Unzensierte Lügen

Kommunikation hat er drauf, sonst hätte er wohl auch nicht seinen Posten bekommen. Der 51jährige Bergbauingenieur Lütfi Elvan war seit 2007 Abgeordneter der islamisch-konservativen Partei für Gerechtigkeit und Fortschritt (AKP) und stieg Ende Dezember zum türkischen Minister für Transport, Schifffahrt und Kommunikation auf. Sicher hat er gut bei einem Seminar zu Krisenkommunikation aufgepasst, um die richtigen Worte zu finden. Oder er ist einfach ein Naturtalent. Wie sonst wäre Elvan auf diese wunderbare Erklärung gekommen? »Die Behauptung, das Internet werde gesperrt, es werde zensiert, ist falsch«, erwiderte der Minister Kritikern der Regierung. Die Oppo­sition sowie türkische und internationale Journalistenverbände hatten die Verabschiedung eines Gesetzes durch das Parlament in der vorigen Woche kritisiert, das es ermöglichen soll, Websites ohne Gerichtsbeschluss zu sperren. Außerdem sollen Userdaten bis zu zwei Jahre lang gespeichert und offiziellen Stellen auf Verlangen zugänglich gemacht werden. Die Europäische Union warnte vor der Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit. »Wir sperren nicht das Internet, wir verabschieden uns nur von den vorherigen Mecha­nismen, durch die das Internet leicht gesperrt werden konnte«, beschwichtige Elvan. Schließlich könnten nun gezielt bestimmte Inhalte blockiert werden, nicht mehr nur ganze Websites.
Das Gesetz muss noch von Präsident Abdullah Gül unterzeichnet werden, der ebensfalls der AKP angehört. Die Gegener des Gesetzes befürchten eine Ausweitung der Zensur und vermuten, damit solle vor allem Kritik an der türkischen Regierung verhindert werden. Bereits während der Ermittlungen gegen führende Mitglieder der AKP-Regierung und ihre Verbündeten wegen Bestechung wurde die Internet-Plattform Vimeo zeitweilig gesperrt, allerdings noch mit einem Gerichtsbeschluss (Jungle World 3/2014). Abgesehen davon, wurde der Zugang zu Zehntausenden Websites in der Türkei bereits vor Verabschiedung des Gesetzes blockiert. Elvan argumentiert vor allem mit dem Schutz von Persönlichkeitsrechten. Die »Familie, Kinder und Jugendliche« sollen vor Webinhalten geschützt werden, die zu »Drogenabhängigkeit, sexuellen Missbrauch und Selbstmord« anregen, so die Regierung. Wahrscheinlich hatten die gefallenen AKP-Politiker auch zu viel Bestechungsvideos bei Youtube gesehen. Oder wie würde Elvan ihr Verhalten erklären?