Massi Mrowat im Gespräch über sein Leben als Schauspieler in Afghanistan und Deutschland

»Das größte Problem ist Unsicherheit«

Massi Mrowat ist 19, kommt aus Afghanistan und lebt seit drei Jahren mit seiner Familie in Berlin, wo er dieses Jahr sein Abitur gemacht hat. Seit seinem Schauspieldebüt in dem Film »Stein der Geduld«, nach dem gleichnamigen Roman von Atiq Ra­himi, der ihn auch selbst verfilmt hat, wird Mrowat in Afghanistan mit dem Tode bedroht und hat in Deutschland einen Antrag auf Asyl gestellt. Mrowat träumt davon, nach seinem Studium die politische Situation in Afghanistan zu verbessern. Mit ihm sprach die Jungle World über die Reaktionen auf den Film und seine Erfahrungen in Afghanistan und Deutschland.

Sie standen in »Stein der Geduld« das erste Mal vor der Kamera. Wie kamen Sie zu diesem Projekt?
Seit meiner Kindheit war es mein Traum, der Welt zu zeigen, was ich mit meinen eigenen Augen gesehen und erfahren habe. Dass ich dann in einem Film über Afghanistan mitspielen durfte, war eine großartige Chance, fast schon wie ein Wunder. Ich bekam eines Tages eine E-Mail von Razor Film, die nach einem afghanischen Schauspieler gesucht haben. Später wurde ich dann von Atiq Rahimi, dem Regisseur, nach Frankreich eingeladen und erfolgreich gecastet.
In dem Film erzählt eine junge Afghanin ihrem im Wachkoma liegenden alten Ehemann von ihrem Leid und ihren Wünschen. Sie haben eine schwierige Rolle. Sie spielen einen Taliban-Kämpfer, der sehr jung und unsicher ist und stottert und mit dem die Protagonistin eine ­Beziehung beginnt. Er ist eigentlich hilflos, aber immer noch ein Mann und hat mehr Macht als sie. Schließlich vergewaltigt er sie.
Es war schwer für mich, diesen jungen Soldaten zu spielen, weil er in dem Film nie eine Familie gehabt hat. Er wurde einfach aus seinem Dorf gerissen und ist unter einem Kommandanten großgeworden. Es wird dann deutlich, dass er noch nie in seinem Leben zuvor eine Frau gesehen hat, weswegen er sie auch so erstaunt ansieht. Der junge Soldat hat auch nie in seinem Leben Vertrauen erfahren, weder von seinen Eltern noch sonst jemandem. Deswegen findet er bei der Frau eine andere Welt und besucht sie immer wieder.
Haben Sie schon immer davon geträumt, Schauspieler zu sein?
Schauspiel ist nicht mein eigentlicher Traum, aber es war immer mein Traum, etwas für die Menschenrechte, besonders die Frauen- und Kinderrechte, in Afghanistan zu tun. Mein Traum ist, für Gerechtigkeit in Afghanistan zu kämpfen.
Was kann der Film für die Menschrechte tun?
Durch die Teilnahme am Film wollte ich zeigen, wie Frauen und Kinder in Afghanistan unter der schwierigen Situation leiden, obwohl es in der Realität oft noch wesentlich schlimmer ist. Im Film wird nur ein Bruchteil davon gezeigt. Frauen leiden unter vielen Problemen in Afghanistan, zum Beispiel der Kinderheirat. Viele Frauen werden schon mit elf oder zwölf Jahren verheiratet und vergewaltigt.
Nachdem der Film fertig war, haben Sie einen Asylantrag gestellt, weil Sie nicht zurück nach Afghanistan können. Was genau ist der Grund dafür?
Mein Vater hat als Diplomat in der afghanischen Botschaft in Deutschland gearbeitet, weswegen ich mit meiner Familie vor drei Jahren nach Deutschland gekommen bin. Als der Film in die Kinos kam, habe ich direkt und indirekt Drohungen erhalten, so dass meine Familie und ich nicht nach Afghanistan zurückgehen konnten. Der Film hat es über illegale DVD-Kopien nach Afghanistan geschafft. Dort hat die Regierung eine Veröffentlichung nicht erlaubt, es heißt, der Film stelle einen Verstoß gegen die Traditionen des Landes dar. Allerdings haben praktisch alle meine Verwandten in Afghanistan meinen Film gesehen und hatten positive und negative Meinungen zu dem Film und zu mir.
Was haben sie kritisiert?
Naja, es ging um die Vergewaltigungsszene und andere Szenen, in denen viel Nacktheit gezeigt wird. Und das ist schon gegen die Traditionen.
Welche Reaktionen waren es, deretwegen Sie nicht zurück nach Afghanistan konnten, und wie fing das an?
Es fing langsam an, nachdem der Film in Kanada Premiere hatte. Menschen, die mich gar nicht kannten, haben mir online Drohungen geschickt. Das waren Warnungen, Vorwürfe, dass ich in dem Film mitgespielt habe, und ich wurde sogar als Kommunist beschimpft, denn Kommunisten haben einen schlechten Ruf in Afghanistan. Später gab es dann konkrete Morddrohungen. Dann habe ich mit meinen Verwandten in Afghanistan Kontakt aufgenommen und sie haben die Reaktionen bestätigt. Als ich sie gefragt habe, ob ich wieder zurück nach Afghanistan kommen könne, meinten sie: »Wenn du von deinem Leben genug hast, dann kannst du kommen.« Es gibt sogar Gerüchte, dass ich es, wenn ich nach Afghanistan käme, nicht weiter als bis zum Flughafen schaffen würde.
