Die Präsidentschaftswahlen in Afghanistan

Bye bye, Karzai

Die Demokratisierung Afghanistans hängt nicht vom Ausgang der Präsidentschaftswahl ab.

Der strömende Regen war noch das geringste Problem. Obwohl die Wahl mit etwa 20 Toten am Samstag, dem Tag der Abstimmung, als relativ störungsfrei eingestuft wurde, war die Teilnahme ein Risiko. Vor allem in ländlichen Gebieten bestimmten überdies oft örtliche Warlords oder Patriarchen der Familie die Wahlentscheidung ihrer Untergebenen und eine nicht unerhebliche Menge von Stimmzetteln wird wohl nie den Weg zur Auszählung finden.
Dass sich dennoch mit sieben Millionen deutlich mehr Stimmberechtigte als 2009 an der Präsidentschaftswahl beteiligten, ist Ausdruck des Wunsches, eine demokratische Regierungsform zu etablieren. Doch Parteien spielen in Afghanistan eine geringe Rolle, die Politik ist hochgradig personalisiert. Jenseits der Entwicklungsprojekte und einiger weniger moderner Wirtschaftssektoren herrschen überwiegend neofeudale Verhältnisse. Die Hauptaufgabe des bishe­rigen Präsidenten Hamid Karzai war es, die Warlords bei Laune und im Zaum zu halten. Korrup­tion war für ihn ein unentbehrliches Herrschaftsinstrument, zugute kamen ihm aber auch sein Status als Angehöriger eines angesehenen Clans und sein Verhandlungsgeschick.
Ablösen wird ihn einer seiner ehemaligen Minister, Abdullah Abdullah, Ashraf Ghani Ahmadzai oder Zalmai Rassoul. Der Wahlsieger wird das Werk Karzais fortführen müssen, was auch immer er im Wahlkampf in Sachen Korruptionsbekämpfung versprochen hat. Ob der nächste Präsident das fragile Klientelsystem zusammenhalten kann, ist allerdings fraglich, und die Taliban werden jede Chance nutzen, die ihnen eine Spaltung des bisher staatsnahen Lagers bietet.
Das afghanische Klientelsystem ist ein Ergebnis der Petersberger Konferenz des Jahres 2001, auf der die neue politische Ordnung ausgehandelt wurde. Die Teilhabe der mit den USA im Kampf gegen die Taliban verbündeten Warlords an der Macht war gewollt, später akzeptierten die westlichen Interventionsstaaten den im Wahlrecht festgeschriebenen faktischen Ausschluss der Parteien aus dem politischen System und die Manipulation der Wahlen im Jahr 2009. Für die Entwicklung des Landes entscheidende Aufgaben wie die Diversifizierung der auf dem Opiumhandel und ausländischen Hilfszahlungen beruhenden Wirtschaft wurden nicht einmal ernsthaft diskutiert. Noch immer sind 55 Prozent der afghanischen Kinder chronisch mangelernährt.
Die Demokratisierung muss sowohl gegen die Warlords als auch gegen die Taliban durchgesetzt werden, die jedoch ungeachtet ihrer andauernden terroristischen Aktivitäten integriert werden sollen und, ob mit militärischen Mitteln oder aufgrund von Vereinbarungen mit der Regierung, wahrscheinlich an Einfluss gewinnen werden. Die durch 35 Jahre des Krieges traumatisierte afghanische Gesellschaft kann in Zukunft mit noch weniger Unterstützung rechnen, denn mit dem Abzug der meisten westlichen Soldaten wird auch das zivile Engagement weiter zurückgehen.