Theorie und Praxis der Permakultur

Regenwürmer dringend gesucht

Die Ertragsfähigkeit von Böden hat vielerorts ihr Maximum erreicht. Eine Alternative könnte das Konzept der Permakultur bieten, das sich unter anderem auf die Erhaltung fruchtbaren Bodens konzentriert.

Das Konzept der Permakultur, Mitte der siebziger Jahre für die Landwirtschaft entwickelt, versucht, auf eine mißliche Lage zu antworten. Die globalen Ernteerträge begannen in jenen Jahren zu stagnieren und auf den Äckern nahm die Erosion der Böden im Verhältnis zur Neubildung fruchtbarer Erde bedrohliche Ausmaße an. Dass Böden schneller erodieren, das heißt, ihrer Nährstoffe beraubt austrocknen, als sie sich erneuern, war spätestens seit Charles Darwins letztem Buch über »Die Bildung der Ackererde durch die Tätigkeit der Regenwürmer« bekannt. Beziehungsweise: hätte bekannt sein können. Da Darwin in der Arbeit, die seine lebenslangen Beobachtungen zu Böden in seinem Garten und auf Äckern zusammenfasste, den Regenwürmern einen entscheidenden Anteil an der Fruchtbarkeit der Erde zuschrieb, hielten ihn viele für einen Irren, der besessen sei von der Vorstellung, das Werk von Würmern könne zu irgendetwas gut sein.
Heute weiß man, dass Darwin mit so ziemlich allem, was er in diesem Werk publizierte, nicht nur recht hatte, sondern seiner Zeit weit voraus war. Ein zentraler Gedanke seines Werks bestand darin, die Böden in ihrer Anpassung an ihren jeweiligen Standort und dessen klimatische Bedingungen zu verstehen. Böden waren demnach ähnlich individualisiert wie die Lebewesen in ihren Umgebungen. Auf den heutigen Stand der Wissenschaften gebracht bedeutet das, dass Böden eben keine chemischen Reaktoren sind, die man überall mit den gleichen Methoden beackern kann, sondern biologische Systeme mit mehr oder weniger vergleichbaren örtlichen Eigenschaften.

Damit hat man die Grundannahme des von David Holmgren und Bill Mollison entwickelten Permakulturkonzepts benannt, für das Mollison 1981 mit dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Was so einfach klingt, ist aber alles andere als einfach. Wenn man es auf eine Formel bringen will, handelt es sich um eine agrarökologische Auffassung, die eine Landwirtschaft nach dem Ende der Landwirtschaft ermöglichen will. Die Permakultur entspricht damit genauso wenig einfach nur einer Rückkehr zu alten, arbeitsintensiven Verfahren des Ackerbaus wie einer Rettung des alten Standes der Bauern. Sie ist auch nicht chemie- oder technikfeindlich, sondern ganz im Gegenteil in ihren Analysen hochtechnisch. Um nämlich überhaupt die Spezifität eines Bodens erfassen zu können, bedarf es modernster Verfahren. Theo­rien, Methoden und Ergebnisse aus Systemtheorie, Kybernetik und Ökologie kommen in der Permakultur zur Anwendung. Rückwärtsgewandt ist die Permakultur nur insofern, als sie alte Ackerbautechniken – seien es ausgestorbene, wie die der Mayakultur, oder noch prakatizierte, scheinbar archaische Methoden, wie die afrikanische Vielfelderwirtschaft – nicht ausschließt, sondern sie auf ihre Brauchbarkeit hin überprüft. Das gilt auch für die Räume, die die Permakultur in die landwirtschaftliche Nutzung einbezieht. Die sogenannte urban agriculture, der landwirtschaftliche Anbau in Städten, gehört zur Permakultur wie der Entwurf und die Gestaltung ganzer Stadtviertel unter dem Aspekt eines nicht nur verbrauchenden Energiehaushalts.

