Dank der Demenz

Man lernt eben nie aus. Und dass man selbst im hohen Alter noch staunen kann, zeigte der 82jährige ehemalige Präsident Kambodschas, Khieu Samphan, am Donnerstag vergangener Woche, als der Prozess gegen ihn und Nuon Chea, zwei der Anführer der Roten Khmer, zu Ende ging. »Ich hätte nie gedacht, dass meinem Volk so etwas passieren könnte«, sagte er in seiner Abschlusserklärung. Damit ist er wohl nicht der einzige. Die Herrschaft der Roten Khmer von 1975 bis 1979, unter der bis zu zwei Millionen Menschen in Kambodscha an Mord oder indirekteren Formen der Auslöschung wie Zwangsarbeit und Hunger starben, war unfassbar grausam. Damit, dass er vom Terror nichts gewusst haben will, obwohl er einer der Mächtigsten des Regimes war, ist er ebenso wenig allein. Es liegt wohl an einer besonderen Form der Demenz, die genozidale Massenmörder und ihre Helferinnen und Helfer nicht nur in Kambodscha befällt. Zwar soll er vor Jahren eingeräumt haben, dass es einen Genozid gegeben habe, dafür verantwortlich gewesen sein will der »Bruder Nummer vier« aber nicht. Als Präsident hat man ja auch nichts zu sagen und etwas wie Befehlshierarchie war in der lustigen Anarchotruppe der Roten Khmer doch völlig unbekannt.
Vielleicht verleitete ihn auch die Anerkennung durch die Uno, die er selbst nach dem Sturz der Roten Khmer als offizieller Repräsentant Kambodschas lange genoss, zu der Annahme, das bisschen Diktatur könne ja nicht so schlimm gewesen sein. Schließlich meinte er es als kommunistischer Revolutionär nur gut mit der kambodschanischen Bevölkerung. Statt wie er als verzogener Bürgersohn in Paris an der Sorbonne Bücher wälzen zu müssen, sollten seine Landsleute das einfache Landleben und harte Arbeit genießen dürfen. Die Idylle bedrohende Elemente wurden ausgelöscht. Aber das soll ja gar nicht seine Idee gewesen sein. Tatsächlich waren viele Kader am Genozid beteiligt, die nun nicht vor dem Sondertribunal stehen. Sein Genosse Ieng Sary entzog sich der Strafverfolgung schlau durch Versterben, die Genossin Ieng Therith durch Altersdemenz. Andere wurden gar nicht erst angeklagt oder sitzen weiterhin in der Regierung, die Rolle der internationalen Unterstützer des Regimes steht schon gar nicht zur Debatte. Das Urteil für Khieu Samphan und Nuon Chea soll im kommenden Jahr gesprochen werden. Bis dahin können sie weiterhin ihre Demenz pflegen.