Was genau wird an Ihrer Rolle kritisiert?
Der Vorwurf lautet, dass es ein Verstoß gegen den Islam und die Traditionen in Afghanistan ist.
Sind Sie denn mit dem Islam aufgewachsen?
Ich bin Muslim und bin in einer muslimischen Familie aufgewachsen, war als Kind in der Moschee und habe gelernt, den Koran zu lesen und zu beten.
Gehen Sie heute noch in die Moschee und leben nach den Regeln des Islam?
Wie ich erwähnt habe, bin ich Muslim und glaube an meine Religion. Wenn ich Zeit habe, besuche ich auch die Moschee.
Sind nach den Reaktionen auf den Film bei Ihnen Zweifel am Islam aufgekommen?
Nein, denn das, was die Fundamentalisten in Afghanistan machen, hat nichts mehr mit dem Islam zu tun. Sie machen das genaue Gegenteil, nämlich das, was der Islam verboten hat. Sie nutzen den Islam zu ihrem eigenen Vorteil aus. Im Koran steht nicht, dass man seinen Bruder töten soll, weil man dann ins Paradies kommt. Ein großer Teil der afghanischen Bevölkerung ist analphabetisch und die glauben einfach, was der Mullah sagt. Diejenigen, die den Islam zu ihrem eigenen Vorteil ausnutzen, werden oft von außen bezahlt und unterstützt. Meiner Meinung nach sind sie weder Muslime noch Afghanen. Viele akzeptieren einfach, was der Mullah sagt, weil sie den Koran nicht lesen, seine Bedeutung nicht verstehen und den Islam nicht richtig interpretieren können. Es gibt nur wenige, die das verstehen können, aber diese Leute verstehen auch meinen Film, sie unterstützen die Geschichte und meine Rolle.
Was ist seit Ihrem Asylantrag in Deutschland geschehen?
Wir haben ihn vor vier Monaten gestellt, mussten dann sofort aus unserer Wohnung ausziehen und sind in ein Asylantenheim gekommen. Für mich war die Lage nicht sehr gut, weil wir zu sechst in einem Zimmer wohnen mussten und die sanitären Einrichtungen auch nicht sonderlich gut waren. In dem Asylantenheim in Berlin-Charlottenburg wohnten wir mehr als drei Monate. Wir durften das Heim zwar verlassen, aber wir mussten nachts wieder da sein. Als wir dann aber von unseren Problemen im Heim erzählt haben, durften wir uns wieder eine Wohnung suchen und haben dann auch schnell eine gefunden. Jetzt teile ich mir ein Zimmer mit meinem älteren Bruder und unsere Situation ist wesentlich besser geworden.
Nach Angaben von Pro Asyl werden 84 Prozent aller Asylanträge in Deutschland abgelehnt. Wollen Sie durch die Medien mehr Aufmerksamkeit erzeugen?
Ich werde das auf jeden Fall versuchen. Erst einmal hoffe ich, dass mein Asylantrag in Deutschland angenommen wird und ich hier bleiben kann und nicht zurück nach Afghanistan muss. Ich will auf jeden Fall hier studieren und mich weiterbilden und dann meinen richtigen Kampf gegen Probleme in Afghanistan anfangen.
Wie sieht Ihr Alltag gerade aus?
Momentan darf ich wegen des Asylantrags gar nichts machen. Ich darf mich nicht um ein Stu­dium bewerben, nicht arbeiten, ich darf gar nichts machen. Ich kann zu Hause bleiben und Bücher lesen. Tagsüber bin ich meistens in der Bibliothek und lese.
Was für Erinnerungen haben Sie an Afghanistan?
Ich bin während des Kriegs geboren und großgeworden. Ich habe alles erlebt. Ich habe gesehen, wie die Raketen über meinen Kopf geflogen sind, und ich habe die Bürgerkriege miterlebt. Mein Leben ist durch Krieg gekennzeichnet. Ich habe gesehen, wie Frauen, Kinder und Zivilisten durch den Krieg zwischen Mujaheddin-Gruppen in Afghanistan getötet, vergewaltigt und entführt wurden. Die Mujaheddin sind immer noch an der Macht, und wenn jemand etwas gegen sie unternimmt, wird er einfach so erledigt.
Sehen Sie irgendeinen Ausweg aus dieser Situation?
Ich glaube schon daran, dass Afghanistan irgendwann einmal von den Fundamentalisten befreit wird. Bald sind wieder Wahlen und ich hoffe, dass Afghanistan eine demokratische Regierung bekommt. Die Fundamentalisten haben noch die Macht in Afghanistan. Die Machthaber reden theoretisch über Demokratie, aber in der Praxis haben sie dabei Waffen in der Hand und machen, was sie wollen.
Unternimmt die Regierung unter Hamid Karzai etwas gegen die Fundamentalisten und die Macht der Warlords?
Die Regierung in Afghanistan geht nicht stark genug gegen die alten Fundamentalisten vor. Sie tut schon etwas, aber nicht genug, um die Fundamentalisten ganz zu beseitigen.
Was ist derzeit das größte Problem in Afghanistan? Die Unterdrückung der Frauen, um die es ja im Film geht?
Das größte Problem in Afghanistan ist Unsicherheit. Vor allem in Südafghanistan können viele Frauen und Kinder nicht aus dem Haus gehen. Sie haben Angst vor Entführungen, vor Bombenanschlägen, vor Säureanschlägen. Und ein großes Problem für die Frauen sind zudem die Richter, die meistens Männer sind.