Eine Berliner Initiative fordert die Abschaffung von Außenwerbung

Konsumzombies raus!

In Berlin wirbt eine Kampagne für die Abschaffung von kommerzieller Außenwerbung und setzt sich für das »gute Leben« ein. Geworben wird für die Initiative vor allem in Bioläden.

In Berlin-Kreuzberg, wo man bekanntlich ohnehin immer ein bisschen »dagegen« ist, gibt es seit März 2013 eine Kampagne gegen »Außenwerbung an nichttemporären, fest verankerten Werbeflächen, die zum Konsum materieller Güter auffordern«, wie es in einem »Einwohner*innen­nantrag« heißt. Der »Antrag« ist eigentlich eine Unterschriftenliste gegen kommerzielle Außenwerbung für die Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg. Die Kampagne nennt sich nämlich »Amt für Werbefreiheit und gutes Leben«. Man gibt sich keck als »Fachbehörde für einen Kiez ohne kommerzielle Außenwerbung« aus und betrachtet sich als »Anlaufstelle für alle Belange des Guten Lebens«. Das Weblog der Kampagne sieht ein wenig aus wie die Website einer Behörde, die von einer aktivistischen Jugendorganisation der Grünen geführt wird. Aus dem Strichcodewappen der fiktiven Behörde bricht eine kleine Blume hervor.
Das Geheimnis zum guten Leben besteht nach Angaben eines von der Kampagne betriebenen Weblogs und einer Facebook-Seite in einer möglichst umfassenden Abschaffung kommerzieller Außenwerbung. Ganze 3 000 Werbebotschaften sollen es sein, die zumeist kaum noch regis­triert, aber unbewusst umso wirkungsvoller jeden Tag auf einen »einprasseln«, dadurch Dauerstress und unkontrollierbare unterschwellige Konsumreize erzeugen, die wiederum ein mit dem Konzept der Nachhaltigkeit nicht vereinbares Konsumverhalten hervorrufen, aufgrund dessen die Regenwälder sterben, das Meer umkippt und weswegen man nicht mehr auf die Idee kommt, einfach mal mit dem Fahrrad in die Natur zu fahren oder »einen Tag an einem Fluss« zu verbringen. Nicht lustig, sondern »absolut ernst« ist einer Sprecherin der Kampagne zufolge die steile Kausalerklärung gemeint. Doch ein Amt gegen die totale Werbeapokalypse im Wutbürger-Jargon – wer muss da nicht zumindest schmunzeln?
Wem das alles noch nicht dick genug aufgetragen ist, liest an anderer Stelle, dass Werbung uns daran hindere, »Bierbänke vor dem Haus aufzustellen« und dort gemeinsam mit den Nachbarn abzuhängen. Nicht etwa die Notwendigkeit, seinen Lebensunterhalt durch den Verkauf der Ware Arbeitskraft oder durch wertvolle Lebenszeit raubende Gänge zum Jobcenter zu sichern, wird in Frage gestellt. Werbung, so könnte man anhand der Verlautbarungen des »Amtes« meinen, ist der neue Hauptwiderspruch oder zumindest der archimedische Punkt, an dem die ganze systemimmanente kapitalistische Entfremdung ausgehebelt werden kann. Entfremdung durch Werbung und falschen Konsum, dadurch wird angeblich »gutes Leben« verhindert.

