Wer profitiert von der geplanten Rentenreform?

Die Mütterrente ist ein Herrengedeck

Die geplante Rentenreform der Großen Koalition wird von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) als Beitrag zur Gerechtigkeit beworben. Dabei profitieren von den geplanten Änderungen nur gut verdienende ältere Männer, die ohnehin hohe Ruhestandsbezüge haben.

Mit Desastern bei Plakatkampagnen hat Andrea Nahles Erfahrung. Im Bundestagswahlkampf bestellte sie als damalige SPD-Generalsekretärin Ökoplakate aus umweltfreundlicher Pappe, die sie später für nicht wettertauglich befand und die deshalb von den Ortsvereinen nicht bezahlt werden sollten. Das gab eine Menge Ärger. Jetzt bekommt die neue Arbeitsministerin wieder Ärger wegen – allerdings getarnter  – Wahlplakate. Für ihre Rentenreform hat sie Ende Januar eine Werbekampagne in Millionenhöhe initiiert – obwohl der Bundestag die Änderungen noch gar nicht beschlossen hat. Das sei »mit Steuergeld finanzierte Wahlwerbung«, kritisiert die Linkspartei und fordert eine Untersuchung vom Bundesrechnungshof. »Das ist effektiv steuerfinanzierte Wahlwerbung vor der Europawahl«, findet der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Rixinger.

Nahles lässt für ihre Rentenpläne mit dem Slogan »Nicht geschenkt. Sondern verdient.« werben. Auf dem Plakat zur Reform präsentiert sich die Ministerin in schwarzer Hose und roter Jacke und weist mit der Hand auf ein geschnürtes, viereckiges Paket in rotem Packpapier. »Das neue Rentenpaket« steht darauf, und in kleinerer Schrift: »So packen wir Gerechtigkeit.« Bei der geplanten Rentenreform geht es unter anderem um die »Rente mit 63« und die »Mütterrente«. Bei den Wählerinnen und Wählern, behauptet zumindest eine Umfrage, die von Nahles’ Arbeitsministerium in Auftrag gegeben wurde, kommt das »Rentenpaket« gut an. Das Presseecho fällt hingegen vernichtend aus. »Ein Paket voller Skandale«, schreibt die Frankfurter Rundschau. »Die große Katastrophe der Rente mit 63«, titelt die Wirtschaftswoche. »Das Projekt wird zum Fiasko für Steuer- und Rentenbeitragszahler«, schreibt das Handelsblatt. » ›Politische Rentenbetrüger‹ in Berlin schlagen wieder zu«, heißt es bei Focus Online. Gar ein »Verbrechen an der nächsten Generation« sei die Rentenreform, wettert der Vorsitzende des Parlamentskreises Mittelstand der Unions-Bundestagsfraktion, Christian von Stetten (CDU).
Auf Kritik stößt, dass für die Reform die ursprünglich geplante Senkung der Beiträge für die gesetzliche Rentenversicherung ausgesetzt wurde und die Beiträge steigen werden. Grüne und Linkspartei halten die Pläne für ungerecht. Dabei ist Gerechtigkeit Nahles’ Schlüsselwort bei der Werbung für ihr Projekt. »Den Menschen soll es besser gehen. Wir wollen mehr Gerechtigkeit«, sagt sie. »Das Rentenpaket ist gepackt mit ganz konkreten Verbesserungen, die direkt bei den Menschen ankommen, die sich reingehängt und angestrengt haben«, erklärt die Sozialdemokratin. »Die Rente wird dadurch gerechter.« Doch genau das wird sie nicht. Nahles’ geplante Reform benachteiligt systematisch Frauen und diejenigen, die eine unterdurchschnittliche Rente bekommen. Gewinner sind Männer über 60 Jahre, die gut verdienen. Die Reform wird zum größten Teil durch die Beitragszahler – also die künftigen Rentner – finanziert und nur zu einem geringen Teil durch Steuermittel. Deshalb werden die Beiträge für die Rentenversicherung steigen und in Folge davon aufgrund komplizierter Berechnungsautomatismen die Renten gleichzeitig sinken.

