »Einführung einer neuen Weltreservewährung«, die den US-Dollar ablösen und die internationale Gemeinschaft dauerhaft vor den Folgen der politischen Turbulenzen in den USA bewahren soll.
Nun sind beide Forderungen nicht neu oder gar überraschend. Bereits 2010 hatte der frühere chinesische Zentralbankvorsitzende, Dai Xianglong, die Ersetzung des Dollars als internationalem Zahlungsmittel und Reservewährung angemahnt. Seitdem reißen diese Forderungen nicht ab. Und die Zurückdrängung des Einflusses der USA in den internationalen Finanzinstitutionen gehört traditionell zum Kanon der Außenpolitik des ehemaligen selbsternannten Sprechers der Entwicklungsländer, als der sich China im Selbstverständnis der Mao-Ära und, wenn es gerade passte, auch danach gelegentlich noch sah. Von einer »Entamerikanisierung« der Welt zu sprechen, stellt aber eine verbale Eskalation dar, die sich die chinesische Führung bisher nicht gestattete; zumindest nicht, seit Deng Xiaoping und nach ihm Hu Jintao die Außenpolitik ihren Verlautbarungen zufolge auf »Frieden und Harmonie« mit der Supermacht jenseits des Pazifik ausrichteten.
Langsam aber taumelt der weltpolitische Koloss und lädt damit zu unverhohlener Kritik geradezu ein. Zwar konnte die US-Regierung in der vergangenen Woche einen Kompromiss zur Beilegung des Haushaltsstreits präsentieren, und po­litisch und vor allem militärisch ist das Zeitalter der Pax Americana noch lange nicht Geschichte, aber wirtschaftlich sind die Schwächen unübersehbar geworden. Während nach dem Zweiten Weltkrieg noch über die Hälfte der globalen Wertschöpfung in den USA stattfand, produzierten sie in den achtziger Jahren nur noch gut ein Viertel der weltweiten Güter und Dienstleistungen. Derzeit sind es deutlich weniger als ein Fünftel.

Vor allem aber das Haushaltsdefizit verdeutlicht die Schwäche der US-amerikanischen Nationalökonomie. Im Haushaltsjahr 2012 überstieg das Defizit des Staatshaushalts mit 1,1 Billionen Dollar zum vierten Mal in Folge die Billionen-Grenze. Insgesamt summiert sich die Staatsverschuldung auf über 16,7 Billionen US-Dollar. Mit Ausnahme der Jahre 1998 bis 2001 wiesen die USA seit Mitte der siebziger Jahre keinen ausgeglichenen oder gar positiven Bundeshaushalt mehr aus. Nicht besser steht es um die Außenhandelsbilanz des Landes, das seinen Siegeszug einst als Exportweltmeister im späten 19. Jahrhundert begann. Die letzten Exportüberschüsse konnte die US-Ökonomie 1975 verzeichnen. In den 15 Jahren vor der Krise, zwischen 1991 und 2006, waren die Leistungsbilanzdefizite von 0,5 auf 5,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts pro Jahr gestiegen. Zwar hat sich diese Rate durch die Bemühungen um Reindustrialisierung seit der Krise reduziert, aber auch in den vergangenen Jahren betrug das Defizit stabil zwischen 300 und 400 Milliarden Dollar jährlich. Und auch die Berechnungen des US-Handelsministeriums für das erste Quartal 2013 weisen wieder ein Minus von 106,2 Milliarden Dollar aus.
Keine andere Nationalökonomie der Welt könnte eine solche Entwicklung langfristig durchstehen. Dass sich die USA trotz allem als bedeutendste Wirtschaftsmacht und vor allem als Anziehungspunkt des globalen Kapitals behaupten können, liegt nicht zuletzt an der Reserve- beziehungsweise Leitwährungsfunktion des US-Dollars begründet. Dies bedeutet, dass die USA sich in der Währung verschulden können, die ihre eigene Zentralbank emittiert. Zudem ist der Inflationsdruck auf die Währung geringer als auf die anderer Staaten, weil sie neben der Größe der heimischen Ökonomie auch den Umfang des Welthandels repräsentiert. In der jüngeren Vergangenheit haben die USA daher ausgesprochen unwirsch auf alle Versuche reagiert, den internationalen Handel, vor allem den von Rohstoffen, in anderen Währungen abzurechnen. Saddam Hussein, der angedroht hatte, irakisches Öl künftig gegen Euro zu verkaufen, könnte, wenn er noch leben würde, ein Lied davon singen.

