Der Protest der Hebammen

Schwierige Geburt

Die Kosten für die Haftpflichtversicherung steigen für freiberufliche Hebammen seit Jahren. Anbieter wollen das Risiko nicht mehr übernehmen. Das kommt einem Berufsverbot gleich.

Für die Aktion »Nabelschnur« haben die Initiatorinnen eine »Orga-Liste« ins Internet gestellt. Anhand von zehn Punkten erklären sie Interessierten, wie sie eine Demonstration anmelden, die Kundgebung bekannt machen, Babybilder an einem Seil befestigen und das an den »Kidsgo-Verlag« schicken können. Der sorgt dafür, dass die »Nabelschnur« zu Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) nach Berlin gelangt – als Zeichen des Protests gegen den Versicherungsnotstand bei den freiberuflichen Hebammen. Es ist so etwas wie eine soziale Bewegung: Mit unzähligen Aktionen, Demonstrationen und Unterschriftensammlungen solidarisieren sich Mütter, Väter, Omas, Opas und andere Interessierte mit den freiberuflichen Geburtshelferinnen.

Das ist auch nötig, denn den selbstständigen Hebammen droht ein faktisches Berufsverbot. Ihre Berufshaftpflichtversicherung ist in Gefahr und ohne diese dürfen die rund 4 000 in der Geburtshilfe tätigen freien Hebammen nicht arbeiten. Die Versicherung soll Entschädigungen zahlen, wenn bei der Geburt aufgrund eines Fehlers der begleitenden Hebamme etwas schiefgeht und das Kind bleibende Schäden erleidet. Der Druck der Aktivisten hat zumindest eine kurzfristige Lösung gebracht. Ende März hat die Präsidentin des Deutschen Hebammenverbandes, Martina Klenk, mit einem Versicherungskonsortium aus Bayerischer Versicherungskammer, Nürnberger Versicherung und R+V einen Einjahresvertrag über eine Gruppenhaftpflichtversicherung für Hebammen geschlossen. »Freiberufliche Hebammen haben bis zum Juli 2015 eine Haftpflichtversicherung«, erklärt der Verband. Aber die Prämien für diese Versicherung sind um 20 Prozent teurer als die bisherigen, viele Hebammen werden sich das nicht leisten können. Künftige Schwangere haben viel zu verlieren: Hebammen sind für sie nicht nur während der Geburtsbegleitung wichtig, sondern auch und gerade vorher und nachher. Gibt es keine Hebammen mehr, haben Schwangere nicht die Wahl, ob sie zu Hause, in einem Geburtshaus oder einer Klinik entbinden. Sie müssten in ein Krankenhaus. Doch Kliniken mit Geburtshilfeabteilung gibt es vor allem in ländlichen Gegenden immer weniger, denn die haben ebenfalls ein Versicherungsproblem.