Im Jahr 2014 liegt das gesetzliche Renteneintrittsalter bei 65 Jahren und drei Monaten. Für jeden Monat, den eine Person früher in den Ruhestand geht, wird die Rente um 0,3 Prozent gekürzt. Nahles’ Reform sieht vor, dass diese Kürzung bei 63jährigen nicht erfolgt, wenn sie 45 Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt haben. Allerdings nur, wenn sie zu einem bestimmten Zeitpunkt 63 Jahre alt ist: Sie müssen vor dem 1. Januar 1953 geboren sein und nach dem 1. Juli 2014 in Rente gehen. Bei allen, die danach geboren worden sind, steigt das abschlagsfrei mögliche Renteneintrittsalter mit jedem Jahrgang um zwei Monate. Für ab 1964 Geborene gibt es die Rente ohne Abzug nur noch ab 65 Jahren. Und auch das nur, wenn sie dann 45 Jahre mit gezahlten Rentenversicherungsbeiträgen vorweisen können. Das können in der Regel vor allem männliche Facharbeiter, die jung eine Ausbildung begonnen und lebenslang gearbeitet haben. Wer studiert oder Familienpausen gemacht hat, hat kaum die Chance, jemals 45 Rentenversicherungsjahre zusammenzubekommen. Das gilt auch für alle, die längere Zeit Hartz IV oder die Vorläuferleistung Arbeitslosenhilfe bezogen haben. Diese Zeiten werden nicht angerechnet. Zeiten mit Krankengeldbezug und Arbeitslosengeld I dagegen schon. Schon jetzt gibt es die sogenannte »Altersrente für besonders langjährig Versicherte«, die 45 Versicherungsjahre vorweisen können. Sie können bereits abschlagsfrei in Rente gehen, auch wenn sie noch nicht 65 Jahre und drei Monate alt sind. Allerdings werden hier bei der Berechnung der Versicherungsjahre keine Zeiten der Arbeitslosigkeit berücksichtigt. Diese Rente haben im Jahr 2012 insgesamt 12 300 Personen neu bezogen, vor allem Männer. »Die Zahlen lagen bei dieser Rentenart 2012 deutlich über dem Durchschnitt aller Rentenzahlungen«, sagte der Präsident der gesetzlichen Rentenversicherung, Herbert Rische. »Für Männer im Westen betrug die Altersrente für besonders langjährig Versicherte durchschnittlich etwa 1 465 Euro, für die wenigen Frauen etwa 1 100 Euro.« Die durchschnittliche Zahlung aus der gesetzlichen Rentenversicherung für Männer lag 2012 bei 1 035 Euro, für Frauen bei 559 Euro im Monat.

Zu den Begünstigten der Rente mit 63 werden nach Einschätzung von Rische ebenfalls vor allem Männer mit vergleichsweise hohen Ruhestandsbezügen gehören. Der Antwort auf eine kleine Anfrage des grünen Bundestagsabgeordneten Markus Kurth an die Bundesregierung zufolge lagen die Voraussetzungen für die Rente mit 63 im Jahr 2011 – für 2012 lagen die Daten noch nicht vor – bei rund 91 750 Männern und 24 753 Frauen vor. Beinahe jeder zweite Mann der entsprechenden Jahrgänge könnte die Rente mit 63 in Anspruch nehmen, aber nur jede siebte Frau. Die von Nahles mit dem Slogan »Nicht geschenkt. Sondern verdient.« beworbene Rente ist das Resultat einer schrägen Umverteilung von denen mit unterdurchschnittlichen Renten zu denen mit überdurchschnittlichen Renten. Da Frauen tendenziell weniger Versicherungsjahre vorzuweisen haben und bei gleicher Leistung immer noch weniger verdienen als Männer und deshalb geringere Rentenansprüche erwerben, trifft es sie gleich mehrfach. Die biologistisch »Mütterrente« genannten Altersbezüge für Erziehende kompensieren diese Ungerechtigkeit nicht. Auch sie werden aus den Beiträgen finanziert, also nicht von Abgeordneten, Beamten und Selbstständigen. Für Westkinder bekommen Eltern mehr Rentenansprüche angerechnet als für Ostkinder, für die vor 1992 Geborenen nach heutigem Wert im Westen zusätzlich 28 Euro pro Monat und im Osten knapp 26 Euro.

60 Milliarden Euro soll Nahles’ Beitragsumverteilung bis 2020 kosten. Eine echte Rentenreform, die die Fehler der Vergangenheit korrigieren und den Menschen tatsächlich die berechtigte Angst vor der Altersarmut nehmen würde, wäre das allemal wert. Doch mit ihren Plänen treiben Nahles und ihre Mitstreiter diejenigen, die glauben, es sich leisten zu können, in die Arme der Finanzindustrie. Angesichts der niedrigen Zinsen an den Kapitalmärkten ist das nicht die richtige Adresse, um sich gegen Altersarmut zu wappnen – von den viel zu hohen Kosten ganz abgesehen. Doch darauf weisen in der allgemeinen Verdammung der Reform nur wenige hin.
Einer davon ist Matthias Birkwald, ein Abgeordneter der Linkspartei, der seine Jugend in der versicherungsfreundlichen FDP verbracht hat. Die private Altersvorsorge werde »das Loch, das sinkende Renten reißen, nicht stopfen, sondern lediglich die Kassen der Versicherungskonzerne füllen«, sagt er. 25 Milliarden Euro hat sich der Staat bislang die »Riester-Rente« kosten lassen. Dieses Geld wäre besser zur Anhebung niedriger Renten angelegt, findet Birkwald.