Das alles sieht dann auch nicht ganz zufällig nach einer Werbestrategie einer der vielen neuen kleinen, sich unheimlich kreativ gebenden Werbeagenturen aus, zu deren Spezialgebiet aufwändige Social-media-Kampagnen gehören. Entstanden ist die Kampagne in der »Kampagnenwerkstatt« eines offenbar gut im Öko-, Nachhaltigkeits- und Entwicklungsmilieu vernetzten Vereins. Dessen Name, »ImPuls – Agentur für angewandte Utopien e. V.«, klingt selbst schon verdächtig nach einem jungen PR-Startup-Unternehmen. Da verwundert es dann auch nicht mehr so, dass unter den Sponsoren des »Amtes für Werbefreiheit und Gutes Leben« auch das Logo des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung steht. Außerdem unterstützt eine Reihe von Bioladenketten die Kampagne. Deren explizite Auflistung samt Adresse dient natürlich nicht der ja angeblich unerwünschten Werbung für den »Konsum materi­eller Güter«. In besagten Läden, so heißt es, findet man lediglich bereits praktisch ausgedruckte Unterschriftenlisten, vermutlich an der Kasse, so dass man erst einmal an den ganzen teuren Bioprodukten vorbei muss. Aber an denen geht der Regenwald ja auch nicht kaputt und in der Thunfischdose ist auch kein Delphin. Vielleicht ist sogar der Thunfisch aus Tofu.
Im Jargon der Entwicklungszusammenarbeit gehört es sich eigentlich nicht, Politik als etwas Konflikthaftes zu bezeichnen. Politik stellt sich dort als »partizipativer« oder »kollaborativer« Prozess zwischen lauter »Stakeholdern« und multiplen Mulitplikatoren dar. »NGOish«, das in internationalen Organisationen in Endlosschleife weitergeplappert wird, dient dabei nicht zuletzt der Verschleierung ganz konkreter Machtverhältnisse zwischen den »Partnerorganisationen« und denen, die durch diese kollaborativen Prozesse »empowert« werden sollten.
Erst wenn dieser auf merkwürdige Weise zugleich technokratische wie kuschelige Jargon wutbürgerlich gewendet wird, kommt das heraus, was einer politischen Dämonologie des Zombie-Genres entspricht. Der Zombie-Film ist ja eine zutiefst elitäre und misanthropische soziale Allegorie: Durch unbemerkte Reize, gleich der im Zombie-Genre üblichen Viren oder Strahlungen, die tote Kadaver als nach Menschenhirn geiernde Untote auferstehen lassen, verwandelt Werbung die Menschen in willenlose Konsumenten. Die ganze Welt ist von ihnen überrannt, es gilt, die kleinen Enklaven des »authentischen Lebens« zu verteidigen.

»Gutes Leben«, das klingt ja zunächst einmal durchaus sympathisch. Das klingt nach der bella vita, Sonne, Flirten, Vespa, Rotwein und Sex auf der Rückbank eines zu kleinen Autos, bei dessen Entwurf erkennbar mehr in elegantes Design als in Energieeffizienz investiert wurde.
Ist doch schön, her damit! Aber, man ahnt es schon, das gute Leben gibt es hier auch nicht umsonst. Dem Verzicht und einer »Kultur der Genügsamkeit« hat sich die Agentur ImPuls verschrieben. Die Utopie, die sie verspricht, ist »Verbundensein mit der Natur, Menschen, der eigenen Arbeit und sich selbst«. Von solch Rousseauscher Romantik ist es ja auch bekanntlich nie weit zu konservativ-revolutionärem Gedankengut. In der Rubrik »Gutes Leben« auf der Website des Amtes für Werbefreiheit verkommt dann auch das Jüngersche Stahlgewitter zum Öko-Shitstorm: Auf dem »teilweise zurückeroberten Tempelhofer Feld« sei schon »Lebensgefühl zur Wirklichkeit« geworden.
Um das Leben im Konsumzombieland wieder lebenswert zu machen, geht das Amt für Werbefreiheit schrittweise vor. Zunächst wurde im Oktober der Antrag in der Bezirksverordnetenversammlung mit etwas über 1 000 Unterschriften präsentiert. Danach soll der Bezirk anstreben, ein Verbot auch auf Landesebene durchzusetzen. Zuerst Berlin und dann die ganze Welt. In manchen Teilen ist es sogar schon soweit, erfährt man auf der Website, etwa in São Paulo (s. Seite 5).
Und weil man eine professionelle Lobby-Arbeit macht, hat es auch schon »Hintergrundgespräche« mit den Kreuzberger Fraktionen der Grünen und der Piratenpartei gegeben, die »sehr positiv verliefen«. Häme und Spott hagelte es hingegen bei der SPD-Fraktion, die offenbar in einem kuri­osen Rückfall in alte Frontstadtrhetorik meinte, die Freiheit des Gewerbes und der Andersdenkenden gegen den Totalitarismus verteidigen zu müssen. Genau genommen geht es wohl eher um die 240 000 Euro, die der mit 4,9 Millionen Euro verschuldete Bezirk für die Vermietung von gerade einmal vier großen Billboards für das Jahr 2013 erhält – alle weiteren Werbeflächen sind entweder in Privatbesitz oder gehören dem Land Berlin und sind somit dem Einfluss der Bezirksversammlung ohnehin entzogen. Aber darum wird man sich im nächsten Schritt kümmern.
Sollte die schrille öko-populistische Kampagne erfolgreich sein, können sich BMZ und Parteien ihrerseits über die kostengünstige Werbung durch die Kampagne selbst freuen. Firmen, denen die Werbeflächen verlustig gingen, wüssten wiederum, wo sie neue, durchaus innovativere Werbestrategen finden – bei der Agentur ImPuls.