In die urbane Landwirtschaft sind heute weltweit über 800 Millionen Menschen eingebunden. Neu ist das Phänomen der Landwirtschaft in Städten nicht. In der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden in Paris auf einem Sechstel der Stadtfläche Obst und Gemüse angebaut. Der Bedarf der Stadt konnte damit fast vollständig gedeckt werden und die arbeitsintensiven Betriebe waren produktiver als viele moderne Landwirtschaftsbetriebe. Allerdings basierten sie auf einem heute ausgestorbenen Dünger: Genährt wurden die städtischen Gärten vom in großen Mengen anfallenden Dung der Pferde, dem wichtigsten Transportmittel damals. Ein Dünger, der so nicht wiederkommen wird, was auch den Anhängerinnen und Anhängern der Permakultur klar ist. Es geht ihnen um etwas anderes: um die Tatsache, dass Böden nicht deshalb, weil sie in Städten liegen, der Produktion von Nahrungsmitteln entzogen sind und auch nicht entzogen werden sollten. Gerade in Städten lassen sich bisher ungenutzte Flächen finden, die eine andere als die gängige industrielle Nutzung zulassen. Das mag zwar kleinkariert klingen, ist aber nicht nur für Praktizierende der Permakultur eine Möglichkeit, die Verluste an Ackerflächen durch Erosion in gewissem Maße zu kompensieren.
Der Geologe David R. Montgomery sieht im städtischen Ackerbau eine der wenigen Möglichkeiten, ohne Landexpansion neue Räume für den steigenden Nahrungsmittelbedarf zu finden. Montgomery hat in seiner Studie »Dreck. Warum unsere Zivilisation den Boden unter den Füßen verliert« sehr genau gezeigt, dass kaum eine Gesellschaft in der Geschichte darauf geachtet hat, ihren Boden langfristig zu erhalten. Das System der landwirtschaftlichen Produktion war fast ausnahmslos immer und überall auf Ausbeutung und Expansion angelegt. Und im 20. Jahrhundert hat dieser Prozess bisher nie gekannte Ausmaße erreicht. Mit dem Bevölkerungswachstum auf der Erde stieg auch die Agrarproduktion rasant.
Bis 1950 basierte die Steigerung der Agrarproduktion vor allem auf der Ausweitung der Ackerflächen und verbesserter Bodenbehandlung, und danach, in den Jahren bis 1970, vor allem auf der Intensivierung der Landwirtschaft durch Mechanisierung, dem verstärkten Einsatz von Mineraldüngern und der Aussaat von Hochertragsweizen- und -reissorten – Pflanzensorten, die dreimal im Jahr geerntet werden können, aber den Nachteil haben, dass sie auf energieintensiv produzierten Dünger angewiesen sind.

Dank der Kombination von Mechanisierung, Hochleistungspflanzen und vermehrter Düngergabe konnte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Weltnahrungsmittelproduktion verdoppelt werden. Ein Kunststück, das sich aus einem relativ einfachen Grund nicht wiederholen lässt: Pflanzen können nur eine bestimmte Menge an Dünger verarbeiten. Eine weitere Steigerung, zum Beispiel von Stickstoffgaben in den Boden, würde das Pflanzenwachstum nicht mehr erhöhen, sondern nur noch Stickstoff im Boden anreichern. Für die Reisproduktion ist dieser Punkt bereits erreicht. Im besten Fall schaffen es die Agrarproduzenten trotz »hoher Investitionen in die Pflanzenzüchtung und intensiver Forschung zur Verbesserung des Bestandsmanagements« gerade noch, ein Absinken der Reiserträge zu verhindern, wie das »International Rice Research Institute« auf den Philippinen bereits 1995 mitteilte. Bei einer weiterhin wachsenden Weltbevölkerung sind das beunruhigende Meldungen.
Dazu kommt, dass in den vergangenen drei Jahren erstmals keine weitere Steigerung der Nahrungsmittelproduktion pro Anbaufläche gemessen werden konnten. Die Böden scheinen also tatsächlich ihr Ertragsmaximum erreicht zu haben. Eine weitere Ausweitung der Ackerfläche ist auf längere Sicht nicht möglich, weil schlicht keine Böden zur Verfügung stehen, die neu kultiviert werden könnten. Die Böden der tropischen Regenwälder zum Beispiel sind äußerst nährstoffarm und dünn und können nur kurze Zeit genutzt werden, bevor sie endgültig versteppen.
In dieser Situation bietet das Permakulturkonzept, mit seiner Betonung auf der Erhaltung der produktiven Flächen in einem Zustand der Möglichkeit der permanenten Neubildung, zum Beispiel durch die Arbeit der Regenwürmer, zumindest einen Ansatz, der nicht auf ein Wunder hofft. Ein solches Wunder, das noch einmal die Nahrungsmittelproduktion innerhalb kürzester Zeit steigert wie von den fünfziger bis in die siebziger Jahre, wird es nach allen Prognosen nicht geben. Friedrich Engels’ Forderung, wonach die »Ertragsfähigkeit des Bodens durch die Anwendung von Kapital, Arbeit und Wissenschaft ins Unendliche zu steigern« sei, ist an der Endlichkeit des Bodens gescheitert. Das Permakulturkonzept trägt dem Rechnung, indem es vor allem darauf achtet, den Boden zu erhalten, anstatt ihm mit Forderungen nach permanenter Ertragssteigerung auf den Leib zu rücken.