Was nach 2015 mit der Berufshaftpflichtversicherung geschieht, ist unklar. »Unsere Hebammen haben jetzt gerade einmal Planungssicherheit bis Juli 2015. Das bedeutet, dass sie noch bis zum Oktober 2014 schwangeren Frauen die Geburtsbegleitung oder Wochenbettbetreuung anbieten können«, sagt Klenk. »Damit hat sich leider noch nichts an dem grundsätzlichen Problem geändert: Wir wissen weiterhin nicht, wer uns ab dem 1. Juli 2015 versichern wird.« Besser wird es jedenfalls nicht, denn ein Anbieter hat bereits angekündigt, dass er aus dem Geschäft aussteigen will. »Die Politik ist aufgefordert, jetzt endlich zu handeln«, fordert Klenk. Längst hätte die Bundesregierung eine Lösung finden müssen. Die stark steigenden Prämien für Hebammen, die in der Geburtshilfe tätig sind, sind ein seit langem bekanntes Problem. Im Jahr 2000 zahlten freiberufliche Hebammen nach Angaben des Deutschen Hebammenverbandes für die Berufshaftpflichtversicherung jährlich 404,00 Euro. Die Beiträge stiegen seitdem enorm, ab Juli 2014 sind jährlich 5 090,40 Euro fällig – das sind 424,20 Euro im Monat. Allein zwischen 2008 und 2012 hat ein Viertel der freiberuflichen Hebammen die Geburtshilfe wegen der hohen Kostenbelastung bei geringem Verdienst aufgegeben. Die Krankenkassen haben auf die steigenden Beiträge für die Versicherung zwar mit einer Erhöhung der Vergütung für Geburten reagiert. Aber diese fällt immer noch nicht üppig aus. Seit Anfang 2014 erhalten freiberufliche Hebammen für eine Geburt in der Klinik je nach Tageszeit und Betreuungsintensität zwischen 276 Euro und 347 Euro. Für die – relativ selten stattfindende – Hausgeburt liegt das Honorar bei rund 707 Euro. Für einen Wochenbettbesuch erhalten Hebammen ganze 31,28 Euro. Von ihrem Honorar müssen die Geburtshelferinnen nicht nur die Berufshaftpflichtversicherung finanzieren, sondern auch sämtliche Kosten von der Altersvorsorge über das Auto für die schnelle Erreichbarkeit der Gebärenden bis zu medizinischem Material für Mutter und Kind. Von der Erhöhung profitieren Hebammen mit Belegbetten in Großstadtkliniken mehr als auf dem Land tätige, denn in den Belegkliniken kommen mehr Kinder zur Welt. Hohe Prämien müssen aber auch die Hebammen mit weniger Geburten zahlen.
Die Beiträge für die Berufshaftpflichtversicherung steigen nicht, weil die Hebammen mehr Fehler machen. Im Gegenteil, Fehler bei Geburten nehmen ab. Aber wenn etwas passiert, wird es viel teurer als früher. »In der Geburtshilfe entstehen verhältnismäßig wenige, dafür aber große Schäden: Schäden mit über 100 000 Euro Leistungsumfang machen bei Hebammen mehr als 90 Prozent des gesamten Schadenvolumens aus«, so der Versicherungsverband GDV. Im Schnitt zahlte ein Versicherer bei einem anerkannten Fehler bei der Geburt im Jahr 2012 rund 2,6 Millionen Euro an die Geschädigten, im Jahr 2003 waren es noch 1,5 Millionen Euro. Nicht nur Inflation oder eine längere Lebenserwartung der Kinder haben die Summe in die Höhe getrieben. Die Krankenkassen holen sich bei den Versicherern immer mehr Geld zurück, das sie für die Behandlung des bei der Geburt zu Schaden gekommenen Kindes zahlen. Allein solche Forderungen machen im Schnitt ein Viertel der Schadenssumme aus. Der hohe Wettbewerbsdruck zwingt die Kassen, verstärkt das Geld einzutreiben.

Im April will Gesundheitsminister Gröhe den Abschlussbericht einer Arbeitsgruppe vorlegen, die eine Lösung für das Versicherungsproblem finden soll. Gröhe favorisiert eine Lösung innerhalb des bestehenden privaten Versicherungssystems. »Ich bin sicher, dass sich die Versicherungswirtschaft ihrer Verantwortung bewusst ist und es bald eine Lösung geben wird«, sagt er. Der Bundesrat hat auf Antrag der Länder Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein eine Entschließung angenommen, die auch andere Lösungen aufzeigt. Politisch steckt dahinter die ganz große Koalition, denn jede der im Bundestag vertretenen Parteien ist in einer der Landesregierungen vertreten, die den Antrag stellen. Die Bundesregierung soll dem Antrag zufolge unter anderem prüfen, ob die Erweiterung der Trägerhaftung etwa von Kliniken oder die Schaffung eines steuerfinanzierten Haftungsfonds eine Lösung ist. In den Niederlanden zum Beispiel gibt es einen Topf, aus dem Entschädigungen gezahlt werden. Hebammenverbände wünschen sich als Lösung die Einrichtung eines staatlich finanzierten Fonds, der ab einer bestimmten Grenze die Kosten für die Entschädigung übernimmt. Unterhalb dieser Grenze würden bei diesem Modell die Versicherungen einspringen. Damit könnten vielleicht die Prämien begrenzt werden. Ein anderes Problem wäre aber nicht gelöst: Für Eltern und Kinder ist eine Behinderung aufgrund eines Fehlers bei der Geburt schrecklich. Und zwar nicht nur, weil sie lebenslang seelisch und körperlich leiden – und das in dem Bewusstsein, ihr Leiden sei vermeidbar gewesen. Mütter und Väter belastet enorm, dass sie oft grausam lange gegen die Versicherer für die ihnen zustehende Entschädigung vor Gericht kämpfen müssen. Das sollten Gesellschaft und Politik ihnen ersparen. Mit einem steuerfinanzierten und politisch kontrollierten Topf, aus dem Entschädigungen geleistet werden, wäre das möglich.