Dennoch wird der Dollar als Leitwährung langsam abgelöst – und China ist daran maßgeblich beteiligt. Die Handelsbeziehungen zu Russland werden schon seit geraumer Zeit in Rubel und Yuan abgewickelt. Derzeit verhandeln China und der Iran über ein Handelssystem, in dem Erdöl und Industriegüter in Goldwerte umgerechnet und anschließend über die jeweiligen Währungen abgerechnet werden sollen, wie es die Islamische Republik und Russland schon seit längerem praktizieren. Auch mit Japan, Malaysia und Südkorea will die chinesische Regierung künftig in den jeweiligen Landeswährungen handeln. China und die Vereinigten Arabischen Emirate ­hatten im vorigen Jahr bereits ein Abkommen bekannt gegeben, nach dem der Yuan für den Handel mit Erdöl benutzt wird. Die chinesische Nationalbank teilte mit, dass dieses Abkommen im Wert von rund 5,5 Milliarden Dollar getroffen wurde, um »die finanzielle Zusammenarbeit zu stärken, Handel und Investitionen zu fördern und um beiderseits die finanzielle Stabilität der Region zu sichern.« Einige Staaten in Afrika legen ihre Währungsreserven bereits jetzt in der chinesischen Währung an. Zudem hatten sich die Länder der BRICS-Gruppe – Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika – bei ihrem Gipfeltreffen in Sanya (China) im vergangenen Jahr darauf geeinigt, zumindest gegenseitige Kreditlinien in den jeweiligen Währungen einzurichten.
Auch international wird die Kritik lauter. Die Konferenz der Vereinten Nationen über Handel und Entwicklung hatte im vergangenen Sommer festgestellt, dass »das derzeitige System von Währungen und Kapitalbestimmungen, das die Weltwirtschaft bindet, nicht richtig funktioniert und weitgehend für die finanziellen und wirtschaftlichen Krisen verantwortlich war« und dass »der Dollar durch eine Weltwährung ersetzt werden sollte«. Selbst der IWF hatte schon 2010 die Ablösung des Dollars als Weltreservewährung durch ein System von speziellen Ziehungsrechten unter der Bezeichnung SDR in Erwägung gezogen, einer 1969 geschaffenen internationalen Währungsvariante, die im Prinzip ein Korb nationaler Währungen ist. Zwar wurden nach Angaben einer Studie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) von 2012 im Jahr 2010 noch 85 Prozent der Währungsgeschäfte in Dollar abgerechnet, allerdings seien dies fünf Prozentpunkte weniger als noch zehn Jahre zuvor. »Der langsame Niedergang des Dollars setzt sich fort«, heißt es in der Studie.
Herbert Walter, von 2003 bis 2009 Vorsitzender der Commerzbank, geht noch einen Schritt weiter. In einer Kolumne für das Handelsblatt weist er nicht ohne Häme auf die »erstaunlichen gesamtwirtschaftlichen Parallelen« zwischen der Situation der USA nach dem Zweiten Weltkrieg, als der Aufstieg zur Hegemonialmacht begann, und dem heutigen China hin: »Exportweltmeister mit hohem Leistungsbilanzüberschuss, geringes Haushaltsdefizit und relativ niedrige Staatsverschuldung. Von all dem gilt nichts mehr für die USA und alles für China.« Sollte die Reservewährung fallen, so Walter weiter, würde das vermutlich »das Ende für die USA als Weltmacht Nummer eins« bedeuten.

Immerhin aber halten die USA noch einen mächtigen Trumpf in ihren Händen. Denn der Fall des Dollars würde auch den Wert der Währungsreserven anderer Staaten schmälern. Allein China soll nach Schätzungen annähernd drei Billionen Dollar an Reserven angehäuft haben. Zudem hält die Nationalbank in Peking US-Staatsanleihen im Wert von 1,277 Billionen Dollar und ist damit der größte ausländische Gläubiger der USA. Einen Verfall dieser Werte zu riskieren, übersteigt sicherlich das Vorstellungsvermögen selbst der aggressivsten Verfechter eines konfrontativen Kurses gegenüber den USA, deren Importpotential auch den chinesischen Exportboom stützte. So erklärt sich auch die relative Ruhe an den Finanzmärkten während der US-Haushaltskrise und die unveränderte Höchstbewertung der Kreditwürdigkeit der USA durch die großen Rating-Agenturen, die medial teilweise mit Staunen zur Kenntnis genommen wurde.
Langfristig aber dürften auch die USA nicht an der Reorganisation ihrer Wettbewerbsfähigkeit, also weiteren sozialen Angriffen, vorbeikommen. Vor dem Hintergrund eines schwächelnden Dollars, der die Exportchancen amerikanischer Produkte erhöht, hatten die USA, spektakulär eingeleitet durch die Förderung des Fracking, dabei bereits in den vergangenen Jahren eine Politik der Reindustrialisierung eingeleitet. Nachdem in den USA im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends sechs Millionen Industriearbeitsplätze verloren gegangen waren, hat sich der Trend 2011 erstmalig wieder umgekehrt und seitdem verstärkt. Der Haushaltskompromiss könnte dabei ein weiterer Baustein sein, um nach dem Vorbild der »Exportweltmeister« China und Deutschland auch den Druck auf die Löhne in den USA zu erhöhen. Auf einer Pressekonferenz hat US-Präsident Barack Obama den Kurs bereits skizziert: »Ich habe in meinem Haushaltsentwurf Vorschläge gemacht, wie die Sozialprogramme langfristig gekürzt und unsere Steuerpolitik so reformiert werden können, dass die Unternehmen entlastet werden.«